Zum sage und schreibe 278. Derby traten die Stadtrivalen SK Slavia Praha und AC Sparta Praha am Samstagabend im Stadion Eden (bis vor kurzem Synot Tip Aréna) an. Anspannung und Vorfreude waren bereits lange vor dem Anpfiff zu spüren. Während die einen ein frisch gezapftes Pilsner tranken und im Fanshop noch etwas einkauften, warteten die anderen an der Ulica Slavie auf die Anhänger des AC Sparta, die größtenteils als Gruppe zum Stadion marschiert waren. Erste Bengalos und kleine Rangeleien mit der Polizei, welche die Straße zwischen dem Stadion und dem gegenüber liegenden Einkaufszentrum Eden freihalten wollte.
SK Slavia vs. AC Sparta: Feurige Fußballatmosphäre beim Prager Derby
Es war bereits dunkel, als die Sparta-Fans das Terrain des Erzrivalen erreicht hatten. In erster Reihe wurden Bengalos in den Vereinsfarben Blau-Gelb-Rot gezündet. Dazu etwas Rauch und einige umherfliegende Böller. Die behelmten polizeilichen Einsatzkräfte hatten jedoch zu Fuß und hoch zu Ross alles unter Kontrolle. Einem pünktlichen Anpfiff mit sämtlichen Fußballfreunden stand somit nichts im Wege.
15.654 Zuschauer hatten sich auf den Rängen des Stadions Eden eingefunden. Gefüllt waren der in der Ecke befindliche Gästeblock und die Slavia-Fantribüne hinter dem Tor. Lücken gab es vor allem auf den Geraden. Der Preis für die dortigen Tickets (umgerechnet 16 bis 20 Euro) ist in Tschechien nicht für jeden interessierten Fußballfan locker bezahlbar. Eher recht verhalten war der Beginn der Partie. Schalparaden und etwas Feuerwerk, das hinter dem Stadion offiziell gezündet wurde.
Allerdings nahm das Derby, das seit nun mehr 116 Jahren – am 29. März 1896 wurde es zum ersten Mal ausgetragen – die Gemüter erhitzt, langsam aber sicher Minute für Minute stetig Fahrt auf. Die erste richtig dicke Torchance hatten die Gäste in der neunten Minute. Nach einem von links getretenen Eckball ging der Ball allerdings am Slavia-Gehäuse vorbei. Hitzig wurde es zum ersten Mal in der 18. Minute, als eine Slavia-Ecke vor dem Sparta-Block nur mit Schwierigkeiten ausgeübt werden konnte. Diverse Gegenstände prasselten in Richtung Eckfahne, Ordner kamen mit einem Schirm herbeigeeilt. Ein pyrotechnisches Objekt verfehlte den Slavia-Spieler nur knapp. Es brodelte im Gästeblock, schon bald loderte und qualmte es. Feuerwehrleute sprühten Wasser in den Block und die Partie konnte weitergeführt werden.
Im letzten Drittel der ersten Halbzeit zeigten die lautstarken Fans des SK Slavia, was sie drauf haben. Weiße und rote Bänder. Tausende Fahnen. Dazu ein großes 1892. Slavia Prag wurde in jenem Jahr von tschechischen Studenten ins Leben gerufen. Der Erzrivale wurde im Jahr darauf am 16. November 1893 als AC Královké Vinohrady gegründet. Noch vor dem Pausenpfiff wurde eine zweite Choreographie präsentiert. Dieses Mal aus hochgehaltenen roten, schwarzen und silbernen Pappen bestehend. Dazu ein großes Spruchband mit der Aufschrift: „Nase vasen: chorály, vlajky, emoce, pyro, vyjezdy, pivo“ (Unsere Leidenschaft: Hymnen, Fahnen, Emotionen, Pyro, Reisen, Bier).
