Mit der „Task Force Sicherheit“ fing im November 2011 alles an. Die vom Runden Tisch des DFB, der DFL und des BMI (nicht Body Mass Index, sondern Bundesministerium des Innern) initiierte Task Force beinhaltet die sechs Handlungsfelder Verhaltenskodex, Stadionverbote, Prävention, Fan-Privilegien, Kontrollsysteme und Sportgerichtsbarkeit. Mitte Juli 2012 fand dann in Berlin die Sicherheitskonferenz statt. Betrachtet man die Essenz, könnte man meinen, es gehe um Friedens- bzw. Kriegseinsätze im Kongo, Irak oder in Afghanistan.
Sicheres Stadionerlebnis: Finaler Schlag des DFB gegen Ultras und Fankultur?
HotMit der „Task Force Sicherheit“ fing im November 2011 alles an. Die vom Runden Tisch des DFB, der DFL und des BMI (nicht Body Mass Index, sondern Bundesministerium des Innern) initiierte Task Force beinhaltet die sechs Handlungsfelder Verhaltenskodex, Stadionverbote, Prävention, Fan-Privilegien, Kontrollsysteme und Sportgerichtsbarkeit. Mitte Juli 2012 fand dann in Berlin die Sicherheitskonferenz statt. Betrachtet man die Essenz, könnte man meinen, es gehe um Friedens- bzw. Kriegseinsätze im Kongo, Irak oder in Afghanistan.
Allein der Begriff „Task Force“ bewirkt einen eiskalten Schauer. Zu sehr ist dieser mit den Kriegsschauplätzen dieser Erde verknüpft. „Special Forces of Task Force 20 in Mosul...“, „Task Force, 22nd Special Air Service in Baghdad and Basra...“ Klingt nach einem Einsatz der „Reisegruppe ungemütlich“. Was genau bedeutet „Task Force“? Im militärischen Sinn wie man es vermutet: Einsatzgruppe oder Kampfgruppe. Zudem kann eine Task Force eine Spezialeinheit im Katastrophenschutz, ein Krisenstab und im weiteren Sinn einfach nur eine Arbeitsgruppe sein.
Nun darf jeder für sich selbst entscheiden, was DFB, DFL und BMI im November 2011 am Runden Tisch ins Leben gerufen haben. Eine Arbeitsgruppe? In Kombination mit den Schlagworten Verhaltenskodex, Kontrollsysteme, Prävention, Gerichtsbarkeit und Verbote klingt die Angelegenheit eine Nummer schärfer. Der Kampf bzw. der Einsatz kann beginnen. Gegen wen? Gegen was? Gegen aufmüpfige Ultrà-Gruppierungen und Fußballfans. Gegen eine Fankultur, die einfach ihre eigenen Wege geht und nicht ins Marketingkonzept von DFL und DFB passt.
Im Netz kursiert seit einigen Tagen eine pdf-Datei mit dem Titel „Informationen und Diskussionen über weitere Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse der Sicherheitskonferenz in Berlin und der Innenministerkonferenz („Sicheres Stadionerlebnis“)“. Nun wurde in diversen Blog und Fußball-Foren diese Datei bereits unzählige Mal filetiert und ausdiskutiert. Trotzdem lohnt ein weiterer Blick in das 33-seitige Dokument. Schließlich scheint es jetzt ums Ganze zu gehen. Mit der juristischen Keule wird zum großen Schlag ausgeholt. Das Handlungsfeld Nummer sechs besagt: „Entwicklung von Strafen und Strafsanktionen, die zu mehr Sicherheit im Stadion und höherer Akzeptanz der Sportgerichtsbarkeit führen“.
Allein dieser Satz lässt noch mehr Gänsehaut aufkommen. Die jeweiligen gegenwärtigen Strafmaße scheinen bei weitem nicht zu genügen. Drakonischer soll es zugehen. Das schnuppert nach weißrussischen Verhältnissen in den Stadien. Überwachung pur und knallharte Strafen für jegliche Vergehen. Allerdings sind selbst in einer strammen Diktatur oder in einem halbdemokratischen Land mit einem extrem ausgebauten Polizeiapparat die Stadien nicht wirklich friedlich. Ganz im Gegenteil. Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck. Ginge es nach der Härte der Polizeikräfte und des abschreckenden Rufs der Gerichte und Gefängnisse, müsste es in serbischen und russischen Stadien lammfromm zugehen. Geht es jedoch nicht.
