Sieben Jahre lang mussten die Fans von Hertha BSC warten, bis die Alte Dame mal wieder auf dem europäischen Parkett ein Tänzchen hinlegt. Wer hätte damals, als in der Saison 2009/10 im EL-Sechzehntelfinale gegen Benfica Lissabon das Aus erfolgte, gedacht, dass die Durststrecke dermaßen lang sein wird. Nun ist es wieder soweit - und für manch einen jungen Hertha-Fan aus der Ostkurve dürfte es das erste Mal gewesen sein, dass gegen einen europäischen Vertreter der eigene Verein nach Kräften unterstützt wird. Das Los meinte es wahrlich gut mit der Hertha. Als klar war, dass Brøndby Idrætsforening in Berlin die Visitenkarte abgeben wird, wurde im Netz mobil gemacht. Da zudem wieder im Jahn-Sportpark gespielt wurde, kauften sich kurzerhand auch zahlreiche neutrale Fußballfreunde ein Ticket, um dem möglichen Spektakel auf den Rängen beizuwohnen. Ehe sich manch einer entschließen konnte, auch zum JSP zu pilgern, war die gestrige Partie ausverkauft.
Hertha BSC vs. Brøndby IF: Danish Dynamite beim Marsch und auf den Rängen
HotWas will man mehr? Abendspiel im Stadtteil Prenzlauer Berg. In einem Stadion, das noch osteuropäischen Charme versprüht. In einer Gegend, in der es vor Kneipen und Spätkaufs nur so wimmelt. Europapokal mitten im Herzen der Stadt. Und auch die Fans aus dem Kopenhagener Vorort Brøndby hatten richtig Bock auf die Sause in die deutsche Hauptstadt. Schnell sprach sich herum, dass die Brøndby-Fans sich am Alexanderplatz treffen werden und ganz in Gelb nach Möglichkeit zu Fuß zum Stadion marschieren werden. Als gegen 16:30 Uhr am dortigen, auf der anderen Straßenseite gelegenen Hofbräuhaus vorbeigeschnuppert wurde, ergab sich der erhoffte Anblick. Glückseeligkeit in Gelb. Das Bier floss in Strömen und fröhlich wurde der eine oder andere Gesang angestimmt. Einzelne Dänen hatten sogar den eine Straße weiter gelegenen Discounter gefunden. Dort trauten sie kaum ihren Augen. Was für Preise für Bier und Schnaps - aus Sicht der Skandinavier. Rauf damit auf das Band und der Kassiererin gleich vor Freude das sämtliche Wechselgeld als Trinkgeld gegeben. Die rund drei Euro wollte / konnte sie jedoch nicht annehmen. Wohin also mit den lästigen Münzen? Kurzerhand wurden sie mir in die Hände gedrückt. „Good stuff, good german!“ Damit meinte er sowohl das alkoholische Trinkgut als auch mein angelegtes Hemd.
Allerdings war nicht jeder Brøndby-Fan so tiefenentspannt. Als sich die gelbe Truppe - bestehend aus hunderten Fans - zum Marsch sammelte, gab es schon mal eine klare Ansage auf Dänisch in Sachen Fotografieren und Filmen. Später entspannte sich diesbezüglich jedoch die Angelegenheit, und die Arbeit konnte problemlos verrichtet werden. Pünktlich wie die Maurer setzten sich die Dänen wie geplant um 17:30 Uhr in Bewegung. Nach einer scharfen Linkskurve wurde die Straße überquert und durch das Gehölz der Weg in Richtung U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz gewählt. Begleitet von polizeilichen Einsatzkräften kam am U-Bahn-Eingang der Mob zum Stehen. Rein oder nicht? Einige Minuten wurde beredet und diskutiert, die Polizisten hielten den Eingang verschlossen. Indes wurde sich mit einem Ball die Zeit vertrieben. Unter Gejohle wurde sogar ein offenes Wohnungsfenster getroffen. Noch größer war das Gejohle, als mit einem Lächeln die Bewohnerin den Ball zurückwarf.
