Wie soll man sagen? Fußball-Leipzig dreht bereits am Rad?! Fußball-Leipzig ist Feuer und Flamme?! Fakt ist, selten dürfte ein Derby zwischen einem Fünft- und einem Viertligisten dermaßen hohe Wellen schlagen wie das Duell BSG Chemie Leipzig vs. 1. FC Lokomotive Leipzig. Mehr Derby geht nicht. Das „Mehr“ wird jeder für sich selbst interpretieren. Die einen freuen und hoffen inbrünstig, dass dem Rivalen auf dem grünen Rasen endlich mal wieder ein Bein gestellt wird, ach was, dass der Rivale so richtig derb aus dem Landespokal gegrätscht wird. Andere lechzen nach einer grandiosen, knisternden Fußballatmosphäre. Wiederum andere verspüren nur Hass. Tief sitzenden Hass auf den Lokalrivalen. Wie tief bei manchen der Hass sitzen muss, wird deutlich, wenn man auf den einschlägigen Facebook-Seiten und in diversen Foren stöbert. Manch einer redet gar nicht groß um den heißen Brei herum und lässt die Maske sogleich fallen. Erstaunlich, wie offen der eine oder andere die Gegenseite beleidigt und harte Konsequenzen ankündigt. Oder wie meint eine Gemeinschaftsseite? „Die Wochen der Wahrheit brechen an…“ Wochen? Ja, bereits die Zeit vor dem eigentlichen Derby im Alfred-Kunze-Sportpark am 13. November 2016 dürften hitzig werden. Störmanöver. Graffiti-Aktionen. Einschüchterungen. Ankündigungen im Internet. „Alle zum Derby! Scheiß Lok!“, war unter anderen am Geländer einer Autobahnbrücke zu lesen. Im Gegenzug präsentierten vermummte Lok-Fans zahlreiche Stoffe mit Parolen. Sicherlich ist es keine große Kunst, nachts an Geländern und Zäunen hängende Stoffe einzusammeln und diese auf ins Netz gestellten Fotos zu präsentieren. Aber klar doch, das wird erst der Anfang sein. Ich persönlich kenne keine andere deutsche Stadt, in der Fußball so brisant sein kann. Zumal politische Faktoren ganz stark mit einfließen. Probstheida und Leutzsch. Das erinnert ein wenig an die abgesteckten Reviere in Kraków oder Belgrad. Welche Rolle diesbezüglich RasenBallsport Leipzig spielt? Keine! Fantechnisch diesbezüglich nicht relevant. Beide Fanlager werden das „Produkt“ hassen, aber noch weitaus mehr wird der jeweilige Gegner gehasst. Das erinnert wahrlich an die brisanten Derbys in Polen und auf dem Balkan. Gilt wirklich zu hoffen, dass es im Großen und Ganzen friedlich bleibt und die Taktik der Einsatzkräfte auch aufgeht. Denn irgendwie, ja irgendwie beschleicht dem alten Fußballhasen ein unangenehmes Gefühl: Nicht dass man die beiden Vereine auflaufen lässt und danach der breiten Öffentlichkeit die Nachricht präsentiert: „Seht her, DAS sind Chemie und Lokomotive! Gut dass wir Red Bull mit seinem Projekt unterstützt haben…“
Leipzig bereits in Hochspannung: Derby BSG Chemie vs. 1. FC Lok wirft Schatten voraus
HotDoch jetzt erst einmal zu den Fakten. Bei der Auslosung des Landespokal-Viertelfinales fiel der Livestream aus. Als dieser plötzlich wieder lief, rieben sich die User an den heimischen Bildschirmen verwundert die Augen. Nein, echt? Ist das wirklich wahr? Das Leipziger Derby?! Schnell wurde drüber diskutiert, wo das überaus brisante Spiel denn nun ausgetragen wird. Logisch, dass viele Fußballfreunde meinten, dass im einstigen Zentralstadion gespielt werden müsste. Schließlich wurden dort 2009 und 2010 auch die Derbys zwischen dem FC Sachsen Leipzig und dem 1. FC Lokomotive ausgetragen. Na hey, im August 2009 strömten schließlich über 15.000 in die Arena. Und damals hatten die Diablos dem FC Sachsen bereits den Rücken zugekehrt und sich ganz dem Projekt BSG Chemie Leipzig zugewandt. 2008/09 wurde in der 3. Kreisklasse neu begonnen. Und wenn man bedenkt, wie sehr der 1. FC Lok beim ersten Regionalliga-Duell gegen RB Leipzig mobil machen konnte, da dürfte klar sein: Mit 20.000 Zuschauern dürfte man durchaus rechnen. Allerdings sind die jetzigen Konditionen in der Red Bull Arena ganz andere. Grundmiete und Nebenkosten dürften sämtliche Einnahmen verputzen. Und wenn dann noch hunderte Sitzschalen vor Wut zertreten werden oder sich sogar an den sanitären Einrichtungen zu schaffen gemacht wird, dann kann das Derby ganz schnell zu einem Minusgeschäft werden. Und ein Minusgeschäft in Höhe von einigen zehntausend Euro würde bedeuten: Genickbruch für die BSG Chemie.
