Dem Morgengrauen entgegen… Früh um fünf wurde sich aus dem Bett gepellt, wenig später ging es im ICE von Berlin aus gen Ruhrgebiet. Duisburg rief - der F.C. Hansa Rostock musste sein Auswärtsspiel beim KFC Uerdingen 05 bestreiten. Hansa-Fans, die von Mecklenburg-Vorpommern aus mit dem WE-Ticket anreisten, mussten zum Teil bereits vor Mitternacht in den ersten Regionalzug steigen. Nach zwei Jahrzehnten begegneten sich die Vereine zum ersten Mal, und ja, es wäre ein echter Gaudi gewesen, würden die Krefelder ihre Heimspiele in der Grotenburg austragen. So aber gab es für die Rostocker ein Spiel auf bekanntem Terrain. Immerhin wurde kurz vor dem Spiel bekanntgegeben, dass die Gästekasse am Spieltag öffnen würde. Mit voller Kapelle an die Wedau. Dass die Anreise für die WET-Fahrer nicht ganz ohne sein würde, war zu erwarten, da in NRW zeitgleich massig Schalke- und BVB-Fans zum Revierderby fuhren. Und so war es wenig überraschen, dass sich im RE6 aus Minden zahlreiche Hansa-Fans den Platz mit Schalkern und Dortmundern teilen mussten.
KFC Uerdingen vs. Hansa Rostock: Draußen Wild West, drinnen nur Stimmung auf der West
HotEin weiterer Knackpunkt am gestrigen Nachmittag: Die Fanszene des KFC Uerdingen 05 beharrte darauf, wie in dieser Saison üblich auf dem Schienenweg nach Duisburg-Schlenk zu fahren. Schlenk? Allein bei diesem Namen bekommen landesweit tausende Allesfahrer eine Gänsehaut, und auch die Rostocker können von diesem Bahnhof ein Liedchen trällern. Um ein buntes Aufeinandertreffen am Duisburger Hauptbahnhof zu verhindern, sollten entsprechende Regionalzüge einen extra Stopp in Schlenk einlegen.
Anderthalb Stunden vor Anpfiff herrschte am Duisburger Stadion noch die totale Ruhe. Der große Presseparkplatz direkt vor der Haupttribüne blieb noch komplett frei, da am gestrigen Tag eh alle anderen Parkplätze kostenfrei waren. Der KFC Uerdingen 05 hatte seine Fans dazu aufgerufen, dieses Mal unbedingt die eigenen PKW für die Anreise zu nutzen. Nun denn, ein echtes Parkplatzproblem war eh nicht zu erwarten, rechnete man insgesamt bis zu 7.000 Zuschauern (rund 2.000 Gästefans). Am Ende wurden es 5.614 Zuschauer.
Die Kassen öffneten, und die ersten KFC-Fans fanden sich am Eingang zum für die aktiven Fans vorgesehenen Eckblock ein. Hier und da ein Pläuschchen. Alles juti soweit. Zirka eine Stunde vor Spielbeginn rollte schließlich ein Reisebus auf der Straße direkt am kleinen Fanhaus der MSV-Fans ein. Ein Blick rüber: Ohne Hektik packten die Angereisten eine Trommel und ein paar andere Utensilien aus. Wie jetzt? Uerdinger konnten es nicht sein, also mussten es demzufolge Rostocker sein, die entweder falsch geführt wurden oder schlichtweg das Navi falsch eingestellt hatten. Da am Bus keine Hektik erkennbar war, schienen keinerlei Probleme anzustehen. Logisch aber, dass der eine oder andere skeptische Blick rübergeworfen wurde. Und die Polizei? Diese war zu jenem Zeitpunkt ziemlich spartanisch vertreten. Ein paar Polizisten hoch zu Ross - Pferd und Reiter mit leuchtenden Leibchen und Westen versehen - trabten über den Parkplatz. Zwei normale Polizeifahrzeuge wurde am Zugang zu den Parkplätzen abgestellt. Das war´s dann quasi schon.
Ein zweiter Rostocker Bus - dieses Mal ein Doppeldecker - fuhr ebenfalls vor, lud jedoch seine Besatzung vermutlich am Gästeblock ab und kehrte später in leerem Zustand zurück. Diese wäre alles nicht weiter problematisch gewesen, wenn nicht wenig später die Krefelder Zugfahrer das Terrain erreicht hätten. Der Mob erschien in der Ferne ohne großartige Polizeibegleitung, und beide Seiten ließen sich nicht lange bitten. Es schien wie beim sich öffnenden Gitarrenkoffer im Kult-Streifen „Desperado“. Der Koffer öffnete sich - und was erschien? Die einmalige Möglichkeit, sich ohne große Polizeipräsenz zu kloppen.
