VfL Osnabrück gegen F.C. Hansa Rostock - voller Gästeblock, feurige Atmosphäre, laute Gesangsduelle. Wie das 90 Minuten hätte aussehen können, zeigten die Anhänger des F.C. Hansa Rostock zu Beginn des Spiels: "Hansa Rostock!" hallte es mehrfach durch das Stadion an der Bremer Brücke. Danach geordneter Rückzug - die aktive Fanszene verließ das Stadion geschlossen. Wie konnte es dazu kommen?
VfL Osnabrück vs. F.C. Hansa Rostock: Grenzen der Menschlichkeit
HotDieser Ostersamstag erfüllte eigentlich viele Voraussetzungen für ein angenehmes Fußballerlebnis. Endlich wehten Frühlingswinde durch das Stadion und zeigte sich die Sonne häufiger als die Wolken. Sportlich ging es zwar um nichts mehr - Hansas kurzer Flirt mit Tabellenplatz 3 war nach zuletzt drei Spielen ohne eigenes Tor vorbei; Osnabrück muss auch nicht mehr wirklich um den Klassenerhalt zittern und zeigte nach ebenfalls drei Spielen ohne eigenes Tor unter der Woche in Erfurt beim 4:4, dass auch im Niemandsland der Tabelle noch Spannung auf dem Platz herrschen kann.
Prall gefüllte Gästeblöcke sind in Liga 3 nicht die Regel und so war der Anblick der zirka 1.500 Hansa-Anhänger 10 Minuten vor Anpfiff beeindruckend - ein kurz angestimmtes "Hansa forever" zwischen der Stadionmusik machte Lust auf mehr. Doch plötzlich rannte etwa ein Duzend behelmter Polizisten im Innenraum am Block vorbei hin zu den Eingangstoren. Wenig später ertönten diverse Schmähgesänge über die Ordnungshüter aus beiden Fanlagern. Schließlich nahmen die Hanseaten ihre Zaunfahnen ab, donnerten kurz nach Anpfiff noch das eingangs erwähnte "Hansa Rostock!" trotzig ins weite Rund und verließen den Block.
Soviel zu den selbst beobachteten Geschehnissen. Diverse Augenzeugen im Stadion berichten von einer Rangelei am Zaun. Ein Ordner hatte wohl den Eindruck erweckt, einer hanseatischen Zaunfahne etwas zuleide tun zu wollen. Das war aber wohl nur das Zünglein an der Waage: Bereits die Eingangskontrollen liefen von beiden Seiten aus etwas ruppig. Ausgelöst durch intensive Personenkontrollen bei den Rostocker Anhängern - entgegen ursprünglicher Ankündigungen des Osnabrücker Fanbeauftragten. Diese Kontrollen erfolgten jedoch erst, nachdem der Kern der Szene bereits im Stadion war - es mussten sich demnach ganz normale Fans Leibesvisitationen unterziehen. Auch wenn das Wetter heute besser war: wer schon mal miterlebt hat, wie hochbetagte Herren im Winter in Schneepfützen stehend ihre Schuhe am Stadioneingang ausziehen mussten, weiß, wie entwürdigend und unmenschlich ein solches Vorgehen sein und welche Emotionen das wecken kann.
Die Wut kanalisierte sich unter anderem auf die Rettung besagter Zaunfahne, dafür kletterten einige Hansa-Fans über den Zaun in Richtung des Ordners, der eiligst in Deckung ging und im Nachhinein wohl ganz aufgelöst war - eine böse Absicht ist ihm aus diesem Puzzle an Informationen nicht zu unterstellen. Auch er ist nur ein Mensch. Auf dem Twitter-Account der Polizei Osnabrück, die von Angriffen auf Ordner und Beamte schreibt, sind hingegen wütende Meinungen zu lesen, die in dem Ordner den Aggressor sehen und die auch am Osnabrücker Umgang mit Gästefans kein gutes Haar lassen.