Ein Großteil dieser Leidenschaften konnte am Samstagabend ausgelebt werden. Etwas ausgelebt hatten in der Halbzeitpause auch ein paar Anhänger des AC Sparta. Und zwar ihren Hass auf den Stadtrivalen. Immer wieder zündeten sie Schals an, immer wieder sprühte die Feuerwehr Wasser in den Block. Während zu Beginn des zweiten Spielabschnitts auf der Slavia-Tribüne eine weitere Choreographie vorbereitet wurde, brannte es im Gästeblock immer wieder. Mächtig was aufzusammeln war, als in der 65. Minute die meisten Heimzuschauer ein Handspiel von Sparta gesehen haben wollen. Nach riskanter Zurückgabe an den Sparta-Keeper sah es in der anschließenden brenzligen Situation in der Tat so aus, als wäre die Hand eines Sparta-Verteidigers am Ball gewesen. Der Elfmeterpfiff blieb aus, es regnete kleine Plastikstangen in den Strafraum des AC Sparta.
Nur zwei Minuten später sprang ein junger Fan aus dem Heimbereich auf den Rasen, zog sich die Jacke aus, zeigte stolz sein weinrotes Sparta-Shirt und flitzte quer über den Platz. Zwei Ordner versuchten ihn auszubremsen. Ohne Erfolg, erst unmittelbar vor dem Sparta-Block bekamen die Ordner ihn zu packen. Die Reaktion aus dem Gästebereich war deutlich. Es flogen Gegenstände, es wurde gepöbelt und gestikuliert. Auch im Slavia-Bereich wurde es hitziger. Ein vermummter Fan zündete die erste bengalische Fackel. War es der entscheidende Funke? Besser hätte kein Fußball-Drehbuch geschrieben sein können, denn wenig später erzielte Martin Latka den Treffer zum 1:0 für Slavia. Bereits beim letzten Derby am 24. März dieses Jahres hatte er das Führungstor geschossen.
Das Stadion bebte, der Slavia-Bereich hinter dem Tor wurde nun ein Meer jubelnden Fans und gezündeter Pyrotechnik. Es gab kein Halten mehr. Frei waren nun die Oberkörper zahlreicher Fans. Der erste Derby-Sieg in der Liga seit dem 06. Oktober 2008 war greifbar nahe. Damals behielt Slavia bei Sparta mit 4:1 die Oberhand. Vladimir Smicer hatte in jenem denkwürdigen Spiel zwei Treffer beigetragen. Bereits in jener 2008er Parte mit dabei war Martin Latka, der in der 79. Minute eingewechselt wurde. Seit Juli 2003 trägt Latka das Slavia-Trikot. Unterbrochen wurde seine Slavia-Zeit von relativ kurzen Spielzeiten bei Birmingham City und Panionios Athen.
Mit einer spannenden Schlussphase gipfelte am vergangenen Samstagabend das 278. Derby. Während die Slavia-Fans noch einen Gruß in Richtung Polizei in Form eines Spruchbandes und eines Sprechchores abgaben, kam die Sparta-Mannschaft noch zu guten Möglichkeiten. Die dickste Chance vereitelte Slavia-Keeper Contofalsky in der 89. Minute, indem er den gefährlichen Ball zur Ecke klären konnte. Auf Heimseite wurde nun noch einmal alles gezündet was verfügbar war. Weißer Rauch vernebelte die gesamte Arena. Inmitten des Rauchs leuchteten die einzelnen Brandherde der auf dem Boden abgebrannten Bengalos und Breslauer Feuer. Ein Freistoß von Sparta bedeutete die letzte Möglichkeit des Ausgleichs. Nachdem dieser abgewehrt werden konnte, war der 1:0-Sieg in trockenen Tüchern.
Nach dem Spiel deutete vor dem Stadion anfangs einiges auf mögliche Reibereien während des Abzuges der Gästefans hin, doch war die Lage weitaus entspannter, als man hätte annehmen können. Bis auf kleine Auseinandersetzungen, die von der Polizei sofort beendet werden konnten, blieb es zumindest im Terrain rund um das Stadion Eden relativ ruhig. Bei einem frisch Gezapften konnte man den emotionalen Abend erst einmal sacken lassen. Das Rückspiel findet am 13. April 2013 in der Generali Arena statt. Gut möglich, dass auch bei diesem Derby turus.net vor Ort in Prag sein wird!
(in Zusammenarbeit mit P. Schoedler)
> zur turus-Fotostrecke: Zahlreiche Impressionen vom Prager Derby