„Das Beste an Duisburg ist die Bahn nach Essen“, scherzte kürzlich noch ein Freund. Ok da hat er die sehenswerten Hotspots Innenhafen, Landschaftspark Nord oder Sechs-Seen-Platte wohl vergessen. Aber viele Fans von Rot-Weiss Essen dachten gestern Abend wohl so, als sie am Bahnhof Duisburg-Schlenk die S-Bahn bestiegen: endlich geschafft, raus aus der Stadt. Vorausgegangen war nach dem Fußballspiel MSV Duisburg gegen Rot-Weiss Essen eine chaotische Organisation der Abreise von tausenden RWE Fans und das sowohl am Stadion, als auch zwei Kilometer weiter am Bahnhof. Wir kritisieren ja nicht zum ersten Mal den Gästezugang der MSV Arena, der bei Spielen mit hohen Fanaufkommen eher einer Massentierhaltung gleicht: Personen-Vereinzelungsanlagen, ein schlauchartiger Zugang zu den Blöcken und im Oberrang bei den mittleren Blöcken nur einen schnellen Ausweg im Notfall: runter springen.
MSV gegen RWE: Knackiges Derby auf Rasen und Rängen, aber mit Bahn-Chaos
Fangen wir aber vorne an. Wie beim Flug in den Urlaub, auch zum Ruhrpott-Derby nach Duisburg war eine frühe Anreise angesagt. Die Organisatoren appellierten an die Fans bitte den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen und nicht das Auto. Ein Tipp, der aber nur gut ist, wenn es auch organisatorisch perfekt läuft. Lief es aber nicht. Die Bahn hatte so einige Probleme die Fans 25 Kilometer weit zu transportieren. Wer dann am Bahnhof Schlenk ankam wurde von der Polizei begrüßt, musste aber die Lautsprecherdurchsage überhören. Denn die kommunizierte Wegbeschreibung führte die Fans nicht zum Gästeblock, sondern eigentlich direkt in die Arme der Zebras in den blau-weißen Heimbereich. Der Autor des Artikels gab dem anscheinend nicht ortskundigen und nicht gut informierten Polizeibeamten einen Tipp und die Durchsage wurde geändert.
„Alle in Rot nach Duisburg!“ Dem Aufruf der aktiven Essener Fanszene folgten tatsächlich so gut wie alle und so zog eine rote Karawane Richtung MSV Arena. Durchgecheckt in der Vereinzelungsanlage rauf auf den Oberrang, wo es sich direkt vor einem Verpflegungsstand knubbelte, so dass ein Durchkommen zu den Sitzplatzblöcken nur langsam möglich war. Ein weiterer Treppenaufgang stand aufgrund des eingerichteten Pufferblocks nicht zur Verfügung. Alles lief über eine Treppe rauf und herunter. Nix für Leute mit Platzangst und über einen auftretenden Notfall möchte man nicht denken, denn alle anderen (Flucht)Wege waren mit schweren Gerät und Bauzäunen verbarrikadiert.
Was wurde in den letzten Wochen nicht alles zum Spiel gesagt und geschrieben. Jeder Stein wurde von den Medien umgedreht und jeder ehemalige Spieler, Funktionär oder B-Promi wurde vor das Mikrofon gezerrt, ob er nun Ahnung von Fußball hat oder doch nur Jury Mitglied einer Trash-Tanzshow im deutschen Fernsehen ist. Nach zwei Begegnungen im Niederrheinpokal, war es nun die erste Begegnung in einer Profiliga nach 15 Jahren der beiden Klubs. Im Mai 2007 gewannen die Duisburger am letzten Spieltag zu Hause gegen RWE und stiegen in die erste Liga auf, während Essen absteigen musste. Traumatisch, denn danach begann der sportliche (und wirtschaftliche) Abstieg in den folgenden Jahren der in die Insolvenz und bis in die fünfte Liga führte. Aber Rot-Weiss Essen schaffte die Wende, stabilisierte sich in den letzten Jahren und schaffte in diesem Jahr die Rückkehr in den Profifußball.
Aber auch die Zeiten des MSV Duisburg nach dem Bundesligaaufstieg 2007 waren nicht rosig, denn es ging direkt wieder runter und man pendelte in der Folge Zeitlang zwischen zweiter und dritter Liga. Inzwischen ist man in der vierten Saison in Folge in Liga drei unterwegs, dabei sind den Zebras vor allem die letzten beiden Spielzeiten in schlechter Erinnerung, denn nur knapp ist man dem Abstieg in der Regionalliga West entronnen. Trotzdem: Die Zebra Fans erwarteten nix anderes von ihrem Team als RWE aus dem Stadion zu schießen und am Anfang sah es ja auch fast so aus.
