Der ganz normale Wahnsinn an einem ganz normalen Tag in Berlin

MB Updated
Der ganz normale Wahnsinn an einem ganz normalen Tag in Berlin

Wohnt man in Berlin, so bewegt man sich auf seinen Pfaden und nimmt das ganze Drumherum gar nicht mehr so intensiv wahr. Meist ist das auch besser so. Doch was ist zu sehen, wenn man einen Tag lang quer durch die Stadt fährt und auf alles achtet? Wenn man alle Dinge der Stadt aus den Augen eines Berlin-Besuchers betrachtet? Man ist durchaus erstaunt und überrascht, welch interessante und abstruse Kleinigkeiten man entdeckt. Berlin ist überaus facettenreich. Turus-Redakteur M. Bertram macht sich auf den Weg und hält Augen und Ohren offen. Tag X. Hinein in die Ringbahn und auf geht´s zuerst in Richtung Weißensee ...

 
Anmerkungen aus dem Notizbuch: 
 
12 Uhr. S-Bahnhof Berlin Sonnenallee. Ich steige in die Ringbahn ein und fahre in Richtung Ostkreuz und Greifswalder Straße. Nur 5 Minuten später steigen am Ostkreuz zwei Punks mit Hüten, Trolli und Rekorder ein. Laut dröhnt die Musik. Kaum jemand stört sich dran. Die meisten lesen in ihren Büchern und Zeitungen. Schräg gegenüber studiert ein Araber gewissenhaft im Koran. Nächste Station: Frankfurter Allee. Einer der beiden Punks grölt. Er lacht und macht ein Tänzchen. Ein junger Türke wirkt nun doch ein wenig angepisst und meckert vor sich hin. Storkower Straße steigen die beiden Punks letztendlich wieder aus.
 
Ich schlage den Wirtschaftsteil der Zeitung auf und lese: "Aldi hat Probleme in Polen".
An der Greifswalder Straße steige ich in eine Tram. Ein dunkelhäutiger Mann hievt einen Kinderwagen allein die Stufen der älteren Straßenbahn hoch. Manch einer schaut erstaunt rüber. Ein paar ältere Fahrgäste blicken eher skeptisch. 
Die Tram fährt in Richtung Weißensee. Am Antonplatz vorbei und dann auf der Berliner Allee entlang. Wenn man so schaut, stellt man fest, dass es hier unglaublich viele kleine Läden gibt. Ein Stück weiter steht immer noch das Kreiskulturhaus Peter Edel. Ein Relikt aus DDR-Zeiten. 20 Jahre nach dem Mauerfall.
 
An einem Kiosk Ecke Indira-Gandhi-Straße schlürfen BVG-Mitarbeiter ein Käffchen unter einem Sonnenschirm und plaudern. Ich steige dort aus und laufe vor zur Bushaltestelle. Die Mischung der Geschäfte ist hier ein wenig anders. Neben einem Muscle & Fitness Store und einem Buddys Burger Imbiss befindet sich eine gut bestückte Weinhandlung. Ein paar Meter kann man Wasserbetten ab 450 Euro kaufen und schräg gegenüber befindet sich das Café-Traum. Leider geschlossen.
 Die Straße ist dort extrem befahren und die Gegend ist recht trostlos. Skuril im Zusammenspiel wirkt ein CDU-Wahlplakat: Frische Ideen. An der Bushaltestelle hängt ein handgeschriebener Zettel. Gesucht wird ein entlaufener Kater, der sehr zutraulich und zudem kastriert ist.
Der Bus 255 fährt vor und ich steige ein. Ein Kälteschock. Der nagelneue Bus ist klimatisiert und es ist fast zu kalt - ganz im Gegenteil zur im Sommer stickigen und überhitzten S-Bahn.
Nüßlerstraße steige ich aus. An der Ecke steht ein aus DDR-Zeiten stammender Plattenbau-Klotz. In ihm können zumeist ausländische Studenten ein Zimmer mieten und recht preiswert wohnen. Das Haus ist ein wenig abseits vom Schuss. Hier wohnt es sich gewiss anders als in einer WG im Friedrichshain.
 
Ich möchte mich auf den Weg zur Uni machen, so wie es die dortigen Studenten jeden Tag machen. Ich steige wieder in den Bus und fahre zurück in Richtung Berliner Straße. Hinter einem Autohändler fristet eine ehemalige Polytechnische Oberschule ihr Dasein. Der schlichte Neubau ist verlassen und sämtlichen Scheiben wurden eingeworfen.
Vorbei am maroden Brecht-Haus Weißensee, das sich neben einem Karate Club befindet, fahre ich vor bis zur Tram-Haltestelle.
 
Mit der M4 geht es schließlich in Richtung City direkt zum Hackeschen Markt. Neben der Tür zur Fahrerkanzel hängt eine Warnung der BVG: "Straßenbahnen sind schnell und leise. Sie haben einen längeren Bremsweg als Autos."
Beim Blick aus dem Fenster sehe ich junges tätowiertes Pärchen, das an der Haltestelle Antonplatz eine Tüte Gummitiere und eine Billiglimonade verschlingt. Vorbei geht es am Café Les Mâles (Die Männer). Ein Stück weiter befindet sich ein Neubau mit Einzelhandel, wo sich früher ein  MZG befand. In diesen Mehrzweckgaststätten befanden sich einst Jugendclubs und Diskotheken.