Der Punkt „Sportgerichtsbarkeit“ ist nur einer von sechs Punkten. So soll es bei den Stadionverboten zu einer Neubewertung der Laufzeitverkürzung von 2007 kommen. Fan-Privilegien soll es nur noch in Verbindung von verbindlichen Fan-Kodizes geben. Stichwort Verhaltenskodex. Zu diesem sollen sich alle Beteiligten gemeinsam bekennen. Des Weiteren in Planung: Die technischen und organisatorischen Möglichkeiten bei den Einlasskontrollen sollen verbessert werden. Ein zielgerichteter Ticketverkauf soll diskutiert werden. Spätestens jetzt drückt und grummelt es in der Magengegend ganz heftig. Zielgerichteter Ticketverkauf? Da lässt einiges offen. Einiges vermuten. Einiges befürchten. Auf dem Prüfstand – und das ist nicht wirklich überraschend – sind zudem die Stehplätze, die zwar Teil der Fußballkultur in Deutschland, jedoch kein „unveränderbarer Besitzstand“ seien. Zum Erhalt der Stehplätze müssen laut Papier auch die Fans ihren Beitrag leisten. Andauerndes Fehlverhalten von Störern und Problemfans könne den Erhalt der Stehplätze gefährden.
Auf Seite 15 der pdf-Datei geht es dann ums Eingemachte. Genau gesagt um die Statuarische Verankerung von Mindestvorgaben einer Vereinbarung zwischen Clubs und Fans. Diverse Fan-Privilegien sollen nicht länger gewährt werden, sollte die Fanvereinbarung nicht eingehalten werden. Von welchen Privilegien ist eigentlich die Rede? Die Möglichkeit, ein Ticket zu erwerben? Ein Stück Stoff in ein Fußballstadion mitnehmen zu dürfen? Die Meinung frei äußern zu dürfen? Wenn das bereits Privilegien sind, die entzogen werden können, dann gute Nacht Fußballdeutschland! So sollen in Zukunft Banner und Blockfahnen verboten werden, wenn hinter diesen Pyrotechnik gezündet werden. Eine „Zero Tolerance“ soll es auch beim Zeigen von Transparenten mit rassistischen, diskriminierenden und grob beleidigenden Inhalten. Klingt im Prinzip vernünftig, allerdings kann das „grob beleidigend“ sehr weit ausgedehnt werden. Harsche Kritik in Richtung DFB und DFL dürfte mit inbegriffen sein.
Als gegebenenfalls statuarische Verpflichtung soll flächendeckend die Einrichtung eines Videoüberwachungssystems eingeführt werden. Sollte ein Verein diese Maßnahmen nicht für erforderlich halten, drohen bei etwaigen Vorkommnissen empfindliche Strafen. Für Fans „interessanter“ ist die Durchführung von „Personen-Körperkontrollen“ beim „Zugang zu bestimmten Bereichen“. Logisch, bei Haupttribünenbesucher und VIP-Gästen wird ganz gewiss keine rektale Exploration durchgeführt. Bei den Jungs und Mädels in der Fankurve bei Tatverdacht dagegen schon. Und Gästefans können dann schon mal flächendeckend die Hosen runterlassen. Immerhin: Nicht mehr in windigen Zelten, sondern in neu errichteten Containern. Wie weit diese Körperkontrollen gehen, bleibt ungeklärt. Ein Blick in die Unterhose? Ein prüfender Blick in den Genitalbereich? Nun mag eine Exploration unter medizinischen Gesichtspunkten hilfreich sein, doch was hat diese am Eingangsbereich eines Stadions zu suchen? Was könnte im Rahmen einer Sportveranstaltung noch beschämender sein, als sich am Eingang einer Körperkontrolle zu unterziehen?
Nur zu klar, dass der Protest immer lauter wird. Anfangs dachte manch einer, diese kursierende pdf-Datei sei ein Witz. Allerdings steht dieses Konzeptpapier der Mitgliederversammlung des Ligaverbandes vom 27.09.2012 sogar bei manch einem Verein zum Download bereit. So zum Beispiel auf der offiziellen Webseite des 1. FC Union Berlin, dessen Präsidium und Fan- und Mitgliederabteilung das Konzeptpapier „Sicheres Stadionerlebnis“ als in großen Teilen problematisch, daher in seiner Gesamtheit grundsätzlich als nicht akzeptabel werten. Kurzum: Der 1. FC Union lehnt diesen Entwurf als Ergebnis ab und veröffentlichte sogleich eine „ausführliche begründete Positionierung“.