Nach Verlassen des Gästeblocks kam hinter diesem Aussagen gemäß Pfefferspray zum Einsatz. Vom Innenraum war nur der beißende Geruch brennender Plastik zu vernehmen. Zunächst in Halbzeit eins ansatzweise, in Halbzeit zwei dann in größeren Schwaden - die Feuerwehr sprang jeweils schnell von ihrer Bank auf und machte sich auf den Weg. Bei der verbrannten Materie handelte es sich wohl um ein Dixi-WC und wenn man dies als weiteres Puzzlestück wertet, ist dies kein Argument, das eine These stützen würde, die die Aggression ausschließlich Ordnern oder Polizei zuschreibt. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte.
Im Gästeblock war es also von Minute 3 an sehr ruhig. Über Sinn und Intention solch kollektiven Verlassens kann man geteilter Meinung sein. Im Vordergrund dürfte die Solidarität mit vermutlich verhafteten oder abgewiesenen Fans stehen - die damit zusätzlich verbundene Protestnote (gegenüber Heimverein, Polizei, Öffentlichkeit) dürfte jedenfalls keinen nachhaltigen Effekt haben. Die eigene Mannschaft hätte sich vermutlich nicht über donnernden Dauersupport beschwert, der in schwierigen Situationen ja doch noch ein letztes bisschen Ehrgeiz hervorzaubern kann.
Zunächst kamen die Hanseaten aber auch so gut klar - sie hatten das eher niveauarme Spiel gut im Griff, erlaubten den Osnabrückern kaum Freiräume und beendeten bereits nach 17 Minuten durch Pascal Breier ihre Torflaute. Bei diesem Tor hörte man den verbliebenen Gästeanhang - auch auf der Haupttribüne - plötzlich kurz ganz gut. Ansonsten waren einige Fans eher damit beschäftigt, akribisch die Aufkleber anderer Fanszenen zu entfernen. Osnabrück - im weißen Sondertrikot "Gegen Rechts" spielend - kam dann besser ins Spiel. Angestachelt vom eigenen Anhang ("Wir wollen euch kämpfen sehen!") und angeführt von Mittelfeldspieler Tim Danneberg, der mit 300 Spielen in Liga 3 heute einen Rekord aufstellte, erhöhten sie zunehmend den Druck in der Schlussphase der ersten Halbzeit, doch Janis Blaswich im Rostocker Kasten war mehrfach auf der Hut.
Zu Beginn der zweiten Hälfte belohnten sich die Osnabrücker für ihre Bemühungen: nach Flanke von links köpfte Metin Arslan zum Ausgleich ein, direkt vor den eigenen Ultras der Ostkurve. Die waren zwar das Spiel über schon gut zu hören, erhöhten aber wie auch der gesamte weitere Heimbereich nun die Dezibelzahl: "Wir sind immer da!" Für große Teile der zweiten Hälfte ging es plötzlich hin und her: Osnabrück hatte mehrere ausgezeichnete Chancen die entweder in letzter Sekunde abgeblockt wurden oder am Tor vorbei zischten. Und auch Hansa steckte nicht auf und marschierte trotzig immer wieder in Richtung Osnabrücker Tor.
Frisch eingewechselt wollte dabei auch Amaury Bischoff (Rückennummer 10) helfen. Der spielte für drei Jahre für Osnabrücks Lokalrivalen Preußen Münster, ehe er in der Saison 2016/17 an die Ostsee wechselte. Die Osnabrücker begrüßten ihn schon beim Aufwärmen mit Pfiffen und wüsten Beschimpfungen, im Spiel dann bei jedem Ballkontakt. Aus dem gesamten Heimbereich ertönte "Alle auf die 10!"und als er kurz vor Schluss von einem Abpraller aus kürzester Distanz direkt im Gesicht getroffen wurde und liegen blieb, spotteten die Osnabrücker Anhänger "Zugabe!"
