Schweiz: Die Angst der Wirtschaft vor einem kleinen Unternehmer

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Schweiz: Die Angst der Wirtschaft vor einem kleinen Unternehmer

SchweizIn der Schweiz lernt derzeit ein kleiner Unternehmer den großen Konzernen das Fürchten. Wie es dazu kam? Hier die Geschichte dazu: Im Jahre 2002 wurde das Unfassbare wahr. Die einst so reiche Fluggesellschaft Swissair war erledigt. Bankrott. Am Ende. Vernichtet durch unfassbares Missmanagement. Im Verwaltungsrat der Swissair saß die crème de la crème der Schweizer Wirtschaft. Sie alle machten sich ganz schnell aus dem Staub und taten das natürlich nicht gratis. Einem jedoch, Mario Corti, war das Schicksal der Swissair nicht egal. Aus Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und der Liebe zum Land machte er sich auf, die Fluggesellschaft zu retten. 

UBSSein unermüdlicher Einsatz endete schließlich, als die UBS durch ein mieses Manöver der Swissair endgültig den Stecker zog. Einziger Makel dabei: Corti verlangte vor Arbeitsaufnahme von der Swissair 12,5 Millionen Franken, erst danach nahm er die Arbeit auf. Derweil verloren Menschen ihre Pensionskassenguthaben, ihre Arbeit, ihren Glauben an eine gerechte Welt. 

Goldene Fallschirme und Abgangsentschädigungen waren und sind gang und gäbe, die Konzerne ein Selbstbedienungsladen für Manager. Ein paar Beispiele gefällig? Der Chef der ABB brachte die Firma an den Abgrund, ließ sich bei seinem erzwungenen Abgang über 200 Millionen ausbezahlen – man nennt das einen „goldenen Fallschirm“. Marcel Ospel, auch er saß im Verwaltungsrat der Swissair, führte die UBS in die Pleite, so dass sie der Steuerzahler retten musste. Dies hinderte die Bank nicht daran, Ospels Abgang mit einem zweistelligen Millionenbetrag zu versüßen. Weitere sechs Milliarden Franken zahlte die UBS als Bonus dem obersten Kader aus.

Axel Weber, der neue Hoffnungsträger der UBS, sicherlich sehr fähig, bekam vor seinem ersten Arbeitstag 5 Millionen Franken überschrieben. Sogar der Chef der Schweizerischen Bundesbahnen ließ sich ein Antrittsgeld von über einer Million Franken ausbezahlen, bevor er einen rigorosen Sparkurs, Lohnsenkungen für das Personal und massive Preiserhöhungen durchsetzte. Die Politik blieb tatenlos und bekam die Quittung in Form einer Initiative. Sie ist eine Forderung nach einer Verfassungsänderung, welche von 100.000 Bürgern verlangt werden muss und an der Urne entschieden wird. Der Gesetzesgeber muss dann die Initiative in Gesetzen umsetzen, was er oft genug nutzt, um Schlupflöcher oder unangenehme Passagen umzudeuten.

ZürichThomas Minder, Chef einer kleinen Zuliefererfirma der Swissair, blieb hingegen nach der Pleite der Swissair auf seiner Ware und offenen Rechnungen sitzen. Während die Schuldigen ihre Zukunft vergoldeten, kämpfte er um das Überleben seiner Firma und seine Wut steigerte sich mit jedem weiteren Abzocker. Und so lancierte er eine Volksinitiative, die er Abzockerinitiative nannte. Die Idee einer Aktionärsdemokratie war geboren. Unter anderem soll neu der Aktionär über die Vergütung der Manager und Verwaltungsrates abstimmen, schließlich gehört ihm ja die Firma. Goldene Fallschirme werden verboten, ebenso wie das Antrittsgeld. Pensionskassen, die sagenhafte zweidrittel aller Schweizer Aktien besitzen, müssen zukünftig zwingend im Sinne der Versicherten abstimmen – bisher verhielten sie sich stets passiv - und der Verwaltungsrat muss sich jährlich der Wiederwahl stellen. 