Am S-Bahnhof Greifswalder Straße kreuzt die Tram die Ringbahn. Alles schaut hier noch sehr ostalgisch aus und versprüht einen gewissen 80er-Jahre-Charme. Rechts steht in einem Park ein monströses Thälmann-Denkmal. Dieses hatte man nicht wie das Lenin-Denkmal kurzerhand entfernt.

Das Antlitz der Stadt ändert sich. Die Geschäfte an der Greifswalder Straße sind ganz anders als die in der Berliner Allee in Weißensee. Das Stadtbild ändert sich häufig, sobald man sich innerhalb des S-Bahn-Rings befindet. Das ist so in Lichtenberg / Friedrichshain, in Weißensee / Prenzlauer Berg, und auch in Neukölln. An der Greifswalder Straße laden Restaurants mit Bio Orientalischer Küche zum Essen ein und reizvolle Nebenstraßen laden zum Spazieren ein.
Schlagartig ändert sich das Bild wieder an der Mollstraße kurz vor dem Alexanderplatz. Hier dominieren sanierte moderne Neubauten. Wo einst ein ungarisches Versuchsprojekt stand, befindet sich nun eine Baustelle. 
 
Quer geht es über den Alex. Im Schritttempo arbeitet sich die Straßenbahn voran, um nicht arglose Passanten zu überfahren. 
"Die Schrift ist ja ab am Fernsehturm", meint eine junge Frau. "Och, schon lange ..." entgegnet ein Mädchen.
Beim Blick aus dem Fenster muss ich feststellen. Stimmt, die Fläche rund um Marienkirche und Rotes Rathaus ist in der Tat ein wenig zu frei und groß.
Die Tram biegt nun in Richtung Hackescher Markt ein. Hier tut sich wahrlich viel. Viele Gebäude wurden und werden saniert. Lücken werden gefüllt. Hier wird richtig Geld investiert.
 
Zu Fuß gehe ich weiter in Richtung Humboldt Universität und Museumsinsel. Vorbei am schmucken Gebäude der Theologischen Fakultät in der Burgstraße. Auf der Brücke zur Museumsinsel spielt ein Mütterchen Akkordion und zwei Männer verkaufen Trödel. Unter den Mützen und Uniformen fällt mir eine Armbinde ins Auge: "Helfer der Volkspolizei".
Ich passiere die Baustellen der Museumsinsel und erreiche das Hauptgebäude der Humboldt Universität. Auf dem Weg dorthin fallen mir noch die Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg ins Auge, die sich im historischen Gebäude Am Kupfergraben Ecke Dorotheenstraße befinden und beliebtes Fotoobjekt der Touristen sind.
Im Hauptgebäude der Uni schlendere ich durch die altehrwürdigen Gänge und ziehe mir für 60 Cent an einem Kaffeeautomat ein überaus leckeren Schokocreme-Getränk. Vor den Immatrikulationsbüros warten zahlreiche Studenten. Erinnerungen kommen auf ...
Unter den Linden werden wie seit Jahren vor der Uni gebrauchte und neue Bücher an Ständen verkauft. 
 
Zu Fuß schlendere ich wieder zurück zum Alexanderplatz. Rings um mich herum zahlreiche Touristen. Das Kronprinzenpalais wird zur Zeit gerade saniert. Ebenso die Skulpturen auf der Schlossbrücke. Rings um den Schinkelplatz werden Straßen im alten Stil neu gebaut.
Wo sich einst der Palast der Republik stand, ist in der Gegenwart nur eine große Rasenfläche zu sehen. Diese Grünfläche kann man auf Holzstegen erkunden. Ich bin ein wenig sprachlos. Über die DDR-Geschichte ist hier nicht nur symbolisch Gras gewachsen. Ein Graffiti-Spruch an einer kargen Betonwand bringt es auf den Punkt: Die DDR hat es nie gegeben.
 
Nahe des S-Bahnhofs Alexanderplatz kehren einige Leute in den "Käsekönig" ein. Die Mischung aus Restaurant und Imbiss ist bereits seit Jahren ein Insidertipp. Für einen schmalen Taler erhält man dort deftiges Essen.
Inmitten eines Touristenpulks schlendere ich zur Weltzeituhr. Vor einer Buchhandlung ist eine Werbung angebracht: "Gottes Wort für ´nen 5er". In der Buchhandlung dudelt schottische Musik. Manch einer wirft einen verstohlenen Blick auf den Bibelstapel.
Später am Tag geht es weiter mit der U6. Französische Straße. Ein Obdachloser preist das neueste Straßenmagazin Motz an. Mehringdamm steige ich um in die U7 und der Motz-Verkäufer ist wieder im gleichen Waggon. "Entschuldigung für mein Störung. Ich verkaufe die Motz. Diese ist unterhaltsam zu lesen..."
 
U-Bahnhof Gneisenaustraße rufen sich zwei Typen die technischen Daten ihrer PCs zu. Es wird immer absurder. Im U-Bahnwaggon werde ich auf ein Werbeplakat aufmerksam: "Wir suchen einen Weg aus der Krise..."
Und last but not least: Ein Vor-Ort-Computer-Service wirbt für eine Virenentfernung in ihrem Zu-Hause.
U-Bahnhof Karl-Marx-Straße steige ich aus. Nun setze ich die gedachten Scheuklappen auf. Ich verfalle in meine eigene Gedankenwelt und schlendere gemütlich nach Hause. Das ist doch besser so...
 
 
 
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