Letztendlich ging es zu Fuß weiter. Die Schönhauser Allee entlang bot die gelbe Truppe einen echten Hingucker. Etwas hektisch wurde es an der Eberswalder Straße. Einige Hertha-Fans waren in Sichtweite, es folgten Wortgefechte und zaghafte einzelne Angriffsversuche. Mindestens ein Brøndby-Fan wurde festgenommen und mit T-Shirt über dem Kopf in die „Wanne“ gebracht. Dass es an der belebten Straßenkreuzung unter dem Strich friedlich blieb, lag auch daran, dass die Polizei das Berliner Fanprojekt abgeschirmt hatte. Dort Bier trinkende Herthaner konnten somit nicht rüber zum vorbeiziehenden Fanmarsch.
Am Stadion wurde indes wieder klar, dass die Einlasssituation wahrlich unterirdisch ist, wenn tausende Fußballfreunde hineinwollen. Die Ordner verrichteten einen guten Job und gaben sich Mühe, möglichst fix die Hertha-Fans zu kontrollieren, doch geschätzte 14.000 Zuschauer durch ein einziges Nadelöhr zu lassen, ist wirklich derb. Erinnerungen an das Chaos vom Aufstiegsspiel Hertha BSC II vs. SG Dynamo Dresden zu Beginn des Jahrtausends wurden wach. Fakt ist, es wird höchste Zeit, dass sich diesbezüglich bautechnisch recht bald etwas ändert. Für den Regionalliga-Alltag mag das Ganze ausreichen, für eine ausverkaufte EL-Partie war die Situation indes grenzwertig.
Auf den Rängen herrschte zu Spielbeginn auf beiden Seiten eine flotte Stimmung. Im Gästeblock bildeten zahlreiche Fahnen ein blau-gelbes Meer. Auf Heimseite hatte sich der aktive Kern am Übergang von Kurve zu Gegengerade unter dem Dach positioniert. Eine gute Wahl. Dass die aktiven Hertha-Fans diese Partie im JSP nicht als Heimspiel ansehen, wurde unter anderen am aufgehängten Banner deutlich. Und da es sich sozusagen um ein Auswärtsspiel handelt, konnte aus Sicht der Ultras mal wieder gezündet werden. In der heimischen Ostkurve im Berliner Olympiastadion wird indes seit gefühlter Ewigkeit nichts mehr abgebrannt. Am gestrigen Abend wurden in der Dämmerung zu Beginn der zweiten Halbzeit auf dem Zaun etliche Fackeln abgezündet. Pfiffe auf den Rängen? Waren kaum / nicht zu vernehmen. Wohlwollendes Nicken bei den neutralen Fußballfreunden, die einfach mal schauen wollten. Beste Stimmung bei den Hertha-Fans, zumal ihr Team Dank eines sehenswerten Treffers von Ibisevic nach knapp einer halben Stunde mit 1:0 in Führung ging.
Und bei Brøndby? Die würden doch sicherlich etwas in den Taschen haben. Aber klar! Als es noch etwas dunkler wurde, gab es wie auf Knopfdruck eine Pyro-Aktion, welche die einen die Hände vor den Kopf schlagen ließ und bei den anderen die Herzen höher hüpfen ließ. Es wurde gefackelt auf Teufel komm raus, dazu stiegen etliche Leuchtkugeln gen Himmel. Die Routine beim Abbrennen bewies: In Skandinavien wird das Ganze eh in der Regel etwas anders gehandhabt. Für manch einen Fußballbegeisterten auf den Rängen war der Europapokalabend gerettet. Manch einer kam in den sozialen Netzwerken nicht mehr aus dem Schwelgen raus. Hertha BSC konnte auf dem Rasen das 1:0 in trockene Tücher bringen, und nachdem die Mannschaft gefeiert wurde, gab es auch im Heimbereich nochmals was zu sehen. Wieder wurden auf dem Zaun zahlreiche Fackeln zum Leuchten gebracht. Ein klares Zeichen: Es gibt schließlich noch ein Rückspiel, zu dem die Fanszene von Hertha BSC richtig mobil macht. Ganz klar, auf die Auftritte der beiden Fanlager darf man gespannt sein!
Fotos: Marco Bertram, Felix