Fußballerische Spurensuche in Portugals Stadien. Nach einem einmonatigen Warm-up in der Hauptstadt Lissabon führte der Weg 950 Kilometer weiter gen Südwesten nach Madeira, der Insel des ewigen Frühlings und vor allem, wie sich später herausstellen sollte, der nie enden wollenden Auf- und Abstiege. Das autonome Madeira-Archipel liegt im Atlantischen Ozean und der Wasserweg nach Marokko ist kürzer als der zum portugiesischen Festland. Die Anreise mit dem Flugzeug lässt die Herzen der Wagemutigen höher schlagen. Zuerst müssen die Piloten direkt auf die Berge zufliegen, erst im letzten Moment wird das Steuer rechts herumgerissen, um die Landebahn ansteuern zu können.
Marítimo, Nacional, União und Ribeira Brava: Fußball auf der Blumeninsel Madeira
HotFußballerische Spurensuche in Portugals Stadien. Nach einem einmonatigen Warm-up in der Hauptstadt Lissabon führte der Weg 950 Kilometer weiter gen Südwesten nach Madeira, der Insel des ewigen Frühlings und vor allem, wie sich später herausstellen sollte, der nie enden wollenden Auf- und Abstiege. Das autonome Madeira-Archipel liegt im Atlantischen Ozean und der Wasserweg nach Marokko ist kürzer als der zum portugiesischen Festland. Die Anreise mit dem Flugzeug lässt die Herzen der Wagemutigen höher schlagen. Zuerst müssen die Piloten direkt auf die Berge zufliegen, erst im letzten Moment wird das Steuer rechts herumgerissen, um die Landebahn ansteuern zu können.
Wie der Fußball nach Madeira gelangte, ist schnell erklärt. Der Engländer Harry Hilton veranstaltete hier, genau gesagt in dem Korbflechter-Dorf Camacha , 1875 das erste Fußballspiel auf portugiesischem Boden. Daran erinnert heute eine Steintafel, neben der sich ein hübscher Betonkäfigplatz befindet. Bekanntlich ist aller Anfang schwer. Fakt ist jedoch, dass Fußball heute der beliebteste Volkssport in Portugal und auf Madeira ist. Allein auf der Insel mischen 12 eingetragene Proficlubs das Festland auf. Die bekanntesten sind die Erstligisten Club Sport Marítimo, Clube Desportivo Nacional und der Zweitligist Clube de Futebol União. Alle drei stammen aus der Inselhauptstadt Funchal. Eine echte Rivalität zwischen den einzelnen Clubs beschränkt sich jedoch auf Maritimo und Nacional. Der eine (Maritimo) ist der Club der Fischer, Arbeiter und Bauern, der andere (Nacional) ist übliche und bekannte Pendant. Wie hatte mir ein Maritimo-Fan doch erklärt? “Nacional-Fans are women and screaming like them, ha ha!”
Dies bestätigte sich dann bei einem ersten Inselfußballspiel, nicht der Tatsache geschuldet, dass Christiano Ronaldo hier in der Jugend spielte, sondern der Stimmung wegen. Die Rede ist von der Partie CD Nacional gegen Vitória Futebol Clube de Setúbal. Nacional? War da nicht mal was? Richtig! CD Nacional spielte in der Europa League 2008 gegen den SV Werder Bremen.
Man glaubt es kaum: Das Estádio da Madeira, früher Estadio Engenheiro Rui Alves oder auch Estádio da Choupana, liegt zirka 800 Meter oberhalb von Funchal, nahe des Botanischen Gartens und dem Ort Monte, in dessen Kirche der letzte Kaiser Österreichs, Karl I., liegt. Den Bus verpasst, nach Anweisungen Einheimischer, die lieber einen irgendwo hinschicken als etwas Falsches zu sagen, begann ich den knapp anderthalbstündigen Aufstieg. Verschwitzt bei zirka 24 Grad hörte ich den Anpfiff zwischen den Eukalyptusbäumen. Das Frauenvorurteil wurde bekräftigt, indem 90 Minuten lang, begleitet von Trommelwirbel und Geklatsche, eine Frau - stimmtechnisch eine Mischung aus der ersten und der zweiten Dame vom Grill - durch ihr antikes Sprachrohr rief, schrie und sang. Der Besuch hierher lohnt sich aber nicht nur wegen der Gesangkünste der Frau. Allein die einmalige Berg- und Waldlage mit dem Blick aufs das Meer ist atemberaubend und tröstet auch über einen alkoholfreien Fußballnachmittag hinweg.
