Endlich den Rauten-Trägern diese verdammte Uhr abschalten. Dem Dino den sportlichen Genickschuss geben - und gut ist! Und auch den Münchener Löwen wünschten nicht wenige, dass sie von den Störchen aus Kiel zur Strecke gebracht werden. Richtig genüsslich ausweiden, sich ergötzen, wenn die großen Platzhirsche ins Straucheln geraten und am besten in der allerletzten Sekunde den tödlichen Nackenschuss erhalten. Gern von hinten. Am besten mit einem richtig fiesen Ding. Vor allem beim Relegationsduell Karlsruher SC vs. Hamburger SV war es erstaunlich, wie hoch die Wellen schlugen. Beim Blick auf die Neuigkeiten bei Facebook, hatte man das Gefühl, Deutschland bestünde nur noch aus HSV-Hassern. Von solch einer Flut an Verwünschungen können ja sogar die Bayern nur träumen. Und auch dem TSV 1860 München erging es beim Spiel gegen Holstein Kiel nicht viel besser. „Die ganze Saison über scheiße gespielt, also weg mit denen“. Mal ganz ehrlich: Wer interessiert sich sonst großartig für den KSC oder Holstein Kiel? Am Sonntag- und Montagabend gab es jedoch plötzlich Millionen Fußballfreunde, die den Badenern und Schleswig-Holsteinern feste die Däumchen drückten.
Tradition oder was? Der merkwürdige Wunsch nach erlegten Löwen und gefallenen Dinos
HotIn Deutschland hat es Tradition, sich daran zu ergötzen, wenn Platzhirsche zur Strecke gebracht werden. Egal, ob es der umstrittene Bundespräsident, eine einstige Popikone oder eben ein Urgestein der 1. Bundesliga ist. Den Borussen aus Dortmund wäre es wohl ähnlich ergangen, wenn sie den Sprung aus dem Abstiegsstrudel nicht vorzeitig geschafft hätten. „Scheiß Millionäre!“, fällt einem immer wieder ein, wenn der BVB 09 zwischenzeitlich mal ins Straucheln gerät. Die Krise vor einem Jahrzehnt ist unvergessen. Der Dortmunder Verein stand plötzlich mit „all sein Legionären und Zig-Millionen-Verdienern“ im Fokus. Bei seinen eigenen Fans, bei all den Fußballfreunden landesweit. Das Konstrukt Bundesliga als Millionen-Geschäft geriet ein klein wenig ins Wanken. Am Ende packte damals die Borussia den Klassenerhalt und auch in Sachen Image wurde später die Kurve gekriegt. Nicht zuletzt Dank des sympathischen Trainer Jürgen Klopp, der eben - zumindest in den ersten Jahren - nicht als reicher Schnösel rüberkam.
Zurück zur Gegenwart. Es ist eine merkwürdige und zutiefst widersprüchliche Epoche des deutschen Fußballs. Einerseits ertönt der Schrei nach Tradition immer lauter, auf der anderen Seite wird genau jenen Vereinen, die über Jahrzehnte die 1. Bundesliga geprägt haben, inbrünstig der Absturz gewünscht. Dem Hamburger SV und auch dem VfB Stuttgart. Um das Ganze ein wenig abzudeckeln wurde immer wieder betont: „Na ja, die haben so scheiße gespielt, die müssen einfach weg!“ Doch wer soll denn die frei werdenden Plätze einnehmen? Die gleichen Leute, welche den Hamburgern und Stuttgartern den Abstieg wünschten, meckerten lautstark, als Fußballzwerge wie der SC Paderborn nach oben kamen. Und natürlich erfreut sich niemand an Bayer 04 Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim. Groß die Empörung, als mit dem FC Ingolstadt 04 ein weiterer neureicher Verein, hinter dem ein Autokonzern steht, den Sprung in die 1. Bundesliga packte.
Kurzum: Es ist nicht ganz klar, was das allgemeine Fußballvolk denn nun möchte. Weg mit den unattraktiven Fußballzwergen? Weg mit den aufstrebenden reichen Vereinen wie Hoffenheim und Wolfsburg? Weg mit den alten, angegrauten Platzhirschen VfB Stuttgart und dem Hamburger SV? Was für eine 1. Bundesliga wünscht man sich denn? Solch eine wie zu Beginn und Mitte der 90er? Oder eine, aus der die Alten mit einem Arschtritt reihenweise in die Unterklassigkeit befördert werden? Ganz ehrlich, ich persönlich wurde aus dem Treiben nicht schlau. Über den Sinn der Relegation kann man sich wahrlich streiten. Wenn innerhalb einer Minute eine ganze Saison entschieden wird, ist das hart. Vor allem, wenn eine strittige Schiedsrichterentscheidung im Spiel ist. Andererseits gibt es solche Hopp-oder-Topp-Situationen auch am letzten Spieltag.
