März 1994: Ultras Basel! Sonderzug! Glatzen! Bomberjacken! Ein Schlüsselerlebnis!

März 1994: Ultras Basel! Sonderzug! Glatzen! Bomberjacken! Ein Schlüsselerlebnis!

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Angelockt wurden wir von der lauten Musik. Zu zweit liefen wir quer durch das Bahnhofsgebäude von Basel und trauten unseren Augen kaum. Alter, was ist das denn?! Ein Sonderzug stand bereit, und hunderte Fans lehnten sich aus den nach unten geschobenen Fenstern. Man schrieb den 13. März 1994, und der FC Basel musste in der Abstiegsrunde beim Erzrivalen FC Zürich antreten. Was für ein Anblick! Was für ein rot-blauer Mob, der sich auf den Weg nach Zürich machte! Karsten und ich waren im Frühjahr 1994 mit dem Interrailticket kreuz und quer in Europa unterwegs und fuhren runter nach Bordeaux, Lissabon und Almería sowie hoch nach Manchester und Edinburgh. Wir pennten in den Zügen, auf Parkbänken, unter Sträuchern, in ranzigen Warteräumen und unter freiem Himmel in den Highlands. Wir ließen uns treiben und wollten eigentlich rüber nach Mailand. Ultras gucken! Endlich einmal live den italienischen Fußball sehen.

Anfang der 1990er Jahre war es noch schwer, über den Tellerrand zu schauen und sich vielseitig zu informieren. „FanTreff“, „15:30“ und diverse Fanzines wurden regelrecht aufgefressen, überspielte VHS-Kassetten machten die Runde, in Gedanken spann man sich aus, wie es wohl in der einen oder anderen europäischen Fankurve zugehen mochte. Unvergessen war auch der Besuch in einem kleinen Kölner Nischenkino, in dem der legendäre Film „Ultra“ (Blutiger Sonntag) gezeigt wurde. Die letzten Szenen des Filmes hatten sich für immer eingebrannt. AS Rom war zu Gast bei Juventus Turin, und im Klo kam es zum Showdown. „Wir rächen ihn! Wir brauchen Eisenstangen!“ rief einer der Anführer, und kurzerhand wurden die Wasserleitungen von den Wänden gerissen, sodass wenig später das Wasser ungehindert über die dreckigen, beschmierten Fliesen sprühte.

Da ich die Farben Schwarz und Weiß richtig lässig fand, kaufte ich mir wenig später einen Jaquardschal von Juve und band ihm mir bei brenzligen Spielen um den Hals. Wenn es drauf ankam, konnte man sich den Stoff hübsch über Mund und Nase schieben. Hach geil, das sah so schön gefährlich aus. Ultra! Was es mit den europäischen Ultra-Bewegungen eigentlich auf sich hatte, wusste ich damals natürlich nicht. Pyro, Bambule, große Schwenkfahnen und brachiale Gesänge. Genau so was wollte ich Anfang und Mitte der 1990er Jahre auch in deutschen Stadien sehen. Kein Wunder, dass es mich damals dermaßen angefixt hatte, mal ab und an auf der Südtribüne des Westfalenstadions zu stehen. Tausende Papierschnipsel in die Luft werfen, richtig abgehen beim Tor, eine totale Enge auf den Stufen, um einen herum wurden spontan die Fackeln angerissen. Geiler ging es ja kaum. 

Wenngleich es bei Fortuna Köln bereits die erste deutsche Ultra-Gruppierung gab, so wurden die anderen ersten nennenswerten Ultra-Gruppen erst ab Mitte der 1990er Jahre ins Leben gerufen. Leverkusen, Nürnberg, Erfurt waren mit die Vorreiter. Aber im März 1994? Ultras kannte ich nur aus dem Film und vom Namen her. Umso gefesselter war ich, als ich zum allerersten Mal mit eigenen Augen ein auf Stoff geschriebenes „Ultras“ zu sehen bekam.

