Eine linke, revolutionäre Demonstration, die bis ins Berliner Regierungsviertel führt? 15.000 Teilnehmer, die zum Bebelplatz marschieren? Wer im Vorfeld der Demo einen Blick auf den Routenverlauf geworfen hatte, wusste eigentlich ziemlich genau: Das kann nicht gut gehen. Besser gesagt: Dieser Marsch wird niemals Unter den Linden ankommen! Die Frage war eigentlich nur: Wie weit wird der Demonstrationszug am Abend des 1. Mai 2012 kommen?
Berliner Polizei bricht Revolutionäre 1. Mai-Demo vor Jüdischem Museum ab
Wieder waren es etliche tausend Teilnehmer, die sich am späten Nachmittag für die traditionelle Revolutionäre 1. Mai-Demonstration sammelten. In diesem Jahr gab es eine völlig neue Route. Nachdem es im vergangenen Jahr quer durch den nördlichen Teil von Neukölln ging und die Demonstration am Hermannplatz abgebrochen wurde, sollte es dieses Jahr vom Lausitzer Platz aus in Richtung Kochstraße, Wilhelmstraße und Unter den Linden gehen.
Ab 18 Uhr gab es am Lausitzer Platz nahe des Görlitzer Parks Redebeiträge von einem großen Sattelschlepper aus. Gegen 19 Uhr nahm die Spitze des Demonstrationszuges langsam Aufstellung, um 19:30 Uhr konnte es schließlich losgehen. Knackig und lautstark wie in jedem Jahr. Vorneweg die Fotografen, die Kontaktbeamten und reichlich behelmte Einsatzkräfte der Polizei.
Über die Reichenberger Straße ging es zum Kottbusser Tor, auf dem es zu den ersten ernsthaften Zwischenfällen kam. Böller und Flaschenwürfe aus dem Zentrum des Demonstrationszuges heraus. Als es auf der Glitschiner Straße weiterging, lag weiterhin ein mächtiger Hauch Aggressivität in der Luft.
Am U-Bahnhof Prinzenstraße ging es rechts die Prinzenstraße zum Moritzplatz entlang. Großes Gerät und Polizeiketten sollten verhindern, dass dort ein Durchbruch zum Myfest im Herzen Kreuzbergs erfolgen würde. Möglichst weit weg vom Kreuzberger Kiez rund um Oranienstraße, Mariannenplatz und Kottbusser Tor – das war das Ziel der Polizei.
Relativ problemlos ging es weiter auf der Oranienstraße bis zur Kreuzung Rudi-Dutschke-Straße / Lindenstraße, an der sich das Axel-Springer-Hochhaus befindet. Auseinandersetzungen gab es auf dem Weg dorthin an einer Tankstelle. Schlimmes wurde schließlich am Verlagsgebäude des Springer-Konzerns befürchtet, doch hatte die Polizei das gesamte Areal komplett abgeriegelt, so dass es außer einer Rauchbombe nichts wichtiges zu vermelden gab.
Ganz anders schaute es ein paar Meter weiter nahe des Jüdischen Museum aus. Dort machte die Route an der Ecke Lindenstraße / Markgrafenstraße einen scharfen Knick. Genau dort kam der Demonstrationszug zum Stocken, und ebenfalls genau an dieser Stelle machten die polizeilichen Einsatzkräfte ernst. Gezielte Zugriffe, zahlreiche Festnahmen. Flaschen und Steine flogen, zahlreiche Böller detonierten in der Menge. Die Lage drohte vollends zu eskalieren. Pfefferspray kam zum Einsatz. Ernsthaft verletzt wurden auch einige Polizisten. Dem Spott der Demonstranten ausgesetzt musste manch ein Beamter von Sanitätern versorgt werden.
Dicke Luft. Giftige Atmosphäre. Zerbrochene Sonnenbrillen und einzelne Schuhe lagen auf dem Asphalt verstreut. Demonstranten schoben etwaige Transparente fix unter parkende Autos. Immer wieder bahnten sich die Stoßtrupps der Polizei einen Weg durch die Menge. Für einige Zeit war nicht erkennbar, wann und wohin es weitergehen würde. Dann schließlich gegen 21 Uhr die Durchsage: Nicht die Veranstalter und ihre Anwälte, sondern die Polizei brach die Demonstration an dieser Stelle ab. Wütende Worte über die Mikrofone der Begleitfahrzeuge. Emotionale Entladungen bei manch einem Demo-Teilnehmer.
Zurück nach Kreuzberg – so die Devise der Veranstalter. Wenn schon der Weg nach Berlin-Mitte versperrt war, so sollte es wenigstens zu den Feierlichkeiten des Myfestes gehen. So einfach war dies jedoch nicht möglich. Einsatzkräfte der Polizei riegelten fast sämtliche Hauptstraßen ab. Kein Vor und kein Zurück – zumindest nicht für die Hauptmasse der Kundgebung. Immer wieder detonierten Böller. Ein Feuer wurde auf dem Asphalt vor dem Jüdischen Museum entfacht. Schon bald stand ein großer Blumenkasten in Flammen.
Nach und nach rückten die Demo-Teilnehmer ab. Der harte Kern hatte sich bereits zuvor einen Weg gebahnt. Wohin genau, war nicht erkennbar. Gegen 22:00 waren die Straßen rund um die Oranienstraße noch richtig voll. Laut wummerte die Musik – ein Ende war noch längst nicht abzusehen. Nachtruhe für die Anwohner? Nicht am 1. Mai! Jedoch werden diese gewiss lieber durch Musik als durch Krawalle am geruhsamen Schlaf gehindert. Während auf den meisten Straßen gelöste Atmosphäre herrschte, war es nur rings um Kottbusser Tor ein wenig angespannt. Die Polizei hatte den Platz und den dortigen Kreisverkehr abgeriegelt. Bis 23:30 Uhr blieb es auf dem Myfest weitgehend friedlich. Offen blieb, ob es später in der Nacht an manchen Ecken noch einmal eskalieren könnte.
> zur turus-Fotostrecke: 1. Mai in Berlin
turus-Video Walpurgisnacht & 1. Mai 2012 in Berlin:
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