Nach ausführlichen Gesprächen zwischen den Vereinsführungen und den zuständigen Behörden gab die BSG Chemie schließlich bekannt: Das Heimrecht wird wahrgenommen, das Spiel wird am 13. November 2016 im Alfred-Kunze-Sportpark angepfiffen. Nachdem Jahreszeit und Spielzeit-Optionen geprüft wurden, beschloss man, das Derby bereits um 13 Uhr beginnen zu lassen. Eine Anschaffung einer (mobilen) Flutlichtanlage im AKS schloss man von vornherein aufgrund der hohen Kosten aus. Was die Aufteilung der Eintrittskarten betrifft, hat man folgende Entscheidung getroffen: Von den 4.999 verfügbaren Tickets (dauerhaft begrenzte Kapazität aufgrund bautechnischer Mängel im AKS) werden 750 Tickets an den Gast aus Probstheida abgegeben. Hierbei wird betont, dass dieses Kontingent über das Mindestkontingent von zehn Prozent liegen würde. Die anderen 4.249 Tickets gehen demzufolge an die Anhängerschaft der BSG Chemie Leipzig. Damit nicht deutschlandweit Hopper und Krawalltouristen (und auch Lok-Fans) gierig zugreifen, wird ein mehrstufiges Verfahren festgelegt. Logisch, dass vor allem aktive Fans und regelmäßige Unterstützer der BSG zuerst die Chance haben sollen, eine Eintrittskarte zu erwerben. Also die Fans, die bei Wind und Wetter auf Dammsitz und Norddamm stehen. Da beim Aufstiegsspiel gegen VfB Empor Glauchau exakt 3.622 Zuschauer im AKS vor Ort waren, dürfte es durchaus möglich sein, den festen Stamm der chemischen Anhängerschaft zufrieden zu stellen. Wie der 1. FC Lokomotive Leipzig die Tickets verteilen wird, ist eine andere Geschichte. Die BSG Chemie teilt diesbezüglich nur mit: „Die 750 verfügbaren Gäste-Tickets verkauft der 1. FC Lokomotive Leipzig in eigener Verantwortung an die Gästefans.“
Bezüglich der Karten für die Heimfans heißt es in der Mitteilung der BSG Chemie: „Ab 31. Oktober erhalten Mitglieder des BSG Chemie Leipzig e. V. (Stand 1.10.2016) sowie Inhaber einer Dauerkarte der Saison 2016/2017 eine Woche lang Gelegenheit, jeweils bis zu fünf Tickets in der Geschäftsstelle der BSG im AKS zu erwerben. Zwingend notwendig ist die Vorlage des Mitgliedsausweises bzw. der Dauerkarte sowie eines Lichtbildausweises. Ab 7. November sind eventuell vorhandene Restkontingente im freien Verkauf erhältlich. Auch hier gilt eine Limitierung von fünf Tickets pro Käufer. Die genauen Öffnungszeiten der Geschäftsstelle für den Vorverkauf werden in Kürze bekannt gegeben.“ Die Preise sind wie folgt gestaffelt: 10 Euro für die Stehplätze in Heim- und Gästebereich. 12 Euro für den Dammsitz. 14 Euro für einen Platz auf der Tribüne.