Das Spiel ging 1:1 aus, Setúbal kassierte eine Rote Karte und verschoss einen Elfer, das machte Nacional dann nach und besser, und eine keifende, mir Angst machende junge Frau bekam ein Trikot geschenkt.
Die Mannschaft, die Fans und das Stadion des 1910 gegründeten Clubs Sport Marítimo wurde während des Madeira-Aufenthaltes zweimal begutachtet. Das erste Mal bei der Taça da Liga (Bwin Cup). Vergleichbar mit dem deutschen Ligapokal. Gegner war die Zweitligamannschaft Clube Desportivo Santa Clara von der Inselgruppe Azoren. Das Spiel fand am 02. Januar 2012 statt und somit lag ihr Silvester bereits lang genug zurück. Dabei sollte man wissen, dass die Madeirer ihr „Feliz Natal“ (Weihnachten) in der Art feiern wie wir Silvester. Zur eigentlichen Silvesternacht wird dagegen besinnlich geknallt, sich schick ankleidet und nach Beendigung des weltbekannten Feuerwerks meist heimwärts gegangen. An beiden Festtagen - zu Weihnachten allerdings mehr - wird das Madeira-Bier der Marke „Coral“ (das einzig trinkbare Portugals), ein Cocktail namens „Nikita“ und das traditionelle Getränk „Poncha“ getrunken. Diese Art Punsch besteht aus Zitrusfrüchten, 50-prozentigem Zuckerrohrschnaps und Honig. Ein Hochgenuss.
Das im Umbau befindliche Estádio dos Barreiros oder dem „Caldeirão“, dem Kessel, zog um 19 Uhr schätzungsweise rund 2.000 Zuschauer an, unter ihnen 30 Anhänger des Azorenteams. Das erneute Alkoholverbot drängte mir die leckere Maracuja-Brause auf, die es so nur auf Madeira gibt. Verzehrt wurden Samen der Lupinen, genannt Tremoço, eingelegt in Knoblauch und Kräutern, oder ganz einfach der mitgebrachte Einkauf. Ein Teil der gespaltenen Fanszene Maritimos sang eine umgedichtete Version von „Oh Tannenbaum“ und sprangen zum Ende des Spiels hin und her sowie auf und ab. Dem gleich tat es ein Fan auf Seiten des CD Santa Clara. Dieser ziemlich angetrunkene Typ stand am Zaun, brüllte, gestikulierte und sprang nach einem verschossenen Maritimo-Elfmeter wie Rumpelstilzchen herum.
Auf Grund seiner Luftsprünge, eleganten Drehungen und Rollen sorgte der französische Keeper von der Heimelf, Romain Salin, für Aufsehen. Dies brachte ihm nicht nur Beifall und Lacher ein, sondern auch noch die gelbe Karte. Den 2:0-Sieg von Maritimo sicherte der zweifache Torschütze Babá, der mittlerweile nach fünf Jahren Inselleben das spanische Sevilla vorzieht und dort nun für den Sevilla Fútbol Club aufläuft. Rundum, der Besuch bei Maritimo war grandios. Der Blick von der Tribüne „Central“ auf Funchal, zur Neujahrszeit abends durch 250.000 farbige Birnen beleuchtet, ist ein unvergessliches Erlebnis. Nach dem Spiel ging es noch schnell am Essensstand vor dem Stadion vorbei, an dem Männer mit Trachten das typische Brot Madeiras, „Bolo do Caco“, ein Süßkartoffelbrot mit Knoblauchsoße, und Chouriço-Wurst verkauften.
Sechs Tage später stand das Erstligaduell gegen den Festlandklub Sporting Clube Olhanense an. Für fünf Euro besorgte ich mir bei der lokalen Zeitung Jornal da Madeira das Ticket plus Schal und einer Art Rassel. Eine schöne Aktion, der Schal stammte jedoch aus einem Restbestand und trug die Schrift „A Nossa Força - Marítimo Uefa 2010“. Diesmal stand ich in der „Curva Sul“ und wurde zur zweiten Halbzeit mit einem Böllerschlag sowie der sympathischen Hymne von Rufino Freitas „Saudação ao Marítimo“, was so viel bedeutet wie Kompliment an Maritimo, begrüßt. Von dort ist der Blick frei auf den Atlantik und das in den Bergen gelegene Stadion von Nacional. Im Stadion konnten dieses Mal um die 4.000 Zuschauer gezählt werden. Festlandfans waren um die 30 bis 40 anwesend. Zahlreiche Heimzuschauer verließen allerdings vorzeitig laut meckernd das Spiel, und das trotz des 2:1-Sieges.