Der proppenvolle Basler Sonderzug nach Zürich setzte sich langsam in Bewegung, und an den Fenstern wurde gesungen und die Arme herausgestreckt. Der Zug verschwand hinter der nächsten Biegung, doch noch immer dröhnte laute Musik über den Bahnhof. Wie jetzt? Ein Haufen Basler Fußballfreunde saß noch immer auf dem Boden, hörte die Mucke aus dem Kassettenrekorder und schüttete das Büchsenbier in sich hinein. Wat für Typen, schoss es mir durch den Kopf. Bomberjacken, Glatzen, derbe Visagen. Alter Schalter, wie im Lichtenberger Weitlingkiez 1990/91, dachte ich nur und konnte mich kaum satt sehen.

Fahren die nicht mit nach Basel, oder wie? Haben die alle Stadionverbot? Fragen über Fragen. Dann jedoch stand auch diese Truppe auf und marschierte zu einem regulären Zug, der nach Zürich fuhr. Auf den Sonderzug hatten die strammen Jungs keinen Bock, stattdessen wollten sie auf eigene Faust zum brisanten Aufstiegsspiel anreisen. Interessanterweise ließ sich die Polizei nicht blicken. Die kernige Truppe enterte mit ihrem Ghettoblaster die Abteile, schob die Fenster runter und hielt ein langes schwarzes Banner raus. Mit weißen Buchstaben stand auf diesem geschrieben: „Ultras Basel“. Daneben der berühmte Krummstab (Baselstab).

Karsten hatte an jenem Märztag 1994 ein einziges Foto mit seiner Pocketkamera anfertigen können. Auf dem Papierabzug war quasi gar nichts zu erkennen, auf dem bearbeiteten Scan wurden zumindest die Konturen erkennbar. 

Allerdings hatten die damaligen „Ultras Basel“ wenig mit den heutigen Ultras der Muttenzerkurve zu tun. Ins Leben gerufen wurden die „Ultras Basel“ im März 1990. Glatze, umgedrehte Bomberjacke und Tattoos gehörten bei den Mitgliedern zum Programm. Die Zahl der festen Mitglieder schwankte zwischen zehn und 20, dazu kam halt das übliche lose Umfeld. Einer ihrer Gesänge lautete: „Komm mal rüber, Mann, ich schlag‘ dich nieder, Mann, weil ich ein Ultra bin, weil ich ein Basler bin.“ Einer der Unterschiede zwischen den Hooligans und den „Ultras“ - so sagte man - war: Während die Hools aufhörten zu kämpfen, wenn der Gegner am Boden lag, so ging es dann bei den „Ultras“ erst richtig los.

Anfang der 1980er Jahre prägten noch die „Mighty Eagles Schaffhausen“ das Geschehen in der Muttenzerkurve. Hinzu kamen später die „Blue-Red Army“, die „Munotszene Schaffhausen“ und die „Ghetto Boys“. Allesamt waren berühmt berüchtigt aufgrund ihrer Härte. Ende der 1980er kamen dann die Hooligans dazu, die sich mit Markenklamotten abgrenzten. Als „Hooligans Basel“, „Basler Jungs“ und „Anal Terror Hooligans“ sorgten diese für Schlagzeilen. Mitte der 1990er verschwanden diese allerdings aufgrund zahlreicher Strafen (vorerst) nach und nach von der Bildfläche. Ebenso aus dem Stadion verbannt wurden dann die „Ultras Basel“, die ein offizielles Verbot erhielten. 

Dies alles konnte ich selbstverständlich damals am besagten 13. März 1994 nicht wissen. Ich starrte gebannt auf das Banner mit dem abgewandelten Krummstab und den verschnörkelten Buchstaben und musste an den Film „Ultra“ denken. Ob die Jungs in Zürich auch die Rohrleitungen im Sanitärtrakt herausreißen würden? Zuzutrauen war es der Truppe. Und wie das Spiel auf dem Rasen ausging? Zürich und Basel trennten sich vor 18.500 Zuschauern im Letzigrund 1:1. Herbert Waas hatte den FCZ in Führung gebracht, Dario Zuffi konnte später ausgleichen…

Fotos: K. Hoeft, Marco Bertram, Arne Amberg

 

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Artikel wurde veröffentlicht am
19 Februar 2020

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Gute Zeiten
Das waren noch Zeiten. Ohne Gutmenschentum, political Corectness und diese linken, schmal schultrigen Studenten Ultras von heute.
Ultra ist leider eine Modebewegung geworden.
B
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Jut jut
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