Ostberlin in der 1980ern... Das turus|Magazin begibt sich heute zurück in die Zeit des Kalten Krieges mit einer kuriosen Geschichte: Die US-Botschaft in Ostberlin in der Neustädtischen Kirchstraße 4-5 nahe des S-Bahnhofs Friedrichstraße war für DDR-Bürger geöffnet. Ein persönlicher Rückblick...
Geschichte hautnah: DDR-Jugendlicher in der US-Botschaft in Ostberlin
HotEs war Anfang der 80er Jahre. Als sich meine Eltern regelmäßig mit meiner Westberliner Tante im legendären Café Egon-Erwin-Kisch an der Straße Unter den Linden trafen, liefen wir stets an den Schaukästen am Gebäude der Botschaft der Vereinigten Staaten vorbei. Schon schnell registrierte ich, dass sich im Gebäude eine öffentlich zugängliche Bibliothek befand. Ich drängte meine Eltern, mit mir dort hinein zu gehen, doch sie meinten, das Risiko sei zu groß. Es war an der Eingangstür zu lesen, dass man ab dem 15. Lebensjahr ohne Begleitung der Erziehungsbertechtigten diese Bibliothek betreten dürfe.
Im August 1988 war es endlich soweit. Mit meinem DDR-Personalausweis fuhr ich zur US-Botschaft und betrat stolz mit Herzklopfen das altehrwürdige Gebäude. Ein US-Marine in Uniform stand in einem Glaskasten und bewachte den Eingangsbereich, und an einer Sicherheitsschleuse wie am Flughafen warf ein netter älterer Mann einen kurzen Blick in die Papiere. Anschließend war der Weg frei zu den Räumlichkeiten der Bibliothek. Ich war begeistert. Als DDR-Bürger befand ich mich rein rechtlich auf dem Territorium der USA. Ich warf einen Blick durch die schweren Gardinen auf die Straße, wo DDR-Beamte in Zivil und Uniform den Bürgersteig abliefen. Innerlich zeigte ich den Stinkefinger und genoss die Situation. Das alles hatte was geheimnisvolles. Ja, das war Geschichte und Politik hautnah. Bei Marie Hagen bekam ich einen Bibliotheksausweis mit Barcode. ich war die Nummer 275, es schien nicht viele Leute zu geben, die diesen Service nutzten. Und auch im Gebäude traf man nur sehr, sehr wenige DDR-Bürger an.
Man konnte in den Büchern und Zeitschriften blättern oder sich in dem dortigen kleinen Vorführungssaal einen aktuellen US-Film anschauen. Etliche Male besuchte ich allein oder mit Freunden die Bibliothek. Häufig bemerkte ich, dass ich beim Reingehen udn Verlassen des Gebäudes beobachtet wurde. Und das eine Mal wurde ich bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße von Stasi-Leuten verfolgt und abgefangen. Was ich denn dort drin zu suchen habe, wurde ich gefragt. Meine Daten wurden sofort notiert. Ich antwortete, dass ich dort Geographiebücher auf Englisch lese, um für den Unterricht zu lernen. Ob das nicht in der Stadtbibliothek möglich sei, wurde ich gefragt. Nein, englische Lektüre sei dort rar, und mich interessiere die Geographie der gesamten Erde, gab ich als Antwort. Meinen Eltern erzählte ich natürlich nichts davon...
Im Herbst 1988 suchte ich in der Bibliothek die Adresse vom weißen Haus heraus und schrieb dem frisch gewählten US-Präsidenten George Bush Senior einen Brief. Der konkrete Inhalt ist mir nach 20 Jahren etwas entfallen. Ich war 15 Jahre alt, und ich gratulierte ihm zur Wahl, erzählte auf Englisch von meiner Schule und bat um den Weltfrieden. Mir war natürlich bewusst, dass der Brief von der Stasi geprüft wurde. Deshalb lobte ich auch ein wenig die DDR und schrieb nichts negatives. Naiv war meine Aktion trotzdem.
Am 24. August 1989 erhielt ich Antwort vom Weißen Haus in Washington. Ich sprang an die Decke vor Freude, meine Mutter fiel ins Essen. Post vom weißen Haus an mich kleinen popeligen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik... Die Rückseite des Umschlags war bekritzelt und bestempelt mit Nummern. K6, G2, D8... Immerhin war es erstaunlich, dass mir dieser Brief tatsächlich zugestellt wurde. Dass man mich am nächsten Tag nicht gleich in den Jugendwerkhof steckte, verdankte ich wohl der fortgeschrittenen Situation im Sommer 1989. Es gab bereits größere Probleme in der DDR...
Im Herbst 1989 wurde es auch in der US-Botschaft in der Neustädtischen Kirchstraße unruhig. Das Gebäude von der Volkspolizei abgeriegelt. Im Innern war eine Handvoll DDR-Flüchtlinge verblieben.
Ich stritt mich mit der VoPo und bestand darauf, meine ausgeborgte Lektüre zurückgeben zu können. Mit Begleitung durfte ich bis an die Tür gehen, und dort dem lächelndem Ami am Empfang die Bücher in die Hand zu drücken... Am 27. Oktober 1989 erhielt ich vom damaligen US-Botschafter noch ein signiertes Exemplar der Constitution of the United States of America with explanatory notes. Kurz nach der Wende löste sich die Bibliothek in der US-Botschaft auf. Man bat die interessierten Ostberliner ab nun das Amerika Haus am Bahnhof Zoo zu besuchen.
Für mich war ein Kapitel abgeschlossen. Der Reiz wurde nur vor dem Mauerfall ausgelöst. Meine Erinnerungen an diese bewegte Zeit sind auch nach 20 Jahren noch sehr frisch und intensiv, und das Betreten dieses Gebäudes zur Zeit des Kalten Kriegs werde ich nie vergessen. Diesen Geruch im Gebäude. Diese ganze Absurdität. Dieses Gefühl der Geborgenheit. Dieses mulmige Gefühl beim Verlassen des Gebäudes.
Text & Fotos: Marco Bertram
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