Auf dem Programm stand zudem portugiesischer Zweitligafußball an. Der CF União spielte gegen den Lissabonner Verein Atlético Clube de Portugal, der zwei Monate vor der bekanntesten Einkesselung der deutschen Armee gegründet wurde und zwar am 18.09.1942. Der 1913 gegründete Verein União spielt in den Farben blau und gelb, was zu der allgemeinen Sitzfarbe im Barreiros passt. Es fehlen hier und da zwar ein paar Sitze und diese liegen im bald 10.000 Zuschauer fassenden Stadion verstreut herum, aber für die rund 800 Fans, die sich um 20.15 Uhr einfanden, stellte das keine Probleme dar. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass man zusätzlich zu dem Fußballspiel einer Art Dixie-Band beiwohnen konnte. Sie übertönten die acht nicht sonderlich kreativ auffallenden Ultras ganz einfach und nahmen ihre Gesänge als Einleitung für das nächste Stück wahr. Auf die Frage, ob sie denn auch für andere Vereine spielen würden, antworten sie, wenn das Geld stimmt, tröten und trommeln sie für jeden.
Die „Banda Municipal do Funchal – Artistas Funchalenses“ ist wohl 1850 gegründet und alle hatten geschlossen dieselben blau-gelben Trikots an. Während des Spiels traf ich bekannte Gesichter vom Maritimo-Spiel wieder. Auch einen, den ich mal mit Maritimo-Schal im Stadion sah, dann wieder beim Benfica Lissabon-Spiel in den Straßen Funchals mit einem Schal von diesem Club rumlaufen sah. Das Spiel dümpelte lange vor sich hin. Einziger Höhepunkt war die 1:0-Führung in der 36. Minute für União. Dies änderte sich erst zu Beginn der letzten zehn Minuten. Die Gäste aus der Hauptstadt scheiterten zuerst an der Latte, bevor in der 85. Minute der ersehnte Ausgleich für die Hausherren durch einen Namensvetter des Dschungelcamp-Ailtons (jetzt bei Hassia Bingen) fiel. Kurz darauf hatte die Heimmannschaft noch die Möglichkeit die drei Punkte auf Madeira zu lassen, scheiterte jedoch am Pfosten.
Die Fußballzeit auf Madeira endete mit einem Spiel in der II Divisão Zona Norte. Es spielten der Clube Desportivo Ribeira Brava gegen den 1915 gegründeten Varzim Sport Club. Letzterer stammt aus der Stadt Póvoa de Varzim, die in der Nähe von Braga liegt, also im nördlichsten Teil Portugals. Ribeira Brava liegt indes ungefähr 15 Kilometer von der Hauptstadt Madeiras entfernt. In dem 2007 eröffneten Estádio do Centro Desportivo da Madeira finden 2.325 Zuschauer einen Platz. Da ich zu spät kam, war der Eintritt umsonst. Das Spiel endete 1:3, die anwesenden Gästefans waren gut unterwegs und klatschen gefühlte fünf Minuten nach Beendigung der ersten Halbzeit weiter.
Im Vereinsheim in zwei Minuten Fußweg Entfernung zum Stadion im Zentrum der Ortschaft Ribeira Brava kann der Pokalschrank bestaunt und können Fußballwetten abgeschlossen werden. Vom Barchef wurde ich konsequent und professionell ignoriert und abgewürgt, jedoch stellte ich wieder einmal fest, dass die ruhigen, leicht verträumt wirkenden Portugiesen und Madeirer sehr hilfsbereite und freundliche Menschen sind, demnach kam ich also noch zu meinem Anliegen und dessen Vortragung. Mit einem Glas Poncha in der Hand hieß es „saúde!“ und zugleich „adeus“ zur liebenswerten Blumeninsel Madeira zu sagen. Até logo! Bis zum nächsten Mal!
> zur turus-Fotostrecke: Stadionimpressionen von Madeira und aus Lissabon