Fußball in Polen: Gdansk vs. Pogon, Znicz vs. Dolcan, Legia vs. GKS Belchatow

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PogonNach der Einführung der Karta Kibica (Fankarte) und der Ausbreitung der modernen Arenen hat mein persönliches Interesse an der Ekstraklasa sehr nachgelassen. Für das Pommern-Derby zwischen Lechia Gdansk und Pogon Szczecin war aber das Hinspiel schon Motivation genug, um am Donnerstag zu später Stunde den Zug Richtung Poznan zu betreten. Nach den Vorkommnissen beim Spiel Pogon gegen Legia, als Leute über drei Stunden vergeblich nach der Fancard anstanden und doch nicht ins Stadion kamen, sah ich es als ratsam an, doch etwas früher in Gdansk anzukommen, da ich für Lechia noch keine Karta Kibica hatte.

PoznanFür solche Fahrten lohnt sich eine Anreise mit dem Auto nicht wirklich und so wurde wieder die PKP gewählt. Eine direkte Verbindung gibt es um die Uhrzeit nicht, daher musste der Umweg über Poznan genommen werden. Nun steht man dort am Schalter und bei jedem Eintippen der Dame hinter der Glasscheibe verdoppelt sich ständig der Preis in der Anzeige. Da kam ich kurzzeitig ins Schwitzen und verwies bei knapp 300 Zloty darauf, dass ich eigentlich nicht vorhatte, mir einen kompletten Waggon für mich allein zu reservieren. Kaum hatte ich mich geäußert, erschien wie von Geisterhand der zu erwartende Wert. Geht doch!

GdanskNach einer sehr entspannten Fahrt, es waren kaum Leute unterwegs, war ich dann bereits über zehn Stunden vor Anstoß in der Stadt. Ordnungspunkt Nummer eins war selbstverständlich das Organisieren einer Karte. Zur Verwunderung musste man nicht einmal ein Formular ausfüllen und unterschreiben. Danach war der Kauf eines Tickets auch kein Problem mehr. Ein Platz auf der Gegentribüne für 35 Zloty ist noch im Rahmen. Da man damit rechnete, dass weniger als die Hälfte ausgelastet sein wird, verkauften sie übrigens nicht für sämtliche Blöcke Tickets. Das ergab dann später ein doch ungewöhnliches Bild. Die restliche Zeit verging wie im Fluge. Diesbezüglich muss man sich in Gdansk überhaupt keine Sorgen machen. Zunächst ging es zum Strand und später in die Innenstadt, welche zum Weltkulturerbe erhoben wurde. 

PogonAm Bahnhof war es schlichtweg zu ruhig, weshalb ich mich auf den Weg zur Arena machte und dort noch ein paar Minuten verweilte, bis der Pogon-Mob ankam. Ein Polizist fragte den anderen, wie viele denn kommen würden. Die Zahl 630 fiel. Früher utopisch, heute eine realistische Zahl. Dann setzte sich alles in Bewegung und der Zug rollte ein. Angeführt von Polizisten mit Gewehren und eingekesselt von zahlreichen Beamten zog der Tross zum Gästeeingang. Nebenbei brannte noch etwas Pyrotechnik.Von der Euro 2012 hängen in der Arena noch überall die Verbotsschilder rum. Klatschen war allerdings noch erlaubt… 

Lechia GdanskSo, nun war ich wirklich gespannt. Lechia sammelte sich im Oberrang der Hintertortribüne, der untere Teil blieb komplett leer. Die Haupttribüne besetzten um die 500 Zuschauer. Pogon stand mit 626 Mann im Gästeblock und der Rest verteilte sich im unteren Bereich der Gegentribüne. Immerhin 12.060 Fußballfreunde wollten insgesamt das Spiel sehen. Das hätte das alte Stadion an der Traugutta zum Platzen gebracht. Punktgewinn für die Arena. Einen weiteren Plus-Punkt gibt es noch für die gute Sicht. Minus-Punkte dagegen für die äußere Ansicht (hätte auch Einkaufszentrum oder sonst etwas sein können) und das Catering (Was hat das Bier in einem polnischen Stadion zu suchen? Wo ist die gute Kielbasa-Wurst hin?). 