Zuletzt kam es im AKS im April 2014 zu einem Derby zwischen Chemie und Lok, allerdings traf damals die BSG in der Bezirksliga nur gegen die zweite Mannschaft der Loksche. Da parallel das RL-Duell 1. FC Lok Leipzig vs. SV Babelsberg 03 ausgetragen wurde, fanden sich im Gästeblock des AKS nur zehn Lok-Fans ein. Diese durften einen 1:0-Auswärtssieg feiern und verließen auf Anraten der Ordner und Polizei noch vor Abpfiff das Stadion. Da das Spiel an einem Mittwochnachmittag ausgetragen wurde, fanden „nur“ 1.635 Zuschauer den Weg auf die Ränge. Bereits bei jenem Spiel war der zusammengenähte Schalteppich, bestehend aus zahlreichen Utensilien des 1. FC Lok bzw. des VfB Leipzig, auf welchem mit weißen Buchstaben „Gruppo Anti Lok“ geschrieben ist, der Blickfang. Mit Sicherheit wird dieser auch am 13. November am Zaun des Norddamms gut sichtbar befestigt werden.
Im Ligabetrieb trafen der FC Sachsen Leipzig und der 1. FC Lokomotive Leipzig zuletzt in den Oberliga-Spielzeiten 2009/10 und 2010/11 aufeinander. Zweimal gab es ein torloses Remis, jeweils einmal konnten Sachsen und Lok daheim mit 2:0 gewinnen. Man bedenke jedoch, dass zu jener Zeit der FC Sachsen Leipzig sämtliche Heimspiele im Zentralstadion ausgetragen hatte. Im AKS trafen die Rivalen das letzte Mal in der Oberliga-Saison 2002/03 als FC Sachsen Leipzig und VfB Leipzig aufeinander. Von einem rund 190.000-mal angeklickten youtube-Video dürften die meisten wissen, was 2002 auf den Rängen geschah. Die Beschreibung des 2008 hochgeladenen Filmchens lautet wie folgt: „Derbys in Leipzig sind anders!!! Schalke - Dortmund oder 1860 - FCB sind nur Kaffeekränzchen dagegen!“ Mit diesen Worten wollen wir diese Vorschau beenden. Mal schauen, wie heiß der Kaffee dieses Mal im Leutzscher Holz gekocht wird. Und hoffen wir, dass dieses brisante Derby keine Folgen hat, die einen der beiden Vereine in arge Schräglage bringen könnten. Lachender Dritter wäre in der Tat nur einer. Und zwar der mit den Hörnern…
Fotos: Marco Bertram
> Bericht vom Derby 2009: FC Sachsen vs. 1. FC Lok Leipzig
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Benutzer-Kommentare
Fleißig weiter machen. Nirgends wird so fannah berichtet, wie es hier geschieht.
Großes Lob aus Hessen
Gucken wir mal welche Internet-Maulhelden dann wirklich am Tag X gerade stehen. :-D
Turus.Net bringt in meinen Augen regelmäßig gute Artikel, meist neutral und immer ziemlich nah am Geschehen. Ja okay, der Artikel ist nicht der ausführlichste, aber was soll auch großartig geschrieben werden? Schließlich kommt das Spiel ja erst noch. Auf jeden Fall macht der Bericht aber Lust auf's Derby.
Und Marco: macht weiter so, viel Spaß bei dem Spiel und allen anderen auch. Lasst euch durch so sinnloses rumgemaule im Netz nicht den Spaß an der Arbeit verderben!
Sport Frei!
Krawalltourist? Wohl kaum, dann würde ich mir kaum ganze Tage ans Bein binden, um über Spiele wie Rostock - Osnabrück, Magdeburg - Kiel, ein Heimspiel von Altona 93 oder auch mal das Merseburger Derby in der VL zu berichten. In diesem Fall würde ich mir dann andere Partien suchen, wo es mit Sicherheit kracht.
Zum Text: Meine Güte, es ist kein Spielbericht, sondern in diesem Fall mal ein Vorbericht. Sicherlich nicht mit deeeeeer Tiefe. Es gab zwei Pressemeldungen der BSG, diese habe ich mit reingepackt. Dazu noch ein lockerer Rückblick auf die zurückliegenden Partien. Ja, für Leipziger wird kaum was neues im Bericht zu lesen sein. In anderen Landesteilen wird man indes mit Interesse lesen, wie die Tickets aufgeteilt und verkauft werden. Und ja, manche werden nicht mal wissen, ob der AKS nun Flutlicht hat oder nicht...
Beste Grüße
Marco
Eine Frage noch: Bist du eigentlich Krawalltourist, oder Friedensengel?