„Fußball! Fußball!“, „Scheiß Politik!“, ertönte es im Karl-Liebknecht-Stadion aus mehreren Ecken, nachdem die durchaus brisante Regionalliga-Partie SV Babelsberg 03 gegen 1. FC Lokomotive Leipzig in der zweiten Halbzeit für mehrere Minuten unterbrochen werden musste. Einige Lok-Anhänger waren auf das Spielfeld gesprungen und zur Gegengerade gerannt, um dort mit den Babelsberger Fans einige „Nettigkeiten“ auszutauschen. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch, die beiden Mannschaften bildeten am Rande zwei Grüppchen und berieten die Situation, auf den Rängen hatte der Großteil der Zuschauer das politisch geprägte Getöse satt.
SV Babelsberg 03 vs. 1. FC Lokomotive Leipzig: Wenn der Fußball politisch wird
HotIm Vorfeld dieser Begegnung wurde bereits viel diskutiert. Letztendlich trat das ein, was die meisten Fußballfreunde befürchtet hatten. Beide Fanszenen drückten dem Ganzen einen politischen Stempel auf, und nicht zuletzt hatten sicherlich auch etliche angereiste Leipziger einfach nur Lust auf eine „Portion Spaß“. Wer sich jedoch mit Fußball und seinem Drumherum auskennt, weiß, dass die Problematik sehr vielschichtig ist. Eine verspätete Anreise kann die Nerven blank liegen lassen, ein provokantes Banner oder mit Urin und Wasser gefüllte Luftballons können fix ein Fass zum Überlaufen bringen.
Stichwort Anreise. Dass die Leipziger Reisegruppe um Scenario Lok erst relativ spät in Potsdam-Babelsberg eintraf, ließ den Tag nicht wirklich entspannt einläuten. Bereits im Vorfeld war zu lesen, dass ein Teil der bahnfahrenden Lok-Fans zirka 12:30 Uhr am S-Bahnhof Wannsee eintreffen würde. Eine Stunde vor Anpfiff. Es war sogar geplant, die Fans mit der S-Bahn am Bahnhof Babelsberg vorbei zum Potsdamer Hauptbahnhof zu bringen, um sie von dort aus zum Gästebereich des Karlis zu begleiten. Da jedoch der Regionalzug aus Dessau verspätet eintraf, gab es eine kleine Planänderung. Die angereisten Leipziger durften in Babelsberg aussteigen und zu Fuß über die Straße Alt Nowawes zum Stadion marschieren. Eine Festnahme bzw. Personalienaufnahme, ein gezündeter Böller und schon ging es – begleitet von behelmten Uniformierten – im Schneckentempo gen Spielstätte.
Die Bahnreisenden waren noch längst nicht am Gästeeinlass angekommen, da wurde es an der Nahtstelle zwischen Gegengerade und Gästeblock überaus hitzig. Kurz vor Anpfiff enterten Leipziger den Pufferblock und standen plötzlich direkt am Zaun zum Filmstadtinferno 99. Eigentlich sollten Kinder auf dem Rasen mit Schildern den Zuschauern die Regionalliga Nordost 2013/14 vorstellen. Kein Wunder also, dass der Stadionsprecher wütend die Krawallsuchenden dazu aufforderte, sich wieder in ihrem Block „zu verpissen“. Die Lage beruhigte sich wieder, die Mannschaften betraten den Platz und die Babelsberger Ultras zeigten eine sehenswerte Choreographie. „Always with you“. Dazu das Vereinslogo sowie weiße und blaue Luftballons. Auf der Osttribüne wurde am oberen Rand ein riesiges Banner gezeigt: „Sportverein Babelsberg von 1903“. Sicherlich sollte dieses zeigen, worum es eigentlich geht. Nämlich um Sport bzw. Fußball.
Das Spiel lief bereits einige Minuten, als es draußen vor dem Stadion wieder zu einer hitzigen Situation kam. Mit zügigen Schritten näherten sich die Nachzügler und es folgte das, was so häufig in solchen Momenten passiert. Ein versuchter Blocksturm. Die ersten schoben sich durch die zwei schmalen Türen am Gästeblock-Einlass und drängten die Ordner kurzerhand beiseite. Nach einigen Sekunden konnten Polizei und Ordner die Tore verriegeln, ein Großteil der Fans stand nun ein wenig ratlos draußen. Wiederum einen Augenblick später – etliche Lokisten rissen bereits bedenklich an der Innenseite des Zaunes – öffnete sich wieder eine der beiden Türen. Einer nach dem anderen schlüpfte durch die Lücke, Ordner und Polizei ließen die Fans gewähren, um nicht die Situation komplett eskalieren zu lassen. Kaum war der Gästeblock nun mit den Nachzüglern gefüllt, konnte mit dem Gesangrepertoire begonnen werden. Auf das Babelsberger „Wir sind Zecken, asoziale Zecken....“ gab es ein „Zick, zack, Zigeunerpack!“ als Antwort. Dies rief wiederum den Stadionsprecher auf den Plan: „Würde bitte ein Teil der Gästefans das Niveau deutlich anheben?!“