Dies alles stört die Manager massiv, doch die letzte Forderung lässt sie richtig hässig (Schweizerdeutsch: murrköpfig) werden: Verfehlungen im Bereich der goldenen Fallschirme, Antrittsgelder etc. werden neuerdings mit Gefängnis geahndet. Man stelle sich das mal vor! Ein Manager oder Verwaltungsrat im Gefängnis! Blankes Entsetzen! Denn in der Schweiz dürfte der Eindruck nicht gänzlich falsch sein, dass die Gesetze gegenüber der Chefetage äußerst lasch sind und deren Verfehlungen mit viel Rücksicht behandelt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass dies mit ein Grund ist, warum die Schweiz so viele ausländische Konzerne anzieht. Und wenn sich ein Gerichtsverfahren doch mal aufdrängt, dann gibt es den Wiedergutmachungsartikel. Von diesem profitierte beispielsweise der in einer Schweizer Steueroase lebende russische Oligarch und Multimilliardär Viktor Vexselberg. Er hatte auf gesetzeswidrige Art und Weise die Aktienmehrheit einer florierenden Schweizer Traditionsfirma erworben. Die Gefängnisstrafe konnte dank dem vorher erwähnten Artikel in eine Buße umgewandelt werden. Für einen Milliardär bedeutete die Strafe ein besseres Trinkgeld, die Firma gehört nun trotzdem ihm und vorbestraft ist er auch nicht.

Die Vertreter des mächtigen Wirtschaftsverbandes Economiesuisse machen keinen Hehl daraus, was sie von Minder und der Initiative halten: Für eine große Gefahr für den Wirtschaftsstandort. Doch weder Geld noch Drohungen beeindruckten Minder. So schoben die Politiker mit ihren Tricksereien die 2008 lancierte Initiative auf die lange Bank und hofften, dass sich die Wut über die Abzocker im Laufe der Jahre legen würde. 

Am 3. März 2013 findet nun die Abstimmung statt und zum Schrecken der Wirtschaftsverbände ist Minder im Volk populärer denn je. Denn Thomas Minder verkörpert den Schweizer, wie er sich am liebsten sieht. Der unbeugsame Winzling, der für die gerechte Sache kämpft, die Mächtigen herausfordert. Ein David gegen Goliath, ein Tell gegen Gessler, ein moderner Winkelried.

Die Economiesuisse nimmt den Abstimmungskampf sehr ernst und leistet sich einen der teuersten Wahlkämpfe der Schweizer Geschichte, doch es läuft schief. Erst kam heraus, dass der Verband Studenten bezahlt, die auf diversen Online-Portalen Kommentare gegen die Initiative platzieren. Nun plötzlich geht es auch um Gut gegen Böse, um die Ehrlichen gegen die Trickser und Abzocker. Dann musste die Economiesuisse eingestehen, dass sie Domains wie Minder-ja.ch gekauft hat. So kommt es, dass trotz der enormen Geldsummen eine Annahme der Initiative möglich bleibt, auch weil Minder ein leidenschaftlicher Kämpfer ist. Eine Annahme der Initiative wäre dennoch eine große Sensation. Als Einzelkämpfer, der fast alle Parteien, die Regierung und die Wirtschaft gegen sich hat, ist man meist chancenlos. 

BaselDer Ausgang der Initative, die nun am 3. März dieses Jahres zur Abstimmung kommt, ist völlig offen. Die Wirtschaftsverbände werden kurz vor dem Termin Angstkampagnen starten. Mit Horrorszenarien, wie zum Beispiel massiver Verlust von Arbeitsplätzen, waren sie in der Vergangenheit meistens erfolgreich. Doch erstaunlicherweise wirken sie selber wenig zuversichtlich, sie zweifeln öffentlich am Erfolg. Und viele Schweizer sehnen sich danach, den Wirtschaftsverbänden und ihren politischen Handlangern, die sich zunehmend um die Probleme der Gesellschaft foutieren, eins auszuwischen.

Eine Annahme der Initiative dürfte in Politik- und Wirtschaftskreisen zu großer Panik führen. Denn auch in der Frage der Zuwanderung aus der EU, die völlig außer Kontrolle geraten ist, stehen zwei Initiativen bereit zur Abstimmung. Der Gedanke einer Annahme und die Reaktion aus Brüssel lässt den Politikern in Bern jetzt schon die Knie zittern.  

Fotos unten: Zürich und Basel im Winter

> zu den turus-Fotostrecken: Gesellschaftsthemen

 
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