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13 Jahre Stendal Randale: Choreo auf der Süd und drei Punkte für Hansa Rostock

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„Rote Kogge, blaues Segel, tätowiert auf seinem Bein. War dabei in Bochum, in Stendal. Hinterlässt in Dresden und Frankfurt sein Denkmal. Denk mal schon, dass er weiß, was er tut. Hansa Rostock bis auf's Blut...“, heißt es im Song „Romeo und Julia“ von Marsimoto. Stendal! Dieser Name brannte sich ein. Die Bilder von den brennenden Polizeifahrzeugen brannten sich ebenso ein. Solch einen Ausbruch der Gewalt hatte man bis dato in Deutschland selten gesehen. Das Szenario erinnerte ein wenig an das Duell Kickers Offenbach vs. SV Waldhof Mannheim im Mai 1999, als die Straßen mit Steinen und Flaschen übersät waren und zerstörte Autos quer auf der Fahrbahn standen. Die Ereignisse vom 05. Februar 2006 in Stendal reihten sich jedoch nahtlos ein in andere Bambule-Spiele der Nullerjahre, die beim Fußball den Übergang zwischen den wilden, teils eher chaotischen 90ern und der von perfekten Choreos und perfekt organisiertem Support geprägten Gegenwart bildeten. Die schwere Randale beim Zweitligaspiel Rot-Weiss Essen vs. Eintracht Frankfurt im Oktober 2004, der Platzsturm beim Oberligaspiel BFC Dynamo vs. 1. FC Union Berlin im Frühjahr 2006, das gigantische Feuer im Gästeblock beim Rostocker Auftritt an der Essener Hafenstraße im April 2007. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Zeiten änderten sich zu Beginn des Neuen Jahrtausends. In den Fanszenen wurden die Strukturen straffer, verschiedene Ultrà-Gruppierungen bekamen zunehmend Einfluss in den Kurven, Verband und Behörden wurden nervöser, nicht zuletzt die WM 2006 in Deutschland sollte einiges ändern. Im Zuge dessen geriet die Polizei immer mehr in den Fokus der aktiven Fanszenen. Klar, dass es auch in den 1990er Jahren immer wieder Probleme zwischen polizeilichen Einsatzkräften und Fußballfans auftraten, doch wurde der Konflikt im Vorfeld der Weltmeisterschaft weitaus größer. Behörden, Verband und Polizei hielten die Zügel straffer, immer wieder kam es zu gezielten Aktionen gegen verschiedene Fanszenen. Manch ein Auswärtsspiel wurde kein Zuckerschlecken mehr, Pfefferspray und Schlagstock befanden sich mitunter sehr locker im Halfter. 

Genau in jene Zeit fiel das Auswärtsspiel des F.C. Hansa Rostock bei Eintracht Braunschweig. Am 05. Februar 2006 saßen bereits hunderte Hansa-Fans in den Zügen und Autos, als die Nachricht eintrudelte, dass aufgrund der Witterung die Partie abgesagt werden müsse. Für etliche Rostocker war Stendal Endstation. Aussteigen, abwarten, neue Pläne schmieden. Was genau zu Beginn der Krawalle passierte und was genau der Auslöser des Ausbruchs war, werden die Leute wissen, die vor Ort waren. Im Netz gibt es ein paar kurze Sequenzen zu sehen, die jemand mit einem Handy (damals ja noch nicht so üblich) oder einer kleinen Digitalkamera aufgenommen hatte. Wartende Fans, über die Gleise rennende Fans, erhobene Arme, Gesänge, Rauch, klirrende Fensterscheiben, im Hintergrund lichterloh brennende Fahrzeuge. Bei manch einem entlud sich an jenem Nachmittag all der Hass auf die Polizei. Fußball-Deutschland war geschockt. Der Verein war geschockt. Die Schlagzeilen in den Medien überschlugen sich – und ebenso überschlugen sich einige Politiker mit ihren harschen Forderungen. Solch ein Szenario vor der heimischen WM 2006? Verband und Politik bekamen es mit der Angst zu tun.

 

13 Jahre später. Solche Gewaltausbrüche sind glücklicherweise in der Gegenwart eher selten zu sehen. Friede, Freude, Eierkuchen? Nein! Argwohn und Hass auf Polizei, Behörden und Verband nahmen sogar zu. Die Schrauben wurden immer fester gedreht, die Politiker lechzen nach härteren Polizeigesetzen, der DFL & DFB möchten die Stadien „sauber“ kriegen. Dem Einsatz der Pyrotechnik ein Ende setzen, die kritischen Banner und Spruchbänder endgültig verbannen. Umso skurriler wird es, wenn man die aktuellen Enthüllungen betrachtet und die dazugehörigen Berichte liest. Man / frau fällt vom Glauben ab. Erst die „Football Leaks“, nun aktuell der Spiegel-Bericht über die „Lustreisen und Saufgelage der DFB-Spitze“. Ich persönlich verspüre beim Lesen solcher Texte nur noch Brechreiz. Nach 30 Jahren Fußball dachte ich, man habe schon so ziemlich alle Facetten erleben dürfen, doch der aktuelle Stand der Dinge stimmt nur noch traurig. Fehlen eigentlich nur noch neue Enthüllungen, dass auch Spiele massiv verschoben wurden. 

