Eine Zeitlang schaute es so aus, als könnte der Drittliga-Kracher FC Rot-Weiß Erfurt vs. SG Dynamo Dresden eine der letzten großen Partien im alten Steigerwaldstadion sein. Beginn des Umbaus im Herbst 2014? War da nicht mal was? Abschiedsspiel gegen den FC Groningen? Nun hört man, dass wohl vor dem Frühjahr 2015 keine Bagger anrücken werden. Also okay, kein Grund beim Spiel gegen Dynamo Dresden ein Nostalgie-Tränchen zu vergießen. Auch die Fans des Halleschen FC, des Chemnitzer FC, des FC Energie Cottbus und des F.C. Hansa Rostock werden ziemlich sicher noch einmal in den Genuss kommen, den geräumigen Gästeblock betreten zu dürfen und von dort aus in gefühlter 40-Meter-Distanz zum Rasen das jeweilige Spiel zu beobachten.
Rot-Weiß Erfurt vs. Dynamo Dresden: 3.000 Gästefans feiern trotz Niederlage
HotJa, das Steigerwaldstadion hat einen speziellen Charme. Die markanten Flutlichtmasten. Die riesige Heimkurve, die nach 80er- und 90er-Jahre-Fußball schnuppert. Der Gästebereich, der locker 3.000 Fußballfreunden einen Platz bietet. Allerdings sind die Entfernungen von den jeweiligen Rängen zum Spielfeld schon fast abstrakt. Es ist ja nicht nur die Rundlaufbahn. Nein, drumherum ist zudem ein Rasenstreifen. Weitläufiger kann ein Stadion kaum sein. Die Luftlinie von einer Kurve zur anderen ist beachtlich und ganz klar rekordverdächtig. Keine Frage, solch ein Stadion ist nicht mehr zeitgemäß. Bei annehmbarem Wetter und lukrativem Gegner mag die Spielstätte Kultcharakter haben, doch an einem kühlen Herbstnachmittag ein Drittligaspiel gegen die U23 des 1. FSV Mainz? Kein Wunder, dass der Zuschauerschnitt beim FC Rot-Weiß Erfurt nicht gerade der höchste ist. Und zudem verständlich ist, dass die Erfordia Ultras von der windigen Kurve auf die Haupttribüne unter das Dach zogen. Blickkontakt zum Gästeblock, bessere Stimmung.
Apropos Stimmung. Diese wusste die schwarz-gelbe Anhängerschaft wieder zu verbreiten. Über 3.000 Fans der SG Dynamo waren in die Thüringische Landeshauptstadt gereist. Die Mehrzahl von ihnen mit Bus und Autos. Nur wenige trafen kurz vor 12 auf dem Schienenweg am Erfurter Hauptbahnhof ein. Aufgrund der Absperrungen und des Polizeiaufgebots hätte man denken können, es rolle sogleich ein Sonderzug mit 1.000 Dynamo-Fans ein. Das Drittligaspiel war ein Sicherheitsspiel und somit wurde die Teilung der Stadt konsequent und routiniert durchgezogen. Verärgert zeigten sich die Erfurter Fans über den erhobenen Sicherheitszuschlag. Zu Beginn blieb ein Block auf der Haupttribüne frei. Auf zwei Spruchbändern war schwarz auf weiß „Sicherheitszuschlag abschaffen!“ zu lesen. Später wurde noch einmal nachgelegt: „Wo bleibt der Sinn eines Sicherheitsspiels? Panikmache ist euer einziges Ziel! Schei** DFB!“
Von einer außergewöhnlichen Brisanz war auf den Rängen nicht allzu viel zu spüren. Beide Fanbereiche machten prima Stimmung und zogen ihr eigenes Repertoire durch. In Perfektion kann dies mittlerweile der Anhang aus Elbflorenz. Vor dem Spiel wurden sämtliche Banner und Zaunfahnen sorgfältig befestigt. Jedes Stück Stoff bekam sein zugewiesenes Plätzchen. Warmklatschen und dann bei Anpfiff ein erstes „Dy-dy-dy-dy ...“ mit Wippeinlage. Im Stehplatzbereich wurde anfangs eine Mittmachquote von nahezu 100 Prozent erreicht. Beeindruckend, doch Spielraum für spontanen Fangesang gibt es wirklich nicht mehr. Aufgrund der Entfernung zu den Heimfans und zum Spielfeld wirkte der Gästeblock mitunter fast ein wenig sonderbar. Autark wurde dort versucht, bestmöglich den Support umzusetzen. Mitunter überaus sehens- und hörenswert, doch für Freunde des Old-School-Fußballs sicherlich nicht immer nach Geschmack. Verbales Freidrehen und einfach nur die Emotionen rauslassen – das ist in solch einem Gästeblock kaum noch möglich. Immerhin gibt es im Steigerwaldstadion zwei benachbarte Sitzplatzblöcke, in denen sich die ältere Garde der SG Dynamo niederlassen konnte.
Und auf Heimseite? Unter dem Dach sorgte der Block der Ultras Erfordia für passable Atmosphäre, gegenüber in der eigentlichen Heimkurve entstand ein weiterer Stimmungsblock. Auch dort versuchten zwei, drei RWE-Fans, die Angelegenheit von Zaun bzw. Podest aus den Support ein wenig zu koordinieren. Als im aus Erfurter Sicht hervorragenden Spielverlauf die Kurve und der Block der Ultras phasenweise gemeinsame Sache in Form von klassischen Wechselgesang machten, wurde es im weitläufigen Stadion bemerkenswert laut.
Auf dem Rasen wirkten die Erfurter Spieler frischer. Während den Dresdnern noch der Pokalfight gegen den FC Schalke 04 in den Knochen steckte, machte der Rot-Weiß Erfurt weitgehend das Spiel. Bereits nach 16 Minuten machte Andreas Wiegel nach prima Flanke von Czichos das 1:0 für Erfurt. Dresden mühte sich durchaus, doch kurz vor der Pause waren es die Hausherren, die fast das 2:0 erzielten. Einen Schuss von Menz lenkte SGD-Keeper Kirsten über das Gehäuse. In der zweiten Halbzeit legte Andreas Wiegel in der 65. Minute prima vor, Kevin Möhwald lochte zum viel umjubelten 2:0 ein. Der Sieg gegen den Rivalen aus Sachsen war fast in trockenen Tüchern. Die Gäste mühten sich besonders zum Ende hin redlich und drängten die Erfurter in die eigene Hälfte, doch ein Tor sollte nicht mehr herausspringen. Wirklich krumm nahmen dies die mitgereisten Fans nicht. Die Mannschaft tat was möglich war – und schließlich hatte man dem komplett neu zusammengestellten Team vor Saisonstart nicht allzu viel zugetraut. Alles im Lot also. Die Gästefans machten auch nach Abpfiff Stimmung und die Spieler kamen zum Abklatschen an den Zaun.
Breits am kommenden Dienstag ist in Dresden die Mannschaft von Holstein Kiel zu Gast. Nur einen Tag später folgt im heimischen Stadion das Oberliga-Nachholspiel zwischen der SG Dynamo Dresden II und dem 1. FC Lokomotive Leipzig. Am Samstag tritt die erste Mannschaft schließlich bei Wehen-Wiesbaden an. Erfurt reist indes tief in den Westen und kann gleich dort bleiben. Dem Auswärtsspiel beim SC Preußen Münster folgt die Partie beim VfL Osnabrück ...
Fotos: Marco Bertram