Ein fieses Ding in der 89. Minute, das den Meistertitel ebnet. Indirekter Freistoß in der Nachspielzeit. Alles schon gehabt. Klassenerhalt oder Abstieg. Europapokal oder doch nur leere Hände. Champions League oder doch nur Europa League?! Und ja, die Relegation lässt sich sportlich umgehen. Weitaus mieser und zurecht harsch kritisiert ist dagegen die Aufstiegsrunde zur 3. Liga. An dieser führt kein Weg dran vorbei und in diesem Jahr blieben wieder zwei Regionalliga-Meister (Gladbach II und Kickers Offenbach) auf der Strecke. Logisch, dass niemand um Gladbach II eine Träne vergießt, doch es geht ja nur um den Fakt. Keine Frage, für den Aufstieg von den Regionalligen in die 3. Liga muss verdammt noch mal eine andere Regelung her.
Bei den Relegationen zwischen 3. Liga und 2. Bundesliga sowie 2. Bundesliga und 1. Bundesliga kann man indes ein wenig gelassener sein. Für den Vertreter aus der oberen Liga ist die Relegation eine Hintertür, für den Vertreter aus der unteren Liga eine zu bewältigende Hürde mehr. Um sicher aufzusteigen muss halt Platz eins oder zwei belegt werden, so einfach ist das. Und die selben Leute, die das bemängeln und mit harten Worten angreifen, kritisieren zeitgleich, dass womöglich der Drittplatzierte der NOFV-Oberliga über die Aufstiegsrunde ins Rennen geht. „Was will der 1. FC Lok Leipzig als Dritter in der Regionalliga?“, wurde neulich gefragt. Tja, was wohl? Das Gleiche, das Holstein Kiel wollte. Einfach eine Etage höher spielen.
Und nochmals die Frage an all die HSV-Hasser und Stuttgart-Hasser: Worum geht es unter dem Strich? Welch eine Bundesliga wünschen wir uns? Eine attraktive Liga mit möglichst vielen Traditionsvereinen, welche seit den 60ern den Oberbau des deutschen Fußballs entscheidend mitgeprägt haben? Oder eine Liga, in der möglichst viele Fußballzwerge wie Paderborn mitwirken? Die Bundesliga kann schließlich nicht nur aus dem Vorzeigeklub SV Darmstadt 98 bestehen. Der Durchmarsch dieses Vereins ist wahrlich überaus erfreulich. Das Stadion erinnert an die alten Zeiten. Eine Wohlfühl-Geschichte inmitten des von Geldes geprägten Bundesliga-Geschäfts.
Verständlicher sind indes die Wünsche, manch eine interessante Konstellation in einer bestimmten Liga zu haben. „Schade, das Hamburger Derby hätte ich schon mal gern wieder gesehen!“, konnte vielfach in sozialen Netzwerken gelesen werden. Oder auch: „Och, die Sechzger wären für die 3. Liga echt eine Bereicherung!“ Damit kann man doch leben. Das macht doch Fußball aus. So ergibt es auch einen Sinn, wenn viele aus dem Osten meinten: „Lass die Jungs aus dem Schacht mal absteigen, dann gibt es noch mehr regionale Derbys!“ Und wahrlich darf das Duell FC Erzgebirge Aue vs. Chemnitzer FC mit absoluter Hochspannung erwartet werden. Ganz klar, ich kann mit dieser Art der Vorfreude wahrlich was anfangen. So „richtig geil sein“ auf brisante Duelle und spannende Konstellationen. Mit pochendem Herzen die neue Drittligasaison erwarten, in der die halbe einstige DDR-Oberliga vertreten ist. Mit einem plumpen „Runter mit dem Löwendreck oder HSV-Pack!“ kann ich indes herzlich wenig anfangen.