GdanskDie Entfernung zum Bahnhof beträgt fünf Kilometer. Minus-Punkt oder kein Minus-Punkt? Schwer zu sagen. Unter Zeitdruck eher ungünstig, aber unter normalen Umständen tut so ein kleiner gemütlicher Spaziergang durch das Industrie-Viertel auch mal gut. An der Kulisse gemessen, muss das hier ja heut ein Hexenkessel werden. Hohe Zuschauerzahlen bedeuten ja nicht immer eine gute Atmosphäre. Eigentlich bedeutet es fast immer das Gegenteil. Lechia aber begann zunächst mit einer Choreo für eine verstorbene Lechia-Legende (Roman Rogocz). Dazu wurden dann die Schals gehoben und laut „Wir glauben nur an BKS“ gesungen. Pogon legte auch stimmlich ganz gut los und zeigte dazu Tücher in den Vereinsfarben, welche es zur Fahrkarte/Ticket gab. Pogon gab sich Mühe, wurde aber von Lechia übertönt. Gesanglich war es bei beiden das Standard-Repertoire. 

PogonDie Stettiner machten dann auf den Gedenktag zu Ehren der getöteten Soldaten aufmerksam und es folgte die gemeinsame Präsentation der Nationalhymne. Anschließend wurde gegen die aktuelle Regierung gepöbelt und Lechia zauberte eine Fahne hervor, die zum Ausdruck brachte, dass bei ihnen Politiker im Stadion nicht erwünscht seien. Die Intensität nahm dann etwas ab und Lechia trällerte ziemlich lange ein „In der freien Stadt Gdansk, wo es eine Krone im Wappen gibt…“. Dann war Pause und aufgrund des langen Reisetages fielen schon fast die Augen zu. Der Böller, der dann irgendwo zwischen den Leuten vor dem Cateringbereich gezündet wurde, rüttelte dann einen wieder wach. In der zweiten Halbzeit rollten die Gäste eine Blockfahne aus. Auf ihr waren mehre Soldaten, welche wohl symbolisch für alle Gefallenen standen, und ein Wolf, den man als Sinnbild für den Kampf deuten kann, zu sehen. Unter ihr flackerten Blinker und dazu brannte ein Bengalo. Als Salutschüsse nutzte man Böller. In einer Reihe tauchten dann Schwenkfahnen mit Militär-Größen auf. Dazu schallte es immer wieder laut durchs Rund: „Ehre und Ruhm den Helden!“. Aus unzähligen Fähnchen bildete dann Lechia ein Meer in Weiß und Grün.

Ultras LechiaDer Spielverlauf hätte nicht interessanter sein können für neutrale Zuschauer und Gästefans. Nach roter Karte musste der Pogon-Torwart schon frühzeitig vom Platz. Als Zusatz gab es noch die 1:0-Führung durch den folgenden Elfmeter. Pogon ackerte im zweiten Abschnitt ordentlich und bekam dann wirklich in letzter Sekunde selbst noch einen Elfmeter zugesprochen, welcher dann auch noch verwandelt wurde. Lechia sauer – Pogon sehr euphorisch. Beim Verlassen der Arena standen bereits die ersten Pogon-Anhänger am Trennzaun des Pufferbereiches. Auf der anderen Seite wurden aus fünf Jugendlichen schnell 100. Das waren keine Ultras oder Hooligans, sondern normale Heranwachsende, die bestimmt noch zur Schule gehen. Der Trennzaun fiel, aber bis irgendeiner die Sache ins Rollen bringen konnte, kam bereits die Polizei angerannt und versuchte die Einheimischen aus dem Stadion zu scheuchen. Daraufhin flogen noch Flaschen und die Polizei rückte nach dem Schließen der Tore unter dem Schutz ihrer Schilde ab. 

Es fiel bereits während des Spiels auf, dass auch sehr viele normale Leute auf der Tribüne das „Wir sind die Fans aus Gdansk, bekannt als Hooligans. Mit Lechia gehen wir bis zum Lebensende.“ mitsangen. Während die ersten Lechia-Fans schon zu Hause im Warmen saßen, wurden die Pogon-Jungs noch eine ganze Weile festgehalten. Erst gute zwei Stunden später tauchten sie wieder am Bahnhof auf, um den Zug nach Poznan zu erwischen. Dieser stand bereits einen Augenblick, aber ohne sie wäre er nicht abgefahren. 630 Leute wurden dann in nur vier Waggons gestopft oder besser gesagt: gestapelt! Danach kehrte wieder Stille ein am Gdansk Glowny und irgendwann wartete dann auch der TLK nach Warszawa auf mich.

Wenn man den ganzen Tag durch Gdansk gelaufen ist, dann sind gute sechs Stunden Ruhe ganz angenehm. Unruhe kam kurzzeitig nur durch die Fahrkartenkontrolle auf. Eine Dame hatte keinen für den TLK gültigen Fahrschein und diskutierte mit dem Schaffner. Ein Flehen und ein tiefer Einblick auf zwei gute Argumente der Blondinka und schon verschwand er auf Nimmerwiedersehen mit den Worten „Ich bin gleich wieder da.“. Und nun Licht aus und Ruhe im Karton!