So heißt es unter anderen unter Punkt 4 „Rechtsstaatlichkeit und Legalitätsprinzip“: „Die Rechtsauslegung und Strafverfolgung im Umfeld von Fußballspielen ist schon jetzt ungleich härter als außerhalb. Nirgendwo im Alltag würde ernsthaft das Kleben eines Stickers oder das Umkippen einer Mülltonne als viel mehr als eine Ordnungswidrigkeit mit folgender Geldbuße geahndet werden. Im Fußballkontext werden die gleichen Vergehen nachweislich sofort zu Sachbeschädigung oder Landfriedensbruch - mit mehrjährigem Stadionverbot und einem lebenslangem Eintrag in die Datei Gewalttäter Sport und fallweise weiteren freiheitseinschränkenden Folgen. In diesem Kontext ist der Ruf nach „konsequenter [...] Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren“ und „Beachtung des Legalitätsprinzips“ völlig deplatziert. Ebenso ist die Art der Datenerfassung und -weitergabe im Fußballkontext, nicht nur durch DFB/DFL, sondern vor allem auch durch Polizei und Staatsanwaltschaft an die privaten (!) Vereine und Verbände, extrem kritisch zu sehen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Datenschutzes und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte.“
Zum Thema Stadionverbote heißt es in der Positionierung: „Fraglos sind Stadionverbote eine mögliche und in bestimmten Fällen sinnvolle Sanktionierung. Stadionverbote als Ausfluss des Hausrechts sind aber Sache der Vereine, die dieses Mittel individuell und unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen einzusetzen haben. Rechtsstaatlich bedenklich ist jedoch eine Sanktionierung durch von privater Seite ausgesprochene, bundesweit gültige Stadionverbote, ohne dass solche Sanktionen mit den allgemeingültigen Mitteln des Rechtsstaates verhängt, überprüft und hinterfragt werden.“ Und weiter: „Die Art und Weise jedoch, wie massenhaft Stadionverbote verteilt werden, zeigt, wie wenig ernst es DFB/DFL mit dem Ansatz der Prävention zu sein scheint. Zu führen ist aber weiterhin der Beweis der Wirksamkeit von Stadionverboten. Im Falle des massiven Einsatzes dieser Sanktion wird nach unserer Einschätzung das vielschichtige Problem von Verfehlungen vorrangig Jugendlicher unkontrolliert nach außerhalb des Stadions verlagert – mit unabsehbaren Folgen. Vor allem aber ist der Eindruck entstanden, dass Stadionverbote „auf Verdacht“ oder „bei Zugehörigkeit zu einer Gruppe“ als Abschreckung verwendet werden sollen, umso mehr wenn deren Laufzeiten wieder erhöht werden sollen. Damit wird deutlich, dass hier eine Privatisierung des Strafrechts bereits durchgesetzt wurde, da Strafen zur Abschreckung ausschließlich im Strafrecht vorgesehen sind.“
Zur allgemeinen Situation ist man beim 1. FC Union Berlin der Meinung: „Ebenso fragwürdig erscheint daher auch der mediale Umgang von Seiten der Verbände, die keinerlei Anstrengungen zu unternehmen scheinen, um hysterische Interpretationen, völlig falsch konstruierte oder nicht statthafte, auch verleumderische Zusammenhänge (Stehplätze = Gewaltpotenzial; Ultras = Taliban) oder schlicht einseitige, das überwältigend Positive und Konstruktive ignorierende Berichterstattung deeskalierend oder auch nur realitätsnah zu beeinflussen. Ebenso wirkt der Umgang der Verbände mit Fans problematisch, da die Dialogbereitschaft offenkundig nur einseitig besteht, DFL/DFB hingegen statt der behaupteten „Aufrechterhaltung und Intensivierung“ des Dialogs mit dem Konzeptpapier nur einen noch vielschichtigeren Sanktionskatalog vorlegen. Somit wird der nachträglichen, „auf dem Fuße folgenden“, in Teilen aber auch problematisch legitimierten Strafe ungleich mehr Platz eingeräumt als der Prävention oder eben dem im besten Fall mangelhaft geführten Dialog.“
Das Fazit der Positionierung ist eindeutig. Der vorliegende Maßnahmenkatalog sei kein sinnvolles Mittel, um den vorhandenen Problemen zu begegnen. Durchaus gebe es einige konstruktive und nachvollziehbare Ansätze, doch diesen stünde eine Vielzahl von oben herab bestimmter Maßregelungen und rechtlich anzuzweifelnder Sanktionierungen entgegen. Diese würden keinesfalls zur Normalisierung beitragen und zudem dem notwendigen Dialog im Wege stehen. Aktive Fanszenen und die in den Vereinen für die Umsetzung von Maßnahmen Verantwortlichen sollen in die Erarbeitung gemeinsamer Lösungsstrategien für bestehende Probleme einbezogen werden. Sicherlich bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der an Deutlichkeit kaum zu überbietende Satz im letzten Abschnitt der Positionierung: „Die Spaltung, die durch das monopolistische Gebaren von DFB/DFL erzeugt wurde, muss über Einbeziehung, Teilhabe und Dialog wieder geschlossen werden. Diese Möglichkeit sollte diesmal unbedingt genutzt werden.“
Ein großes Medienecho fand die Positionierung des 1. FC Union Berlin leider noch nicht. Neben den Berliner Platzhirschen BZ, Berliner Kurier und Berliner Morgenpost berichteten bisher nur die Onlinemagazine Berliner Umschau und Ostfussball.com über die klaren Worte aus Berlin-Köpenick. Apropos Echo. Wo bleiben eigentlich die Bekenntnisse der anderen Vereine, die in der Regel eine Nähe zu ihren Fans bzw. Ultras pflegen? Keine nach außen getragene Positionierung beim FC St. Pauli? Was sagen die Verantwortlichen bei Eintracht Braunschweig und Erzgebirge Aue zur „Task Force Sicherheit“? Kein Statement des FC Schalke 04? Gewiss, in den Foren läuft das Thema „Sicheres Stadionerlebnis“ heiß. Offizielle Erklärungen sind dagegen im Netz Mangelware. Die Erklärungen und Positionierungen zahlreicher Fanklubs und Fußball-Blogs mal ausgenommen.
