Ungewohntes Terrain für ein Stelldichein an einem Abend des 30. April. Statt auf dem Boxhagener Platz und den umliegenden Straßen des Friedrichshain gab es dieses Mal ein Konzert auf dem Nettelbeckplatz im Berliner Stadtteil Wedding. Für 21 Uhr war zudem eine Demonstration angemeldet worden, die direkt am U- und S-Bahnhof Wedding starten sollte. Gegen 19 Uhr war davon noch nicht viel zu merken, und auch anderthalb Stunden später deutete wenig daraufhin, dass am späten Abend rund 3.000 Menschen durch die Straßen ziehen.
Berliner Walpurgisnacht 2012: Pyro auf den Dächern, friedliche Demo im Wedding
Erwartet wurden für die Kundgebung „Nimm was dir zusteht!“ etwa 1.500 Teilnehmer. Um 21 Uhr hatte man das Gefühl, dass es nicht einmal so viele sein werden. Erst nach und nach sammelten sich die verschiedensten Gruppierungen und Schaulustigen auf den Bürgersteigen an der Bahnunterführung. Von der Polizei abgesperrt wurde die breite Müllerstraße erst um 21:30 Uhr, los ging es schließlich um 22 Uhr, als auf der Bühne des Nettelbeckplatzes langsam aber sicher die Musik verstummt war.
Der Demowagen rückte vor zur Ecke Müllerstraße / Burgsdorfstraße, an vorderer Front wurden die Transparente gehalten und die Fotografen nutzten die Gelegenheit, um erste Fotos zu machen. Was man hat, das hat man. Blitzlichtgewitter. In der Ferne senkten sich indes die Flugzeuge in Richtung Flughafen Tempelhof. Am mittlerweile dunklen Himmel schien der Halbmond, und die zahlreichen Einsatzkräfte der Polizei bewachten das dortige Jobcenter. Das Ganze wirkte ein wenig abstrus und skurril. Eine linke Demo am späten Abend sorgt stets für ein wenig Grummeln in der Magengrube. Niemand konnte im Vorfeld genau vorhersagen, wie die Sache ausgehen würde. Auch die meisten Demoteilnehmer kannten die Gegend, durch die die festgesteckte Route führte, so gut wie gar nicht. Eine Wanderung ins Ungewisse.
Es war wie so oft. Als sich der düstere Demonstrationszug in Bewegung setzte, waren es doch weitaus mehr Teilnehmer, als man zuvor vermutet hatte. Mit den üblichen Sprechhören ging es in den eher schwach beleuchteten Weddinger Kiez westlich der Müllerstraße. Hinein Burgsdorfstraße zum Sparrplatz. Nicht wenige staunten über den verwinkelten Routenverlauf vorbei an dunklen Parkanlagen. „Das ist ja geiler als der Boxi“, meinte ein junger Mann ganz euphorisch. Im Schein der glimmenden Berliner Gaslaternen zog der lange Tross durch die Straßen. Weitaus mehr Männer und Frauen als erwartet, unter ihnen auch zahlreiche Teilnehmer aus anderen Ländern, hatten sich der Walpurgisnacht-Demo angeschlossen. Im Kiez völlig zurück hielt sich die uniformierte Polizei. In der Mitte des Zuges hatte man das Gefühl, die Demo sei völlig auf sich selbst gestellt. Dass sich jedoch zahlreiche Zivilpolizisten untergemischt haben, war bereits vor dem Start ersichtlich gewesen.
Die Zeiten, in denen bei solchen Anlässen wahllos Lokale, Geschäfte und parkenden Fahrzeuge demoliert werden, sind glücklicherweise so gut wie vorbei. Im Großen und Ganzen überaus friedlich zogen die rund 3.000 Teilnehmer über die Amrumer Straße, Ostender Straße und Genter Straße zur Seestraße. Umherliegende Steine zeugten jedoch davon, dass in erster Reihe der eine oder andere Angriff auf die Polizei erfolgt war. Spektakuläres gab es im letzten Drittel der Route zu sehen. Pyrotechnik, die von vermummten Personen auf Hausdächern gezündet wurde. Bengalische Fackeln, Leuchtkugeln und Rauch. Dazu Transparente, die vom Dach aus heruntergelassen wurden. Jubel und Applaus bei den Vorbeiziehenden.
Gegen Ende hin zeigte die Polizei verstärkt Präsenz. Die Müllerstraße näherte sich. Manch einer versorgte sich schon mal mit ein paar Pflastersteinen. Kapuzen wurden hochgezogen, Handschuhe übergestreift. Handzeichen untereinander. Kleinere schwarz gekleidete Stoßtrupps hielten Ausschau. Am Leopoldplatz kam der Zug zum Stocken. Der Veranstalter beendete bereits an dieser Stelle offiziell die Kundgebung. Einige versuchten über die Luxemburger Straße in den Kiez zurückzukehren, doch die Polizei war auf der Hut.
Nach und nach rückte die Demo dann doch vor zum S-Bahnhof Wedding. Die Polizei gab bekannt, dass die Fahrbahnen verlassen werden sollten. Hier und dort gab es kleinere Rangeleien und Festnahmen. Die üblichen Begleiterscheinungen bei einer nächtlichen Kundgebung. Ausschreitungen und Krawalle blieben allerdings aus. Kurz nach Mitternacht kehrte wieder Ruhe ein. Durchatmen und Luft holen für die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration am Tag darauf – auf beiden Seiten.
> zur turus-Fotostrecke: Walpurgisnacht und 1. Mai von 2009 bis 2012
Video von der Pyroaktion auf den Dächern:
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