Die Berliner Klubs werden ans Kreuz genagelt: Trauerfeier vor dem KDR

MB Updated
Die Berliner Klubs werden ans Kreuz genagelt: Trauerfeier vor dem KDR

Klubs ans Kreuz„ICH SCHEISS AUF GENTRIFIZIERUNG!“ Eine junge Frau hatte ihrem Hund ein Pappschild um den Hals gehängt. Über einhundert Leute hatten sich am Abend des 19. Januars in der Pappelallee 81 in Berlin Prenzlauer Berg eingefunden, um sich angemessen vom Klub der Republik zu verabschieden. Unter ihnen einige um die 40, die jetzt eher nicht mehr nachts von Club zu Club ziehen, sich jedoch gern, ja sehr gern sogar an das Berlin der flotten 90er Jahre erinnern. So wie ich. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal in der Pappelallee 81 zu Gast war. Das spielt auch keine Rolle. Viel mehr ist allein die Tatsache schade, dass wieder ein Stück real existierende Erinnerung verloren gehen wird.

Gewiss, man kann es nicht mehr hören. Der Wandel des Prenzlauer Berg von einem angesagten Szeneviertel zu einem komplett durchsanierten und extrem überteuerten Bio-Wohl-Fühl-Kiez. Gentrifizierung. Was für ein hässlicher Begriff! Ich weiß noch ganz genau, wann ich das erste Mal bewusst von diesem Begriff gehört hatte. Es war 2001/02 an der Humboldt Universität in einem Kurs der Wirtschaftsgeographie. Als Beispiele wurden zahlreiche europäische Städte herangeführt. London ganz vorne weg. Gleich dahinter Hamburg. So manch ein Berliner Kiez sei ebenfalls auf dem besten Weg, gentrifiziert zu werden. Das klang übel. War es auch, denn der Prenzelberg war bereits vor zehn Jahren auf dem besten Wege totsaniert zu werden. Mein Lieblingsbeispiel war damals die Schreinerstraße nördlich der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain. Die dortige Sanierungswelle ließ die Straße kneipentechnisch völlig aussterben.

Berlin 90er Jahre90er Jahre. Zu Beginn war sogar die Oranienburger Straße ein spannendes Pflaster, später ging es immer wieder in die verschiedensten Straßen von Prenzlauer Berg. Gemeinsam mit Kumpels. Einer fuhr – vier oder gar fünf stopften sich als Beifahrer in die Karre. Freitagabend. Ab in die bunte Stadt. Die Lichter sausten nur so vorbei. Von Club zu Club. Duncker, Knaack und spät in der Nacht ab in den Eimer in Berlin Mitte. Wer auf die Seite des Knaack geht, bekommt inzwischen folgendes zu sehen: „KNAACK 23.02.1952 gestorben 31.12.2010“ Eine ganz bittere Geschichte. Genauso bitter das Aussterben all der andern Clubs der Stadt. Der Eimer im besetzten Haus in der Rosenthaler Straße 68 hatte es bereits im Sommer 2001 bzw. endgültig im Jahre 2003 hinter sich. Dass es sogar eines Tages den Icon Club nahe des Jahn-Sportparks treffen könnte, war nicht wirklich absehbar. Fakt ist, in diesem Januar mussten auch dort die Tore nach 15 Jahren Club-Geschichte geschlossen werden.

Kreuz vor dem KDRWelche Clubs in der deutschen Hauptstadt den Bach runtergingen, wurde am gestrigen Abend im Rahmen der Trauerfeier auf eindrucksvolle Art und Weise verdeutlicht. Vor dem Klub der Republik nahmen drei Männer in weißen Schutzanzügen und dunklen Strumpfmasken Aufstellung. Der mittlere von ihren trug eine Sturmhaube und eine Sonnenbrille und setzte an einem mit einer Filzdecke eingewickelten Gegenstand das Messer an. Ratsch. So, als wenn man jemand die Kehle durchschneiden würde glitt die Klinge durch den Filz. Eine schwarze Flüssigkeit quoll hervor und ergoss sich auf dem nasskalt glänzenden Asphalt. Mit dieser Aktion war im Prinzip alles gesagt, was zu sagen ist. Es wurde noch ein wenig nachgedrückt, bis auch das letzte Tröpfchen Flüssigkeit seinen Weg auf den Bürgersteig fand.

Kerzen vor dem KDRWährend der Mann mit Sonnenbrille und schwarz verfärbten Gummihandschuhen nun verschwand, nagelten die anderen beiden Holzschilder an das zuvor aufgestellte Holzkreuz. „Helsinki“, „Mittwochs Klub“, „Knaack“, „ICON“, „Deep“, „Schmalzwald“, „Hechtclub“...
Anschließend wurde das Kreuz nach oben gezogen. Aus der dramatisch düsteren Musik wurde nun eher lockere Club-Musik. Es sollte und soll noch gefeiert werden. Bis zu Beginn des Abrisses am 01. Februar dieses Jahres. Vodka wurde in kleinen Plastikbechern gereicht, Grabkerzen wurden angezündet und vor die Hauswand gestellt. Dazu einige Blumen und ein paar versteckte Tränchen.

Auch wer keinen direkten Bezug zum Klub der Republik hat, fast jeder Berliner wird diesen Bau mit der Glasfassade kennen. Denn wer ist noch nicht einmal in seinem Leben die Pappelallee entlang spaziert? Zumindest zu Zeiten, als der Prenzlauer Berg noch ein echtes Szeneviertel war! Bunt, lebensfroh und unglaublich spannend.
Wie heißt es so schön an der Fassade des KDR? „Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, der letzte Klub abgerissen, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet Ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg die Kleinstadt geworden ist, aus der Ihr geflohen seid!“

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen von der Trauerfeier am KDR  

Video von den Protestaktion:
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