Fotos: Claude Rapp, Marco Hensel, Marco Bertram, Felix, Arne Amberg
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Ligen
- 1. Bundesliga
- 2. Bundesliga
Benutzer-Kommentare
VG Holger
Eine volksnahe Bundesliga - das wäre der richtige Schritt. Wenn Tradition, dann die richtige aus den Anfängen mit dem Blick auf die Spieler, die noch selbst schuffteten. Jeder meckert über die teuren Eintrittspreise, Kommerzialisierung usw. und rennt trotzdem noch den gestylten Milchbubis, die im Leben noch nichts anderes vollbracht haben, hinterher.
Da möchte ich doch mal sogleich antworten. Das angeführte Beispiel Remscheid gefiel mir außerordentlich gut. Richtig, damals dachte ich, was für eine armselige vergammelte Hütte, dieses Röntgenstadion. Heute erinnert man sich gern an diese Zeiten zurück und lernt solche alten Spielstätten zu lieben. Nur am Rande: Als die neuen Stadien in Magdeburg und Rostock eröffnet wurden, dachte ich: Was für trostlose Blechhütten. Heute habe ich eine andere Meinung zu. Die Schlichtheit dieser Stadien und die Stimmungsfreundlichkeit weiß ich inzwischen zu schätzen. ;-)
Was HSV & Co. betrifft: Ich persönlich habe mit dem Verein nix am Hut. Unter dem Strich wäre ich auch der Meinung: Ein Abstieg würde gut tun. Dem Verein, der Fanszene. Das war bei Hertha BSC ja auch keine schlechte Sache. Was mich am Tag der Relegation dann aber doch zutiefst geärgert hatte, waren all die tausenden Kommentare gegen den HSV. Es meldeten sich Leute zu Wort, bei denen ich dies nicht gedacht hätte. Und in der Tat waren es zum Teil zufällig die gleichen Leute, die über den Aufstieg der Ingolstädter abkotzten und sogar meinten, dass Lok Leipzig als Tabellendritter nicht den Aufstieg in die RL verdient habe.... Das war mir dann doch alles zu widersprüchlich. Deshalb dieser Bericht.
Wer meine Berichte liest, weiß, dass ich mich in den unteren Ligen wohler fühle. 3. Liga, Regionalliga und auch die Oberligen. Klar, das liegt auch daran, dass mein örtlicher Bezug nun mal vorhanden ist zu vielen Drittligisten. Zur 1. Bundesliga schreibe ich eher selten was. Es sei denn, es geht um willkürliche Polizeieinsätze in Gelsenkirchen, die Problematik bei Braunschweig - H96 oder die Problematik mit Herrn Kind persönlich. Wenn es danach geht, müsste man Hannover den Abstieg wünschen. Aber würde ich dies der dortigen Fanszene wünschen? Es macht das Ganze immer recht schwer. Allzu oft schlagen mehrere Herzen in einem und es gibt verschiedene Beweggründe, die konträr sind. Unter dem Strich sollte mein Bericht Gedankenanstöße geben - und das tut er wohl. Davon ganz abgesehen hätte ich mich sehr auf das Derby in Hamburg gefreut, andererseits ist es auch eine Leistung, wenn ein Verein seit Beginn an sich in der BL hält.
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen. Mich ärgerte die Polemik in Bezug auf 1860 und den HSV. Und genau deshalb habe ich in diesem Bericht einiges überspitzt auf Papier gebracht, oder besser gesagt, in den Computer getippt...
Mit besten Grüßen
Marco Bertram
einige Punkte die sie ansprechen erinnern stark an Ihr Buch "Zwischen den Welten". Stichwort Böllenfalltor: "Das Stadion erinnert an die alten Zeiten. Eine Wohlfühl-Geschichte inmitten des von Geldes geprägten Bundesliga-Geschäfts." Anfang der 90er waren Sie beim FC Remscheid und dann noch einmal Jahre später. Erst Stadion pfui - und heute da "traditionell" - hui. Auch Ihrer Fanvita (Bayer, Hertha, Union, BFC, ManU...) lässt sich entnehmen, dass Sie gern verschiedene Szenen besuchen und sich auch gern begeistern lassen. Und Begeisterung geht über Abwechslung und nicht Langeweile - so wie der HSV in Liga 2. Ob das alles rationell ist? Ich meine, zum einen kauft man sein Essen preisgünstig im Supermarkt und andererseits geht man schick und teuer mit seiner Liebsten essen. So ist das überall im Leben.
RWG