Unrechtsstaat DDR: Eppelmann fordert Stasi-Aufarbeitung

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Unrechtsstaat DDR: Eppelmann fordert Stasi-Aufarbeitung

Der Ex-DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann setzt sich für eine Aufarbeitung möglicher Stasi-Kontakte im Bundestag ein: „Das müsste auch im Interesse des Deutschen Bundestages sein - um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen“, sagte der Vorsitzende der Stiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in einem Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Juni). Dies habe „etwas mit der inneren Hygiene des Bundestages zu tun. Der Ruf unseres obersten deutschen Parlamentes muss glaubwürdig und untadelig sein“, fügte Eppelmann hinzu. Nur einfach Nein zu sagen, sei zu wenig und zu billig.


Die Frage sei indes, ob eine solche Untersuchung alles auf einmal abdecken müsse, sagte der CDU-Politiker, der selbst dem Bundestag von 1990 bis 2005 angehörte. „Man könnte ja auch fragen, für welche Phase der alten Bundesrepublik es besonders interessant und wichtig wäre, solche Stasi-Verstrickungen aufzuklären und das dann für eine Legislaturperiode untersuchen“, schlug Eppelmann vor.

Aus seiner Sicht war die DDR ein Unrechtsstaat: „Dazu fällt mir zutreffend kein anderer Begriff ein.“ Als Belege dafür nannte er den Bruch des in der Verfassung verbürgten Streikrechts beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 mit mehr als hundert Toten und die vielen gefälschten Wahlen. Eppelmann begrüßte, dass es am Mittwoch eine Gedenkfeier im Bundestag zum Jahrestag des Volksaufstandes gibt. Außerdem regte er an, dass „die Kultusminister überlegen, immer am oder um den 17. Juni an den Schulen so etwas wie einen Projekttag zu veranstalten, um diese missglückte, erst im 1989 vollendete Revolution im Gedächtnis der Deutschen fest zu verorten“.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Eppelmann, an diesem Mittwoch jährt sich der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 zum 56. Mal. Sie waren damals zehn Jahre alt und lebten in Ost-Berlin – haben Sie persönlich noch Erinnerungen an die damaligen Ereignisse?

Ja, zwei - ganz vage. Mein Vater, der offensichtlich Zaungast bei einem Teil dieser Ereignisse in Ost-Berlin war, kam nach Hause und erzählte, dass eben Menschen auf der Straße demonstriert und nach Freiheit, Gerechtigkeit und freien Wahlen gerufen haben. Dann kamen sowjetische Panzer und die Leute mussten wegrennen. Es gab Verletzte oder sogar Tote – und dass das, was da so hoffnungsvoll begonnen hat, brutal erstickt worden ist.
Das ist meine erste Erinnerung. Am selben oder nächsten Tag sah ich einen Panzer in unserer Straße, aus dem ein Soldat herausblickte, während ihm von einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein älteres Ehepaar begeistert zuwinkte. Und angesichts dessen, was mein Vater von den Panzern erzählt hatte, war ich völlig geschockt, dass Menschen diesen Panzern begeistert zuwinken können.

Ist das Geschehen vom 17. Juni 1953 eigentlich mit dem Begriff „Volksaufstand“ Ihrer Ansicht nach zutreffend beschrieben?
Ja, das muss man so sagen. In mehr als 700 Städten und Gemeinden der DDR war es zu Demonstrationen und Protestveranstaltungen gekommen. Das begann als spontaner Aufstand von Arbeitnehmern gegen die von der SED-Spitze verhängten Normerhöhungen. Dagegen haben sie gestreikt – das Streikrecht stand 1953 noch in der DDR-Verfassung. Aus diesem Streik wurde sehr schnell eine politische Demonstration: Nachdem die Menschen zum ersten Mal auf der Straße waren, wollten sie mehr als nur eine gerechte Behandlung in Tariffragen. Sie forderten freie Wahlen und die deutsche Einheit, haben teilweise Gefängnisse und kommunale Einrichtungen von Partei oder Polizei gestürmt – die rote Fahne auf dem Brandenburger Tor war heruntergerissen worden. Dann kam der Einsatzbefehl für die sowjetischen Panzer, die auf die unbewaffneten demonstrierenden Arbeiter losgefahren sind. Am Ende dieses Tages ist die Sache entschieden gewesen: Insgesamt gab es mehr als 100 Tote, standrechtliche Erschießungen, mehr als 1.500 Verurteilungen zu oft langen Zuchthausstrafen. Die Menschen haben gelernt: Gegen sowjetische Panzer kannst du in der DDR überhaupt nichts verändern. Und dies war eine traumatische Erfahrung.

Was kann uns das damalige Vorgehen der Machthaber heute für die Debatte lehren, ob die DDR ein Unrechtsstaat war?
Ich halte diese Fragestellung für absurd. Kein Mensch, der sich mit der alltäglichen Wirklichkeit befasst, wird ernsthaft bezweifeln können, dass es Gerichtsverhandlungen in der DDR gegeben hat, die ihren Gesetzen entsprechend geführt und abgeschlossen wurden, etwa bei Eigentums- oder Verkehrsdelikten.
Aber wir wissen von tausenden von Einzelfällen, in denen ganz anders entschieden worden ist, als es das Gesetz eigentlich vorsah. So ist das in der Verfassung verbürgte Streikrecht am 17. Juni vor aller Welt gebrochen worden. Oder: Auf dem Papier hat es freie, geheime Wahlen gegeben und eine strafrechtliche Bewehrung, was denen passiert, die Wahlen fälschen. Inzwischen wird zugegeben, dass die Wahlen spätestens seit dem 17. Juni 1953 alle gefälscht worden sind. Dazu fällt mir zutreffend kein anderer Begriff als Unrechtsstaat ein.