Immerhin: Es geht wirklich ums Ganze! Man werfe einen Blick auf die Seiten 31 und 32 der pdf-Datei. „Forderungen an Dritte“. Schwarz auf weiß. Darunter die Meisterschale. Dann geht´s zur Sache. „Mögliche Forderungen an den Gesetzgeber: Anpassung des Sprengstoffgesetzes im Hinblick auf Pyrotechnik“. Oha. Seit wann stellen Sportverbände Forderungen bezüglich der Gesetze unseres Landes? Vielleicht kommt bald der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) daher und fordert Änderungen in der Straßenverkehrsordnung (StVO)? Nun gut, Vorschläge kann jeder einbringen, aber gleich Forderungen stellen? Und weiter geht´s. „Mehr Transparenz: Auskünfte über den Stand von polizeilichen Ermittlungen gegen Tatverdächtige“. Diese Forderung schlägt doch glatt dem Fass den Boden aus. Man stelle sich vor, jeder Verein, jeder Verband, jede Firma, jede Gesellschaft würde bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft Auskünfte einfordern.
Die restlichen Forderungen überraschen dagegen kaum. Gefordert werden eine sofortige Ermittlung der Tatverdächtigen, eine konsequente Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates, eine konsequente und schnelle Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren, eine vermehrte Anwendung beschleunigter Verfahren, eine Mitteilung von Identitätsfeststellungen durch die Polizei und eine Aktualisierung / Überprüfung der Einträge der Datei „Gewalttäter Sport“.
Was das alles bedeuten soll? Eine sofortige Ermittlung kann nur bedeuten: Hinein in den Fanblock und die Festnahme des Verdächtigten. Sofort. Konsequent. Gewaltmonopol. Klingt übel. Kann es unter Umständen auch sein. Kritische Transparente? Kritische Lieder? Dinge, die gegen den Kodex gehen – und schon kann das Theater losgehen. Eine Fankurve als Hort der Angst? Düstere, bedrohliche Wolken, die heranziehen? Droht die letzte Schlacht? Ein letzter großer Kampf um den Erhalt der Fankultur? Was kann eigentlich von Seiten der Verbands das Ziel des Ganzen sein? Letzten Endes stehplatzfreie Arenen mit einem Publikum, das kritiklos eine Entertainment-Show konsumiert? Wäre dies das prophezeite „sichere Stadionerlebnis“?
Persönliches Fazit des Autors: Bei allem Verständnis. Probleme gab es, Probleme gibt es und Probleme wird es auch immer geben. In der Gesellschaft, auf der Straße, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Sportveranstaltungen. Ein klinisch reines Publikum wird es wohl niemals geben. Der Fußball ist eine Art Reflektionsfläche der Gesellschaft. Das war gut so und ist gut so. So lernte ich Anfang der 90er Jahre den Fußball lieben. Mit all seinen Ecken und Kanten. Mit all seinen Emotionen. Eins steht fest. Geht eines Tages die Fankultur in den oberen Ligen verloren, bleibt mir mit meinem heranwachsenden Söhnchen wohl nur der Gang zum Sportplatz um die Ecke, auf dem in der Berlin-Liga noch ehrlicher Fußball betrieben wird. Allerdings hoffe ich, dass es soweit nicht kommen wird...
> zu den turus-Fotostrecken: Fußball, Emotionen, Fangeschehen
> zur Positionierung des 1. FC Union Berlin (inkl. Link zu den Dateien)