Fußball in Polen - der Wind dreht sich: Mechanik Warnice vs. Czarni Lubanowo

M Updated 16 Juni 2016
Fußball in Polen - der Wind dreht sich: Mechanik Warnice vs. Czarni Lubanowo

WarniceEs ist der letzte Spieltag. Es geht um den Aufstieg. Es fällt die Entscheidung über den Lohn einer ganzen Saison mit absolvierter Vorbereitung – Hinrunde – Vorbereitung – Rückrunde. Nun wird es den deutschen Leser vermutlich nicht ganz so brennend interessieren, wie der Stand in der Stettiner Landesliga ist. Sollte es doch welche geben, dann sei gesagt, dass vor dem letzten Spieltag Lubanowo und Warnice die Möglichkeit hatten, die Saison mit dem Aufstieg zu beenden. Im letzten Duell trafen sie nun direkt aufeinander. Warnice benötigte den Sieg, den sie aber nicht erreichten. Lubanowo gewann mit 0:2, und der umjubelte zweite Treffer kann auf youtube bewundert werden. Seine nach sich ziehenden Emotionen wurden im Bilde festgehalten. Am Ende landete Czarni Lubanowo gar auf Tabellenplatz 1. Wesentlich interessanter dürfte der Kontext dieses Spiels gewesen sein. Damit sind nicht die über 400 Zuschauer gemeint. 

Das Spiel lief bereits, und zwei Polizisten waren derweil beschäftigt, die Kennzeichen der Autos abzuschreiben. Falschparker? Ganz und gar nicht. Das Spiel lief wirklich unter Risikospiel. Diese Thematik hatten wir bereits erläutert. Zündet ein Fan bei einem normalen Spiel unter Ordner-Absicherung eine Fackel, dann bekommt der Verein die Strafe. Zündet er jedoch bei einem Risikospiel, dann darf die Polizei von ihrem Sonderrecht Gebrauch machen, ihn festnehmen und zum Gericht schicken, wo er theoretisch für eine Fackel drei Jahre absitzen könnte. Bei diesem Spiel der 7. Liga handelte sich es aufgrund der Zuschauerzahl und aufgrund Lubanowos rüpelhafter Vorgeschichte um ein besonderes Spiel, wo die Polizei „freie Bahn“ hatte. Bei „normalen“ Spielen von Czarni Lubanowo wird der Besucher in der Regel nur von den auf dem Platz stattfindenden Darbietungen unterhalten. 

CarniDoch kommen wir zurück zum Spiel auf den Rängen. Czarni zählte ca. 35 Fans, die sich im Gästeblock niederließen. Am Zaun hingen drei Fahnen. Eine davon war die Freundschaftsfahne mit Grot Gardno (auch ein Verein in der Nähe von Gryfino). Auch Grot Gardno sieht man normalerweise nur sehr selten als aktive Fangruppe. Man könnte die Situation mit Tierfotografen vergleichen, die lange warten müssen, ehe sie die bestimmte seltene Art vor der Linse haben. Das, was dort im Gästeblock stand, war eine bunte Mischung aus Leuten: Männlein, Weiblein, Leute mit weniger Haar, Leute mit mehr auf dem Kopf und auch ein älteres Semester. Kurz gesagt waren es Fans. Der Pole unterteilt gern in Picknick-Fans (pikniki) und Pseudofans (pseudokibice), wobei schon erkannt wurde, dass der Begriff pseudokibice nicht ganz zutrifft, da die organisierten Fans auch durch soziales Engagement ein gesellschaftskonformes Verhalten an den Tag legen können, nicht unbedingt den bildungsfernen Schichten angehören und mit dem Klub auch durchs Feuer gehen werden. 