KäfigNach etwas Sightseeing wurde sich schnell ein Ticket geholt. Ein billiger Platz hinter dem Ballfangzaun kostet bei Legia unverschämte 40 Zloty! Etwas günstiger dagegen ist eine Fahrt ins schöne Pruszkow. Der Vorort beheimatet den Drittligisten Znicz. Znicz spielt keine große Rolle unter den kleinen Fanszenen und auch so dürfte der Name kaum große Bekanntheit außerhalb Polens erlangt haben. Das Highlight beim Stadion von Znicz ist der Gästekäfig. Er erreichte schon zwischenzeitlich einen hohen Rang unter den unmenschlichsten Gebilden der polnischen Stadion-Baukunst. Ein hoher Zaun mit dicken Streben umgibt einen fast ebenerdigen Bereich. Zum Käfig gelangt man über einen vergitterten Gang. Da macht Fußballschauen als Gästefan doch Spaß, oder? 

ZniczDer Fußballgott erhört alle Gebete und lässt das Testspiel gegen Dolcan Zabki im Stadion stattfinden. Nachdem der Käfig inspiziert wurde (der Zaun wurde erhöht und eine Stahlrohrkonstruktion dem Sektor hinzugefügt), luden ausreichend Platz und Sonnenschein zum Verweilen auf der Tribüne ein. Vielleicht 40 Zuschauer wollten den Kick, der 0:2 ausging, sehen. Nebenan im Kunstrasenstadion passte noch die zweite Halbzeit von Ursus Warszawa gegen Motor Lublin ins Programm (0:4, 15 Zuschauer). 600 Zuschauer bekommt man hier auch unter. Für Gäste gibt es einen Bereich mit 32 Sitzschalen, sechs Kameras erfassen jeden Zuschauer. Damit ist er für die 4. Liga zugelassen. 

LegiaZurück bei Legia waren bereits einige Polizisten emsig beim Beobachten, Rumlaufen und Aufschreiben von Personen. Zwei Wasserwerfer standen auch schon bereit. Nur wofür? Dann konnte die Legia-Show im Stadion losgehen. Schon 40 Minuten vor Spielbeginn setzte dann der „Chor“ ein. Das Warschau-Lied erklang und es wurde nun sehr, sehr laut. Dazu wurden obligatorisch Schals gezeigt – ein einziges Meer von Schals. Ich habe selten so eine Geschlossenheit in diesem Ausmaß gesehen. Sehr beeindruckend. Die Mitmachquote lag das ganze Spiel bei gefühlten 100 Prozent. Oft gingen Hintertortribüne und Gegengerade mit. Das war Wahnsinn für ein normales Liga-Spiel!

LegiaDie Lieder-Auswahl schien anfangs nicht ganz so überzeugend und eher für die Masse gedacht. Dies änderte sich schnell durch Lieder wie das mehrstrophige „Schule, Arbeit, Frauen, Familie - das alles geht mich heute nichts an, wenn meine geliebte Mannschaft spielt, welcher ich früh mein Herz gab.“ und ein „Nur Legia! Mein geliebtes Legia! Heute wartet Warschau auf deinen Sieg!“ nach der Melodie von „I am sailing“. Ein weiteres: „Unserer Stadt und unseren Farben widmen wir unser ganzes Leben. Gewinnst du, dann gewinnen auch wir…“. Das brachte es dann doch ganz sicher auf die Note eins plus.

BelchatowGKS Belchatow auf der anderen Seite ging mit seinen zirka 300 Leuten komplett unter, obwohl sie eine richtig gute Leistung geboten hatten: Viel Klatschen, Schalparaden (es wurden extra Schals für dieses Spiel angefertigt), Trommeleinsatz, gute Abwechslung in der Liedauswahl. 18.000 waren insgesamt im Stadion. Am Ende feierten jedoch nur die Gäste. Als Reaktion auf das triste 0:0 gab es ein Pfeifkonzert und ein lautes „Kämpfen, trainieren – Warschau muss regieren!“.

Nachdem ich über die leere S-Bahn erstaunt war (hier fährt wohl alles mit dem Bus oder läuft), waren nur noch die letzten Minuten bis zur Abfahrt nach Szczecin und die letzten paar Kilometer bis nach Hause zu bewältigen. Mein persönliches Fazit: Die erste polnische Liga kann man sich wirklich mal wieder anschauen!

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