Es ergab sich mit einem Mal ein Anblick wie in den 90ern. Bei den entsprechenden Bildunterschriften hätte man Mitte der 90er im guten alten „FanTreff“ lesen können: „Rostocker Mob geht auf Krefelder zu“, „Krefelder Jungs nahmen die Einladung an und standen gerade“, „Polizeipferde in Aktion“. Auf dem leeren matschigen Parkplatz liefen zwischen 50 und 60 Rostocker auf die Krefelder zu, blitzschnell rannten die gelben Polizeipferde einmal quer über den mit Pfützen übersäten „Acker“, um bei den Angreifern ein wenig das Tempo rauszunehmen. Da an jener Stelle Geländer im Weg waren, wichen die Krefelder in Richtung Stadionvorplatz aus. Dort kam es zu handfesten Schlägereien.
Angerückte Polizisten rannten herbei und setzen sich beim Laufen fix die Helme auf. Pfeffer kam zum Einsatz, das Handgemenge näherte sich gefährlich dem Kassenbereich, wo unbeteiligte KFC-Fans standen, die wahrlich keine Lust auf Krawall und Faustschläge verspürten. Soweit sichtbar wurden jedoch nicht aktive KFC-Fans in Ruhe gelassen und es wurden wohl keine Schals von Unbeteiligten beim Vorbeirennen gezogen. Nach ein paar Minuten beruhigte sich die Situation, hinter einer Polizeikette brüllten die KFC-Ultras ein wütendes „West-, West-, Westdeutschland!“ Zwei Rostocker wurden vorerst festgenommen, einem von ihm spülte ein Polizist mit einer Wasserfalsche die Augen aus.
Den Rest ließ man scheinbar ziehen, da man wusste, dass am Einlass des Gästeblocks ein ganz anderes Polizeiaufgebot für weitere Maßnahmen warten würde. So kam es dann auch. Die Personalien der Busbesatzung sollten aufgenommen werden, doch diese wollte diese nicht zulassen. Es kam zu Auseinandersetzungen, in Folge dessen konnten Hansa-Fans, die kurz vor Ultimo eintrafen erst einmal nicht das Stadion betreten. Zudem wurden noch vor Anpfiff sämtliche Zaunfahnen im Gästebereich abgenommen. Rund 300 bis 400 Rostocker verließen den Gästeblock, im Innenraum roch es nach verbrannten Gegenständen. Wie sich später herausstellen sollte, wurden zwei Mülleimer angezündet.
Exakt fünf Minuten vor Anstoß wurde auf dem Oberrang der letzte Stoff abgenommen. Das lange blau-weiß-rote Banner mit der Aufschrift „Freiheit für alle Stadionverbotler“ wurde eingerollt. Somit stand fest, dass es wieder einmal keinen Support auf Hansa-Seite geben würde. Nun kann man sich hübsch drüber streiten, ob es in solchen Situationen Sinn macht, die eigene Mannschaft 90 Minuten gar nicht zu unterstützen. So geschehen bereits im Frühjahr bei den Auftritten in Osnabrück und bei Fortuna Köln. Ein hartes Brot, nachdem es bereits beim letzten Spitzenspiel gegen den VfL Osnabrück - da allerdings aufgrund des Protestes gegen die Montagsspiele - auf den Rängen des Ostseestadions weitgehend totenstill blieb.
Das Spiel begann, und Stimmung verbreitete nur die KFC-Fanszene, die in fremder Heimat auf dem Oberrang in der Ecke ihr Bestes versuchte. Nach 20 Minuten rückten einzelne Hansa-Fans im Stehblock und auf der Hintertortribüne nach, doch einen komplett gefüllten Gästebereich bekam man am gestrigen Nachmittag nicht mehr zu sehen. Nun denn, denkt man, andere Mannschaften müssen ja auswärts in der Ferne auch ohne wirklich hörbaren Support auskommen. Wehen Wiesbaden, Großaspach, Sandhausen - um nur ein paar zu nennen. Als Profi muss man da halt durch. Und trotzdem hatte man am gestrigen Tag das Gefühl, das eine oder andere Quentchen konnte die Hansa-Mannschaft nicht rausholen, weil das gewohnte Nach-vorne-Peitschen fast komplett ausfiel.
In der 24. und der 27. Minute sah es jedoch recht gut aus für den F.C. Hansa Rostock. Dank zweier Möglichkeiten hätte dies durchaus die Gästeführung sein können. Und ja, hier muss wirklich der Fünfer ins Phrasenschwein geworfen werden. Machste vorn nicht deine Dinger klar, dann, ja dann rumpelt es hinten. Auf der rechten Seite brachte Aigner den einst beim HSV spielenden Beister ins Spiel. Dieser nutzte von schräg rechts seine Chance und brachte das Spielgerät trocken unter. 1:0 für Uerdingen! Im Gästebereich wurden indes die Lücken schon wieder größer. Mein größeres Söhnchen ließ sich auf der Haupttribüne seinen Schal aus dem Rucksack geben, zeigte eine Trotzreaktion und stand plötzlich inmitten der ganzen Schreiberlinge mit gehobenem Schal auf. Für ihn war das echt bitter. Nach etlichen Auswärtsspielen der Amateure schien er „reif“ zu sein für ein knackiges Auswärtsspiel der ersten Mannschaft - und nun musste ich ihm die Situation erklären. Aber gut, er ist nicht mehr fünf, sondern acht, und er zeigte Verständnis. Nicht desto trotz fragte ich mich, ob es eigentlich auch mal Hansa-Auswärtsspiele ohne Begleiterscheinungen und Nebengeräusche gibt?! Okay, die Antwort fand ich selbst. Jüngst bei den Sportfreunden in Lotte ging das Ganze komplett reibungslos über die Bühne.