Andererseits kommt es auch zu Gewaltanwendungen, die aber auch traditionell in der Ultra-Definition verankert ist, was oft gewiss nicht vertretbar ist. Im Gegensatz zur im Fernsehen gezeigten ganz normalen Gewalt im Kinderprogramm und im allgemeinen TV-Angebot, Abschlacht-Szenarien in Computerspielen und akzeptierter Gewalt bei Volksfesten, wird die eigentlich nur marginal bedeutende Gewalt im Zusammenhang mit dem Fußball von der Gesellschaft als überaus wichtig erachtet. Leute ertrinken im Mittelmeer, aber gehen in einer Gaststätte Teller und Tassen im Wert von 50 € kaputt und Fans sind nicht weit weg, dann zieht es auch schon mal längere Berichte nach sich. Die Relationen würden Außenstehende überraschen. Wir waren bei den „Falschparkern“ stehen geblieben. Beide Fanblöcke sind aktiv. Mechanik Warnice singt etwas mehr und etwas besser. Es sind die üblichen Lieder wie „Mechanik Warnice wir lieben Dich! Wir werden im Guten und im Schlechten Dir treu zur Seite stehen! Bis zum Ende werden wir kämpfen!“

WarniceNebenbei haben sich die Polizisten alle Kennzeichen notiert. Pervers? In Deutschland jedenfalls unüblich. In Polen ist es aber schon eine gewaltige Veränderung. Bei Risikospielen wurden sonst die Personalien von allen aufgenommen – Frau, Rentner, Pseudo-Fan. Manchmal sogar doppelt. Sicherlich ist selbst das Abschreiben noch eine radikale Maßnahme, aber man kannte es bereits noch schlimmer. Ein Böller detoniert. Kurz darauf ein weiterer. Doch wo sind die Polizisten, die sich sonst diese Gelegenheit nicht nehmen ließen, entweder gleich die Leute mit Knüppel, Geschoss und Spray zu bearbeiten oder sie so zu provozieren, dass irgendwann der Gewaltausbruch unausweichlich war? 

Ein Fan teilt meine Beobachtungen. Seit dem Regierungswechsel geht es etwas lockerer zu. Die Polizisten, deren Hauptaufgabe nun im Kontrollieren und Feststellen liegt, kommen z.B. bei diesem Spiel erst sehr viel später nach dem Zünden der Böller auf den Sportplatz. Sie filmen einmal in die Menge und ziehen sich wieder zurück. Mit der Kamera in der Hand dokumentieren sie „nur“, wer das Stadion verlässt. Verhaftungen standen früher auch bei „Dorf-Kicks“ an der Tagesordnung. Natürlich sind es für Westeuropäer dennoch ungewohnte Mittel, aber man muss die Entwicklung betrachten. Diese geht nun doch wieder mehr in Richtung Menschlichkeit. Der Fan fügt außerdem hinzu, dass die absurden Artikel über angebliche Ausschreitungen in den Medien rar geworden sind. Trotz des Status Risikospiel und zweier Böller hält sich die Polizei zurück. Den Medien wird kein Futter gegeben. 

LubanowoDass die Fans und Spieler beider Mannschaften nach dem Spiel gemeinsam feiern, findet außer hier nirgends Erwähnung. Eine gelungene Veranstaltung, die Leute zusammenführt. Das passt nicht ins Bild der durch den Westen geführten polnischen Zeitungen über das aktuelle Polen, in dem radikale Gruppen wie die KOD versuchen, durch Aufmärsche unter dem Deckmantel der Demokratie das Volk zu spalten, was auch den Fans Sorge bereitet. Schnell könnte sich das Blatt wieder wenden und das brutale Vorgehen gegen diese Menschen zurückkehren, die für demokratische Werte stehen, Solidarität und Gemeinschaft leben, die für die Freiheit kämpfen und durch soziale Leidenschaft bereits so manches Leben retteten und sogar durch Sammelaktionen viele hungrige Tiermägen füllten. Schon Adam Mickiewicz warnte davor, dass einmal „kleine fiese Gestalten“ das Erbe nach einem großen Knall übernehmen werden würden. Sollen die Fans wirklich diese gemeinten Gestalten sein?  

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
15 Juni 2016
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5 Kommentare
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G
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Danke!
M
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Weiter so, Micha!
U
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Einwandfreier Bericht! Sehr interessante Einblicke in den polnischen Fußball!
J
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MB
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