Demo, Party, Spätkäufe, Polizeieinsätze: Ein Berliner Samstagabend als Selbstversuch

MB Updated
Demo, Party, Spätkäufe, Polizeieinsätze: Ein Berliner Samstagabend als Selbstversuch

Demo KreuzbergEin ganz normaler Samstagabend in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain? Gut möglich, allerdings lautete das Fazit am Morgen danach: So schnell muss solch ein Einsatz am Limit nicht wiederholt werden. Limit? Was für ein Limit? Der Reihe nach. Um zu schauen, was spät abends bzw. in der Nacht in den beliebten Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg so geht, wurde sich auf den Weg gemacht. Volle Kanne rein ins Vergnügen, das mitunter nicht wirklich ein Gaudi war. Stress und Probleme waren der Wegbegleiter. Viel zu lachen gab es indes auch.

Weniger zu lachen gab es gegen 20 Uhr am Kreuzberger Mariannenplatz. Dort sollte der Startpunkt einer linken Demo gegen den gerade stattfindenden 16. Internationalen Polizeikongress sein. Im Vorfeld war nicht allzu viel von dieser Demonstration zu lesen, nur auf den einschlägigen Blogs gab es ein paar Infos. Im Vorfeld hatten die Initiatoren der geplanten Proteste festgestellt, dass „kein Mensch die Demonstration am 16. Februar anmelden wird“. Schließlich sei es untragbar, solch eine Demo ausgerechnet bei dieser Behörde legitimieren zu lassen. Dass es durchaus ungemütlich werden könnte, war sonnenklar. Wenn gleich die Sonne längst hinter den Häusern Berlins untergegangen war und der Mariannenplatz im Dunkeln einen düsteren Eindruck erweckte.

Gegen 19:30 Uhr standen hier und dort kleine Grüppchen. Dass der Großteil schwarz gekleidet war, versteht sich von selbst. Von der Polizei war weit und breit nichts zu sehen. Kein Beamter in Sichtweite, zumindest nicht in Uniform. Die Taktik: Abwarten, nicht provozieren und dann bei Bedarf schnell zustoßen und den Demonstrationszug stoppen. Von einem Hinterhof kommend kletterten indes ein paar Vermummte und liefen in Richtung Mitte des Mariannenplatzes. Nicht viel deutete darauf hin, dass es bald losgehen würde. Noch herrschte totale Stille. Erfahrungsgemäß startet jedoch solch eine Demo völlig aus der Kalten – zumindest aus der Sicht neutraler Beobachter.

Demo in KreuzbergSo auch am Samstagabend. Aus Richtung Bethaniendamm und Wrangelstraße stiegen die ersten Leuchtkugeln und Raketen gen Himmel. Bengalische Fackeln erhellten schon bald das nördliche Ende der anliegenden Straße des Mariannenplatzes. Mit ein paar Transparenten an der Spitze marschierte die Truppe, die von  Sekunde zu Sekunde anwuchs, in Richtung Oranienstraße. Ruckzuck reihten sich die Wartenden ein. Immer mehr Bengalos und Polenböller wurden gezündet. Die Scheiben einiger geparkter Fahrzeuge wurden zerschlagen. Auch ein abgestelltes Baufahrzeug und eine Haltestelle wurden arg in Mitleidenschaft gezogen. Als der Demonstrationszug in die Mariannenstraße einbog, heulte eine Sirene eines Fahrzeuges auf. Rot beleuchtete Hauswände, huschende Schatten, immer wieder Böller. Durchaus ein martialischer Anblick, der von den Passanten zum einen erschrocken, zum anderen fasziniert betrachtet wurde.

Am Heinrichplatz bogen die rund 500 bis 700 Demonstranten links in die Oranienstraße ab. Am Straßenknotenpunkt am Görlitzer Bahnhof schritt schließlich die Polizei ein und versuchte den Zug zu stoppen. Blaulichter nun auf der Skalitzer Straße. Ein Teil der Demonstranten machte kehrt und lief die Oranienstraße zurück. Noch einmal ging es zum Mariannenplatz. Anschließend rannten einige die Waldemarstraße hinunter. Schneller als die ausgerüstete Polizei erlaubte, denn am Lausitzer Platz verlor sich die Spur des harten Kerns. Nicht wenige Pressefotografen irrten nun kurzzeitig am Spreewaldplatz und an der Emmaus-Kirche herum. Aktuelle Infos mussten her, doch diese waren rar. Niemand tickerte über das Mobilnetz den Stand der Dinge.