 

Und Hansa Rostock? Beim gestrigen Heimspiel gegen die SpVgg Unterhaching gab es auf der Südtribüne eine fette ACAB-Choreo zu sehen. Darunter ein großes Banner mit der Aufschrift „13 Jahre Stendal Randale“. Das S“ und das „R“ (Suptras) wurden blau hervorgehoben. An einem Ende gab es die damals in Stendal brennenden Polizeifahrzeuge zu sehen. In einem Eckblock auf der Nordseite hatten sich ein paar aktive Hansa-Fans eingefunden, die sonst auch auf der Südtribüne zu finden sind. Zu lesen gab es dort zwei Spruchbänder: „Vorpommern wünscht allen Angeklagten im Dresdenprozess viel Kraft und Gerechtigkeit“, „Nun vor den Toren und nicht mehr hier. Vorpommern steht hinter dir. Durchhalten F. aus F.“ Es gibt bekanntlich Zerwürfnisse innerhalb der Hansa-Fanszene, und es wird nun in Rundbriefen um Geschlossenheit geworben. Die Zeiten sind wild und werden gewiss nicht ruhiger. Um Behörden und Verband auch weiterhin als Fanszene stabil entgegentreten zu können, wird Geschlossenheit das A und O sein.

 

Und auf dem Rasen? Auf jenem konnte die Mannschaft des FCH endlich den Bock umstoßen. Gegen die bis dato auswärts ungeschlagene SpVgg Unterhaching zeigte Rostock eine prima Leistung und konnte vor insgesamt 10.100 Zuschauern verdient mit 2:0 gewinnen. Nach sieben Partien ohne Sieg konnte nun wieder ein Dreier eingefahren werden. Bereits nach fünf Minuten kam Hansa in Form eines Distanzschusses zu einer prima Möglichkeit, doch der Ball ging knapp am linken Pfosten vorbei. Bis zum ersten Treffer mussten die Heimzuschauer allerdings bis zur 39. Minute warten. Nach einer Ecke konnte die Hachinger Hintermannschaft das Spielgerät nicht weit genug weg schlagen. Im Hintergrund stand Lukas Scherff bereit, und dieser haute den Ball mal eben aus rund 25 Metern platziert ins Gehäuse! 1:0 für Hansa Rostock!  Was für ein befreiender Jubel im Ostseestadion! 

In der zweiten Halbzeit mussten sich die Hansa-Fans in Geduld üben. Man ließ zwar hinten nichts groß anbrennen, doch das Damoklesschwert baumelte über dem Ganzen. Doch noch ein Ausgleich von Unterhaching? Nein! Der soeben eingewechselte Biankadi machte eine Viertelstunde vor Schluss das 2:0 für den FCH. Zwar kamen die Gäste kurz vor Schluss noch zu zwei Möglichkeiten, doch der Kasten blieb sauber und die Punkte blieben an der Küste.

Aktueller Nachtrag: 

Im 512-seitigen Wälzer "Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See" gibt es unter anderen ein ausführliches Kapitel zu lesen, das die Ereignisse vom 5. Februar 2006 ausführlich beleuchtet. Infos und Bestellmöglichkeit auf der Webseite des Herausgebers / Autors Marco Bertram.

Fotos: Rostocker Freunde

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

Artikel wurde veröffentlicht am
10 Februar 2019
Spielergebnis:
2:0
Zuschauerzahl:
10.100

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3. Liga

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Kommentare
Sehr gut!!
G
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Alles Gute Hansa!
Auch wenn der Rückstand schon beträchtlich ist, habe ich noch etwas Hoffnung für diese Saison.
Es wird Zeit dass die Kogge wieder mal nach Dresden kommt.
E
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G
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Wachsam
Moin, immer schön aufpassen, wachsam sein, hinterfragen, selbst Gedanken machen!
Wem nützt denn was?!?
Schön das die Kogge wieder Wind in den Segeln hat und hoffentlich endlich mal richtig gesteuert wird. Allein der Glaube daran fehlt mir, nach fast 35 Jahre Fan sein. Ja ich weiß, Leidenschaft kommt von leiden, aber irgendwannmöchte ich unsere Fahnen wieder glücklich wehen sehen. Dann habe ich noch die Bitte um die Geschlossenheit. Der Verein ist größer als jede noch so mimosenhafte Denken und Verhalten! Schritt zurück und raus nehmen und sich selber hinterfragen und dann volle Kraft voraus. Dies gilt für jeden!!!! Gruß und schönen Sonntag! Und im März schmeckt ins der halbe Liter Augustiner Saft dann leckerer (gemeinsam) unter den ersten 6 Mannschaften in der bayrischen Sonne! AFDFCH
HA
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FCH
G
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