Fußball ist sicher ein Ventil, um angestaute Emotionen loszuwerden, Fans sind vom Schlagabtausch auf dem Rasen elektrisiert, das niemals müde mediale Getöne, die Personalisierung und Skandalisierung zwischen den Spielen tragen ihr Übriges dazu bei. Spieler sind in einer Zwickmühle aus Vorbildfunktion/Musterprofi und Emotionen zeigen/Mensch sein. Besonders das Mensch sein gesteht man ihnen, den Unterhaltungsakteuren und emotionalen Projektionsflächen, aber immer seltener zu. Der Druck, die Selbstzweifel und Depressionen die in dieser Konstellation zwangsläufig entstehen können, werden uns allenfalls in Präzedenzfällen besonders prominenter Spieler kurzzeitig ins Bewusstsein gerufen (Deisler, Rafati, Enke, Mertesacker). Im Eifer des Gefechts behält aber tendenziell die martialische Denke "Wir spielen doch hier nicht Mau Mau im Mädchenpensionat" überhand. Es kann aber sicher nicht schaden, wenn jeder Einzelne die Konsequenzen seiner Handlungen bewusst macht. Denn trotz aller Rahmenbedingungen, die das Produkt Fußball setzt, werden doch Grenzen der Menschlichkeit überschritten - das hat der heutige Tag in mehrfacher Hinsicht gezeigt.
Auf dem Platz tat sich jedenfalls nichts mehr - am Ende nehmen beide Clubs einen verdienten Punkt mit. Während zahlreiche Osnabrücker Spieler den Wünschen einer Kinderschar am Spielertunnel nach Autogrammen, Unterhemden und allem was nicht niet- und nagelfest war, nachkamen, liefen die Rostocker zu den verbliebenen Gästefans zum Abklatschen. Die Fans des F.C. Hansa können ihre Elf am nächsten Wochenende daheim gegen Unterhaching wieder anfeuern, der VfL reist dann nach Zwickau.
Bilder und Text wurden produziert für turus.net durch https://football-wildlife-media.com
Ligen
Benutzer-Kommentare
kurz ein paar Worte zum Ganzen: Wie es angemerkt wurde auf den Kommentar von "Naja", hat unser Autor Felix - im Gegensatz zu Anika, Mia und mir - keinen direkten Bezug zu Hansa Rostock. Er schreibt regelmäßig über die Spiele des 1. FC Union Berlin und schaut ab und an über den Tellerrand (Amateurfußball, tschechischer Fußball, usw).
Ich vermute, über ein Spiel des F.C. Hansa hatte er zuvor noch nie einen Bericht verfasst. Somit war das Spiel in Osnabrück seine Premiere. Vor Ort alles zu erfassen und zu begreifen, ist vom Innenraum aus äußerst schwierig. Somit hielt ich ihn auch auf dem Laufenden, was verschiedene Hansa-Fans vor Ort zu berichten hatten.
Zu den Leibesvisitationen: So was geht gar nicht! Egal, ob solche Zelte in Mainz, München, Frankfurt, Leverkusen, Berlin, Rostock oder eben in Osnabrück aufgebaut werden. Selbst zu Zeiten erhöhter Terrorgefahr wird an Flughäfen nicht zu solchen Mitteln gegriffen. Um was geht es in einem Fußballstadion? Solche erniedrigende Mittel sind doch echt das allerletzte. Letztendlich - wenn es drauf ankommt - bringen aktive Fans ihre Sachen eh mit in den Block. Da helfen solch ausgeklügelte Gästeblöcke wie in Mönchengladbach nicht. Und wenn im Fall wie in Osnabrück im Vorfeld ganz klar versprochen wurde, auf solche Mittel zu verzichten - dann muss man sich nicht wundern, dass den Fans der Hut hochgeht...
Beste Grüße aus Polen
Marco