Berlin. Abends beim Buffet in einem brasilianischen Restaurant kommt ein Straßenverkäufer und bietet höflich CDs an. Selbst produziert. Feine Musik. Auch etwas Latino. Eigenes Studio. Nur sechs Euro die CD. Guerilla Marketing. Produced by limrec. Ich wage den Selbsttest. Ich kaufe die CD und höre sie mir am nächsten Morgen gespannt an. Nur ein Rohling? Totaler Fake? Oder doch brauchbare Mucke? Die Recherche im Internet nach dem Label und den Künstlern wird die Suche nach der Nadel im Heuhaufen...
Guerilla Marketing: Musik von der Straße gekauft
MB
Marco Bertram
Updated
Die CD-Hülle kommt schlicht daher. Auf dem schwarz-weißen Cover ist ein wuscheliges Mikro zu sehen. Der Titel: "Guerilla Marketing". Der Name ist Programm. Bei Wikipedia findet man unter dem Begriff "Guerilla Marketing" folgenden Eintrag: "Der Marketing-Experte Jay C. Levinson hatte den Begriff Mitte der 1980er Jahre in den USA geprägt. ... Mit einem sehr kleinen Etat wird das Medium oder der Absatzkanal gewählt, der jeweils günstig zu erhalten ist."
Auf der Rückseite sind ein paar schwarz-weiß Fotos von den Künstlern und vom Studio sehen. Außerdem eine Mail-Adresse und eine Web-Adresse, doch dazu später mehr.
Neugierig lege ich die Scheibe ein. Sie ist schneeweiß. Nur ein schwarzes Autogramm schmückt die CD. Jetzt aber rein mit ihr in den Player. Der Verkäufer, der uns beim brasilianischen Essen überraschte, versprach mir lateinamerikanische Musik.
Und tatsächlich: Die ersten Klänge sind kubanisch. Nach paar Sekunden ertönt eine Stimme: "Hier ist Lim Radio! Okay! Hier haben wir eine neue Platte, die wir präsentieren möchten. Guerilla Marketing. Produziert von ... DJ lowcut und ... Wir bringen euch den Sommer wieder."
Wieder und immer wieder gehe ich auf Anfang. Einige Namen sind einfach nicht zu verstehen... Identisch mit den Angaben auf dem Cover sind sie auch nicht.
Der erste Song "Sio n mama" ist durchaus nett anzuhören. Beine und Hüften wippen sogleich im Takt. La Habana grüßt. Erinnerungen werden wach.
Der zweite Song heißt "Busco", was übersetzt "ich suche" bedeutet. Der Stil ändert sich. Weg vom kubanischen, hin zum Rap, zumindest würde ich das so beschreiben.
Der dritte Song, der "Less is more" heißt, geht dann schließlich komplett zum Rap über. "Yeah!" Auf englisch geht es ganz geschmeidig und entspannt zur Sache.
Noch ärgere ich mich nicht, diese CD im guten Glauben gekauft zu haben, etwas erstaunt bin ich trotzdem. "Less is more, less is more, right, yeah!"
Dann folgt eine deutsche Passage: "Ich vertick meine Lieder an jeden Berliner... Aber nicht bei MTV oder VIVA... Less is more... Heißes Kaliber... Direkt aus Berlin..." Auch hier ist nicht alles zu verstehen.
Nach dem Hören der Scheibe folgt der nächste Schritt. Ich werfe den Computer an und möchte die Seite www.limrec.com aufrufen. Nichts zu machen. Diese Seite ist nicht abfrufbar. Jetzt werde ich neugierig und stöbere im Netz. Bei einem Provider prüfe ich, ob die Domain noch frei ist. Großes Erstaunen. Ja, die Domain ist nicht belegt, sondern frei verfügbar.
Die Frage stellt sich nun, wer nun hinter dieser Musik steckt. Immerhin sind noch ein paar Angaben auf der Coverrückseite.
"Produced by: limrec, DJ lowcut and Beton Army. Artists: Guerilla, Xbex, Slue, Jahnou"
Ein DJ Lowcut ist bei myspace zu finden. Ob es sich um den gleichen Künstler handelt, bleibt ungeklärt. Die Spuren verlaufen sich in Frankreich...
Bei "Beton Army" führen die Wege scheinbar in die Türkei. Die Sache wird immer mysteriöser. Der Artist "Xbex" ist im Netz überhaupt nicht auffindbar. Sucht man "Lim Radio", führen die Spuren nach Frankreich.
Mehr Erfolg habe ich, als ich bei www.lastfm.de nach den Titeln suche. Die Lieder sind unter den Artists zu finden, doch nähere Angaben sind rar.
Zum Schluss finde ich doch noch die Nadel im Heuhaufen. Ich gab einfach bei google mal die aufgedruckte Mail-Adresse ein.
Volltreffer!
"Ein Independent Music-Label sucht einen Verkäufer/in in geringfügiger Beschäftigung (Minijob-Basis)..."
Die Stellenanzeige wurde zuletzt modifiziert am 13. Juli 2009. Das Label "limrec" gibt es somit wirklich. Der Sitz ist in Berlin-Treptow. In einer Straße, in der ich 2000 bis 2001 auch einmal gewohnt hatte...
Am Ende gibt es auf der CD noch einen "Fetten Gruß an Neukölln 47 und Kreuzberg 36!" "Das war Less More Radio, ich bin draußen und jetzt lass mal nen bisschen kicken..."
Fazit: Kauft man eine CD bei einem Straßenverkäufer, weiß man nicht, welche Katze im Sack steckt. Man kann Pech haben, man kann Glück haben. Ich hatte Glück. Die 30 Minuten werden zum Ohrwurm und dudeln bereits zum zehnten Mal ab. Wer Mut zur Lücke hat: Greift zu und unterstützt ruhig einmal die Independent Labels!
(M.B.)
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