Die DDR – genauer gesagt ihr Staatssicherheitsdienst – sorgt auch in diesen Tagen für Schlagzeilen, nachdem Belege gefunden wurden, dass der damalige West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, SED-Mitglied und Stasi-IM war. Müssen wir noch mit weiteren Enthüllungen dieser Art rechnen?
Das wird ein bisschen davon abhängen, ob wir als interessierte Öffentlichkeit das als einen exotischen und etwas erschreckenden Fall zur Kenntnis nehmen und dann aber wieder zu anderen Dingen übergehen, oder ob wir da bohrender als bisher fragen. Wir wissen, dass das IM-Problem keine rein ostdeutsche Frage ist: Es gab auch Westdeutsche, die im Auftrag der Staatssicherheit gearbeitet haben. Deshalb fand ich es zunehmend als ungerecht, wenn Bundestagsfraktionen die ostdeutschen Abgeordneten aufforderten, sich von der Birthler-Behörde überprüfen zu lassen. Als ich das letzte Mal dazu aufgefordert worden bin  – nachdem ich vorher schon dreimal dazu aufgefordert wurde –, habe ich in der Fraktion gesagt, dass ich dazu nur noch bereit bin, wenn es eine Verpflichtung für die gesamte Fraktion wäre, weil ich nicht einsähe, warum eine solche Überprüfung nicht auch für die Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen oder Bayern gelten soll. Dafür habe ich leider in der Fraktion kein Verständnis gefunden.

Sie sprachen gerade von der Stasi-Überprüfung ostdeutscher Bundestagsabgeordneter. Jüngst hat der Bundestag einen FDP-Antrag zu einer solchen Überprüfung aller Mitglieder des Parlaments bis 1990 abgelehnt. Nicht nur Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat in diesen Tagen eine vollständige Erfassung der Stasitätigkeit im Parlament ins Gespräch gebracht. Was ist Ihre Position?
Ich würde abwägen wollen: Wenn das 40 Millionen Euro kosten und soundsoviele Leute in der Birthler-Behörde über Jahre hinweg binden würde, nur dieser Frage nachzuforschen, würde ich mich fragen, ob das wirklich sein muss – alles auf einmal? Bisher haben wir uns das für eine Legislaturperiode genauer angeschaut. Warum also immer nur alles oder nichts? Man könnte ja auch fragen, für welche Phase der alten Bundesrepublik es besonders interessant und wichtig wäre, solche Stasi-Verstrickungen aufzuklären, und das dann für eine solche Legislaturperiode untersuchen. Dabei kann nicht nur der Bundestag in der Frage handeln: Jeder Professor, jeder junge Wissenschaftler kann sagen, dass er zu dem Thema forschen will.

Wie weit der Stasi-Arm in den Bundestag reichte, zeigt sich beim gescheiterten Misstrauensvotum von 1972 gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt, bei dem die Stasi an der Bestechung des CDU-Abgeordneten Julius Steiner beteiligt gewesen war. Immer wieder ist auch von Stasi-Kontakten anderer Parlamentarier zu lesen. Läge eine Aufarbeitung nicht im Interesse des Bundestages?
Das müsste auch im Interesse des Deutschen Bundestages sein - um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen. Das hat etwas mit der inneren Hygiene des Bundestages zu tun. Der Ruf unseres obersten deutschen Parlamentes muss glaubwürdig und untadelig sein. Wenn das zu aufwändig ist, kann der Bundestag es entweder in einzelnen Schritten machen – dann dauert es eben – oder wir bitten Wissenschaftler und Medien um Unterstützung. Nur einfach Nein zu sagen, ist zu wenig und zu billig.

Noch einmal zum 17.Juni, der ja im Westen bis 1990 als „Tag der Deutschen Einheit“ begangen wurde. Sie haben einmal gesagt, in den alten Bundesländern sei dieser Feiertag zum „Badetag“ verkommen. Was schlagen Sie vor, um die Erinnerung an den Volksaufstand wach zu halten?
Ich bin sehr dankbar, dass es in diesem Jahr einen offiziellen Akt des Bundestages zum 17. Juni geben wird – das hat es ja jahrelang nicht gegeben. Ich würde mir auch wünschen, dass möglicherweise von dieser Gedenkfeier eine Initiative an die Kultusminister der Länder ausgeht: eine Anregung, dass die Kultusminister überlegen, immer am oder um den 17. Juni an den Schulen so etwas wie ein Projekttag zu veranstalten, um diese missglückte, erst im Herbst 1989 vollendete Revolution im Gedächtnis der Deutschen fest zu verorten.

Das Interview führten Bernard Bode und Helmut Stoltenberg

Rainer Eppelmann (66), Pfarrer und Bürgerrechtler, war in der letzten DDR-Regierung  Minister für Abrüstung und Verteidigung. 1990 bis 2005 für die CDU im Bundestag, leitete er zwei Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und ist heute Vorsitzender der gleichnamigen Stiftung.

Quelle: www.das-parlament.de

 

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