PolizeiRund um die Oranienstraße wurde es ruhiger. Vor den Spätkaufs sammelten sich kleinere Gruppen und tranken erst einmal ein kühles Blondes. Die Polizei durchkämmte das Viertel und zeigte Präsenz. Über den Häusern kreiste ein fast unbeleuchteter Polizeihubschrauber. Phasenweise schienen bei diesem sogar die Positionslichter ausgeschaltet. Das fliegende Auge über dem SO36. Noch einmal zog eine kleine Truppe mit einem Transparent flott durch das Viertel und versuchte, ein paar Leute an sich zu binden. Der harte Kern war indes weiter nach Mitte gezogen und suchte unter anderen die Bundesdruckerei als Ziel aus. Noch einmal wurden die Augen wartender Fotografen hellwach. Drei Sanitäter stürmten eine Nebenstraße entlang. Die Pressemeute sogleich hinterher. An einem Hauseingang stoppten die Sanitäter und lachten. Voll auf den Leim geführt. Man kennt sich wohl. Ihr Ärsche, ließ einer der Fotografen verlauten. Dann lächelte auch er. Solch ein spontaner Sprint mit baumelnden Kameras hält schließlich auf Trab.

Warschauer BrückeFür uns hieß es gegen 23 Uhr: Weiterziehen nach Friedrichshain. Mit der U1 vom Görlitzer Bahnhof zur Warschauer Straße. Teil 2 war nun an der Reihe. Eingeläutet von drei, vier – schätzungsweise aus Rumänien oder Bulgarien stammenden – Männern, die vor dem Kiosk am U-Bahnhof Warschauer Straße den Stress suchten. Besser war es, sich mit diesen Typen nicht weiter einzulassen. Abgegrast wurden nun die Klassiker. Hinein in die Kaufhalle, die bis spät in die Nacht geöffnet war. Security, die auf Zack war und sogleich den Körperkontakt suchte. Auch hier hieß es: Ruhe bewahren und sich nicht weiter drauf einlassen. Die Gefahr lauerte indes an jeder Ecke. Ehe er sich versah, bekam mein Kumpel die Faust von einem stresssuchenden jungen Mann zu spüren. Fix hatte sich dieser sogleich aus dem Staub gemacht. Eine hässliche Angelegenheit, doch glücklicherweise ging seine Brille nicht zu Bruch. Seine Befürchtung, dass gar mit dem Messer in den Rücken gestochen wurde, bestätigte sich nicht. 

Dass die Warschauer Straße seit gefühlter Ewigkeit zu abendlicher Stunde ein Hort der Stresssuchenden ist, hatte sich nun wieder einmal bestätigt. Kaum einer aus dem Freundeskreis, der nicht von nächtlichen Schlägereien rings um die Warschauer Brücke berichten konnte. Bereits in der Nachwendezeit hatte man bei seinen abendlichen Wochenendtouren dieses Areal lieber gemieden. Zum dortigen Imbiss und zum S-Bahnhof – ja. Sich längere Zeit dort aufhalten – lieber nicht. Für uns hieß es nun, irgendwo einkehren und ein Bier trinken. Sacken lassen. Gespräche suchen. Diese gab es in jener Nacht zuhauf. Vom Brasilianer, der mit seiner deutschen Freundin eine Runde durch das Partyareal von Friedrichshain drehte, bis hin zu erlebnisorientierten Fußballfans, die aus sämtlichen Ecken des Landes vorbeigeschaut hatten. 