Auf dem Rasen drückte nach der Führung indes der Gastgeber und kam in der 33. Minute fast zum 2:0. Nach einem Foul an der Außenlinie ertönte aus dem Uerdinger Block ein lautes „Hansa-Schweine!“ und nun wachte auch der Gästeblock einmal auf. Lautstark wurde kurz ein „Wir singen Blau-Weiß FCH, wir singen F.C. Hansa…“ angestimmt. Es folgte darauf noch ein „Ruhrpott-Kanacken!“, dann wurde es wieder unheimlich still im Gästebereich. Hansa hatte nicht das passende Rezept parat, immer wieder wurde hinten rum über den Torwart gespielt. In der 42. Minute hatte der KFC eine weitere Chance, in der 45. Minute verhinderte der FCH-Keeper mit einer Parade den 0:2-Rückstand. Umso überraschender erfolgte der Ausgleich in der 45.+1. Minute. Von rechts kommend hämmerte Soukou den Ball in den Maschen. Geht doch! Jubel im Gästeblock. Ein Papa-Sohn-Küsschen auf der Tribüne.
Das muss ein Weckruf gewesen sein! Verdammt, nun bräuchte die Rostocker Mannschaft wirklich Unterstützung von den Rängen. Diese gab es jedoch nicht. Immerhin gab es in der Pause die von im Ostseestadion erzielten Rostocker Toren bekannte Melodie zu hören. Glück brachte diese nicht. Ein zweiter Treffer wollte nicht gelingen. Stattdessen konnte der gut aufspielende Beister in der 58. Minute sein zweites Tor schießen. Hübsch nach innen reingezogen und dann sehenswert von der Strafraumgrenze abgezogen. 2:1 für Uerdingen.
Erstaunlicherweise spielte der Gastgeber nicht allzu konzentriert weiter. Demzufolge hatte der F.C. Hansa Rostock in Person des Angreifers Soukou in der 77. und 80. Minute eine Doppelchance. Es war zum Haareraufen aus Rostocker Sicht. Das wurde nix mehr, der KFC Uerdingen 05 brachte die drei Punkte in trockene Tücher. Einziger Aufreger waren noch zwei extrem laute Böller, die auf Heimseite vom Oberrang in die leere Stehkurve geworfen wurden, wobei der erste Knallkörper unmittelbar hinter einem sitzenden Fotografen detonierte. Parallel dazu wippten oben zahlreiche KFC-Fans zum gesungenen „West-, West-, Westdeutschland…“
Nach Abpfiff schien draußen alles ruhig zu sein. Und auch auf dem Bahnsteig in Duisburg-Schlenk schien alles unter Kontrolle. Abfahrbereit stand der RE6 in Richtung Minden bereit. Da die Waggons bereits gefüllt waren, mussten einige Hansa-Fans in Polizeibegleitung in der Mitte des Bahnsteigs bleiben. Mit welchen Fans genau dieser Regionalexpress gefüllt war, war schwer erkennbar. Und beim besten Willen konnte man sich zu jenem Moment nicht ausmalen, dass es wenig später auf dem Duisburger Bahnhof dermaßen eskalieren könnte. Die Details zu diesen Ereignissen müssen woanders angelesen werden, glücklicherweise blieben unser Sohn und ich noch eine Nacht in Essen.
Das Fazit des Ganzen: Kopfschütteln. Und zwar in Bezug auf einen der Hauptgründe des Umzuges vom Grotenburgstadion nach Duisburg. Eine Fantrennung sei in der eigentlichen Heimstätte des KFC Uerdingen 05 einfach nicht gewährleistet. Aha. Die RL-Spiele und Pokal-Duelle gegen Alemannia Aachen und Rot-Weiß Essen - um nur zwei Beispiele zu nennen - konnten durchaus ordnungsgemäß durchgeführt werden. Heimfans auf die Haupttribüne, Gästefans auf die komplette Tribüne gegenüber. Fertig. In Duisburg hatte es ja mit der Fantrennung indes 1a geklappt…
> ein turus-Video von der Parkplatz-Boxerei auf der turus-Facebook-Seite
Fotos: Marco Bertram, K. Hoeft
Benutzer-Kommentare
Hier steht ausschließlich das, was der Autor gesehen, erlebt und empfunden hat - ohne zu polarisieren.
Prima!
Von allem, zu dem er sich nicht äußern kann, hält er sich fern, was die Glaubwürdigkeit des Verfassers nur unterstreicht. Sehr angenehm!
Schön, wenn man mehr solcher entspannt und objektiv geschriebenen Berichte lesen könnte!