Auf dem Rasen entwickelte sich indes vor den 3.019 zahlenden Zuschauern (rund 800 Gästefans) eine recht ansehnliche Partie, die auch bei diesen extremen Temperaturen überaus intensiv geführt wurde. In der 24. Minute fast die Führung der Gäste. Aus aussichtsreicher Position hämmerte Franz Bochmann einen Freistoß in die Mauer, Sekunden später streifte der Ball von links kommend den rechten Außenpfosten. Fast im direkten Gegenzug dann das 1:0 für Babelsberg, sehenswert erzielt von Süleyman Koc. Nach der kurzen Trinkpause legten die Jungs in der Nordkurve weiter los: „Nazis raus!“, „Sachsen raus – aus der DDR...“, „Wo sind eure Ultras, Ihr Nazis?“, „Kling Glöckchen klingelingeling. Hört ihr schon die Raben? Leipzig wird begraben! Hört ihr schon die Geister? Babelsberg wird Meister!“
Zu Beginn der zweiten Halbzeit dann eine Babelsberger Wasserbomben-Attacke in Richtung Gästeblock. Einige Leipziger sprachen davon, dass etliche Ballons sogar mit Urin gefüllt waren. Kein Wunder, dass nun im Gästeblock der eine oder andere verbal Dampf ablassen musste. Stimmung nun in dieser Phase vor allem auf Heimseite, auf dem Rasen drängte Nulldrei erstaunlich mutig und frisch auf die Entscheidung. Nachdem Maximilian Zimmer fast das 2:0 erzielte, war es Koc, der sich in der 55. Minute Meter für Meter vortankte und dann abzog. Sein Schuss konnte zur Ecke geklärt werden. Auf der Gegengerade wurde indes weiter in Richtung Gästebereich provoziert. „Lernt lesen und schreiben, gebt euch nicht auf!“, „Eure Eltern geh´n zur BSG!“ Sicherlich Dinge, die nicht allzu wild sind und seit jeher zum Fußball gehören. Allerdings schaukelte sich das Ganze wieder auf und glitt wieder einmal in den politischen Bereich. Auf ein „Ihr habt den Krieg verlor´n!“ stimmten nicht wenige Lok-Fans am Zaun zur Pufferzone ein lautes „Deutschlaaaand, Deutschlaaaand!“ an. „Sowjet-, Sowjet-, Sowjetunion!“, lautete wiederum die Antwort. Unfassbar, aber eben nicht nur bei diesem Spiel aus der rechten Ecke bei Lok vernehmbar: „Wir sind Lokisten - Mörder und Faschisten!“
Gerade schoss Babelsbergs Julian Prochnow über das Gehäuse der Loksche, als in der unteren Ecke der Gegengerade Unruhe aufkam. Ein massiv gebauter Lok-Fan mit reichlich Tattoos stand dort im Block der Babelsberger Ultras, wurde erkannt und anschließend bedrängt. Wie er dorthin kam, konnte von außen betrachtet nicht geklärt werden. Ein Ordner öffnete ein Tor und Sekunden später stand dieser Lokist mit freiem Oberkörper im Pufferblock. Ein merkwürdiges Szenario, das vom Folgenden sogleich überschattet wurde. Etliche Lok-Fans kletterten auf den Zaun, sprangen in den Innenraum und rannten auf die Nordkurve (Gegengerade) zu. Dem Schiedsrichter blieb keine andere Wahl, als die Partie zu unterbrechen. Glücklicherweise blieb es größtenteils bei verbalen Auseinandersetzungen und einem gezündeten Böller, ansonsten hätte das Spiel mit Sicherheit abgebrochen werden müssen.
Wie eingangs erwähnt, meldeten sich nun etliche Zuschauer zu Wort. Allen voran der Bereich des Gästeblocks, in dem Fans mit Trikots und Schals standen. Das „Fußball! Fußball!“ und „Scheiß Politik!“ waren nicht zu überhören. Allerdings hatte das Filmstadtinferno 99 noch ein Spruchband parat: „Raus aus der Sonne, ihr seid braun genug!“ Wiederum eine Antwort hatte der 1. FC Lok Leipzig bereit – und zwar eine sportliche. Die Gäste legten auf dem Rasen ein Schippchen drauf und drängten auf den Ausgleich. In der 75. Minute hatte Franz Bochmann allein vor 03-Keeper Marvin Gladrow das 1:1 auf dem Fuß, doch gelang es ihm nicht, am Torwart vorbeizukommen. Das Spiel war nun auf des Messers Schneide. Tormöglichkeiten auf beiden Seiten, intensive Zweikämpfe. „Mensch, wir sind hier nicht beim Ringen!“, echauffierte sich ein älterer Zuschauer auf der Sitzplatztribüne nach einem Foul. „Pass uff dein Herz auf!“, ermahnte ihn wiederum ein anderer Herr ganz in seiner Nähe.
Auf Babelsberger Seite gefiel Daniel Becker mit der Nummer acht sehr gut. Immer wieder konnte er Akzente setzen. Während in der 80. Minute die Polizei bereits Stellung bezog, zauberte und dribbelte sich Becker nach vorn, blieb jedoch in der Leipziger Abwehr hängen. Einen Herzkasper konnten wenig später in der Tat die Lok-Fans bekommen. Der zuvor eingewechselte Patrick Lunderstädt direkt vor dem Tor, doch anstatt einzulochen, schob er den Ball zur Seite. Lok nun mit der Schlussoffensive. Fünf Minuten Nachspielzeit. Nach einer Ecke köpfte Steve Rolleder denkbar knapp am Filmstädter Kasten vorbei. Es sollte nicht sein für den 1. FC Lok Leipzig. Am Ende durften sich die Hausherren ausgiebig über den 1:0-Erfolg freuen. Doch auch auf Gästeseite ließ niemand den Kopf hängen. Nachdem sich die Spieler in Blau-Gelb kurz gesammelt hatten, gingen sie zum Abklatschen zu den Fans an den Zaun. Nach all dem Hickhack auf den Rängen stimmte dieser Anblick versöhnlich. Denn letztendlich soll es in einem Stadion um Fußball gehen und nicht um politische Belange!
Fotos: Marco Bertram
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