FriedrichshainDer Versuch, in einem örtlichen Club, nur einmal zum Schnuppern hineinzugehen, war wenig später kläglich gescheitert. Die lockeren 90er Jahre sind im Friedrichshain längst passé. Logischerweise zählt das Business. Und wer blöd nachfragt, schaut schnell in erboste Gesichter. Immerhin ergab sich auf dem Hof eines örtlichen Clubs ein überaus nettes Gespräch zum immer noch ergiebigen Ost-West-Thema. Ergiebig vor allem, wenn man zuvor einigen Spätkaufs einen fröhlichen Besuch abgestattet hatte. Geplant war das Ganze nicht, doch wenn man schon mal auf Achse ist. Nun ja. Mit knapp 40 schöpft man in Sachen Erfahrungsschatz aus dem Vollen und nimmt so ziemlich alles mit Humor. Umso witziger, wenn der Kumpel an der Seite mal eben 15 Jahre jünger ist und alles mit einer Sichtweise betrachtet wie man selbst Mitte und Ende der 90er. Schade, dass er die verdammt coole Zeit nicht als junger Erwachsener miterleben durfte. 

Keine Frage, ihren Spaß haben junge Leute auch heute. So ist das Party-Hopping bei manch einem beliebt, um Leute und fremde Wohnungen kennenzulernen. Einfach geschaut, in welcher Etage gerade was geht. Dann geklingelt und dem Türöffnenden gefragt: Ist Michael schon da? Die Chancen stehen gut, dass gedacht wird, man sei der mitgeschleppte Freund eines Freundes des Freundes. Blöd gelaufen ist das Ganze nur, wenn die Besitzerin der Wohnung auf Zack ist und das Ganze durch intensives und eindringliches Nachhaken auffliegen lässt. Auf dem Flur wird das Gesicht manch eines Partybesuchers finsterer. Nun heißt es, besser mit einem Lächeln den Rückzug anzutreten. 

FriedrichshainAuf der Revaler Straße war inzwischen der Teufel los. Männer aus Osteuropa waren sich an einem Hauseingang in die Haare geraten. Das Ganze stand kurz vor der totalen Eruption, und bevor man sich versah, stand man als Schaulustiger innerhalb einer schnell formierten Polizeikette. Besser gesagt: Mein Kumpel stand drinnen und ich stand draußen. Nach einem kurzen Gespräch mit einer Polizistin konnten wir zu zweit die nächtliche Tour fortsetzen. Da der Stress gegen 2 Uhr nachts an jeder Ecke lauerte, ließen wir die Sache in einer x-beliebigen Kneipe ausklingen. Sah zumindest aus wie eine Kneipe, denn nachdem wir uns kurzerhand zu einem netten Grüppchen gesetzt hatten, zündete sich einer ein Zigarettchen an. Der Typ hinter dem Tresen sah aus, als hätte jemand den berühmt berüchtigten Gitarrenkoffer geöffnet. Rauchen? Nicht hier! Kippe aus!

Smalltalk mit der besagten netten Gruppe. Als gegen halb vier eine letzte Runde geordert wurde, gab es nur ein patziges „Ist nicht mehr!“ So etwas hätte es im Friedrichshain der 90er in einer Samstagnacht eher nicht gegeben. Sei es drum. Wir wollten allesamt bezahlen. „Am Tresen!“, war die nächste Antwort. Dazu ein Blick, als gebe es gleich richtig auf die Fresse. Mir war es Wurscht. Nett verabschiedet vom gemischten Grüppchen und auf zum S-Bahnhof Ostkreuz. 4 Uhr nachts. Der Selbstbedienungsbäcker auf dem Ringbahnsteig hatte geöffnet. Ich war positiv überrascht, kaufte Gebäck und schaute noch einmal nach, ob mein Kumpel auch wirklich die richtige S-Bahn nimmt. Schließlich sollt es für ihn gen Lichtenberg und nicht nach Köpenick gehen. 

Und dann? Der nächste Tag war auf gut Deutsch gesagt für den Arsch, denn ganz einfach: Ich war im Arsch. Das muss ganz klar so gesagt werden. Mit knapp 40 ist man nicht mehr so partyaktiv wie mit 20. Was half? Eine 10-Kilometer-Runde auf der Oderbruchkippe – mittlerweile eher bekannt als Volkspark Prenzlauer Berg...

Fotos: Arne Mill, Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom Berliner Alltag

> zu einem Video von der Demo auf der turus-Facebook-Seite 

 

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