Los ging es: Platz gesucht, hingesetzt und sich vom überlauten (wahrscheinlich im Gästeblock nochmal eine Stufe lauter gestellten) Vorprogramm, inklusive der „Puffmama“, bis zum Anpfiff volldröhnen lassen. Geschmackssache. Für mich wirkt dies in Duisburg immer ziemlich überdreht und hat eher was von einer Animation in einem Cluburlaub am Ballermann. Vielleicht hat der Namensgeber des Stadions („schauinsland-reisen“) seine Finger im Spiel, denn die Heimfans waren auch ohne ihren Cluburlaub-Stadionanimateur voll motiviert und von Beginn an lautstark dabei. Das änderte sich erst später, ab der 67. Spielminute. Eine mit 28.200 Zuschauern ausverkaufte MSV Arena, dazu ein mit über 5.000 RWE Fans pickepacke voller Gästeblock. Trotz des durch Duisburg zur Verfügung gestellten erhöhten Kontingents an Gästekarten, waren diese innerhalb von wenigen Minuten im Vorverkauf vergriffen. Der MSV startete keinen freien Vorverkauf, da man befürchtete, dass sich die RWE Fans mit weiteren Karten eindecken würden. Taten sie über Umwege aber trotzdem, wie man beim Essener Torjubel sehen konnte.
Die Duisburger Fans, dessen aktive Fanszene vom Stehplatzbereich in den Sitzplatzbereich des Oberrangs der Nordkurve umgezogen ist, zeigten zum Anpfiff eine sehenswerte Choreographie „Wir sind nur, weil du bist“, die noch einmal den Vereinsgeburtstag (120 Jahre MSV) und auch den der Gruppierung „Kohorte“ (15 Jahre) in den Mittelpunkt rückte. Auf Essener Seite war Unterrang und Oberrang schon sehr gut gefüllt, aber einige Fans kamen aufgrund von Bahn-Problemen bei der Anreise erst kurz nach Anpfiff ins Stadion. Sehenswertes vom eigenen Team auf dem Rasen gab es zu Beginn auch nicht. Angepeitscht von den Tausenden „Roten“, wirkte das Spiel wie ein Déjà-vu. Es war eine Kopie der Heim-Niederlage gegen die SV Elversberg (1:5) zwei Wochen zuvor mit den gleichen Protagonisten.
Gleiche Mannschaft, gleiche Fehler und mit dem MSV Duisburg wieder einen frischeren und effektiveren Gegner vor der rot-weissen Brust. Die erste Halbzeit sah aus Essener Sicht nicht gut aus. Der MSV hatte RWE locker im Griff und erzielte schon früh in der sechsten Spielminute hochverdient die 1:0 Führung durch Marvin Bakalorz, der nach einer Ecke sehenswert ins Tor köpfte. Die MSV Arena explodierte und die im Zebralook ausstaffierten Fans feierten, während die RWE-Fans einen kurzen Moment schlucken mussten. Aber weiter ging es. Zwar hatte der Essener Daniel Heber kurz danach den Ausgleich auf dem Fuß (Lattentreffer), aber die Duisburger sahen einfach in allen sportlichen Situationen bis zu dem Zeitpunkt besser aus. Ballannahme, Ballweitergabe, Pässe, Kopfbälle: Nichts wollte bei Essen funktionieren. Dazu, wie schon gegen Elversberg die sichtliche Nervosität.
Essens Trainer Christoph Dabrowski erkannte die Fehler und wechselte in der Halbzeitpause. Für die beiden überforderten Sandro Plechaty und Cedric Harenbrock kamen Meiko Sponsel und Thomas Eisfeld. Es musste mehr Feuer rein ins Essener Spiel. Das brachten dann erst einmal die RWE Fans mit einer sehenswerten Pyroshow im Unterrang des Gästeblocks und lautstarken Anfeuerungen. Aber wieder durften erst einmal die Duisburger jubeln. Nach einem misslungenen Freistoß für RWE, konterten Alaa Bakir und Moritz Stoppelkamp (der 2007/2008 für Essen spielte) die rot-weisse Abwehr geschickt aus und der MSV-Kapitän persönlich schlenzte den Ball sehenswert in der 52. Spielminute vorbei an Torwart Golz ins Tor. 2:0. Das saß. Die Fans in ihren blau-weiß gestreiften Trikots drehten durch.
Minuten der Stille beim rot-weissen Anhang. Sollte es die nächste Klatsche geben und das ausgerechnet gegen den Rivalen? Zu viele Fehler. Und vor allem viel zu einfach fielen die Tore. War man noch nicht bereit für Liga 3? Aufgeben? Niemals! Die RWE Fans pushten ihr Team nach dem Schock und die folgenden 40 Minuten hatten es tatsächlich in sich. Erst einmal reagierte Essen und wechselte den Regionalliga Rekordtorjäger Simon Engelmann (für Niclas Tarnat) sowie Moritz Römling (für Felix Herzenbruch) ein. Es dauerte ganze sieben Minuten bis der Joker netzte und die meisten MSV Fans verstummen ließ: Ron Berlinski scheiterte erst mit einem Abschlussversuch, passte dann aber zu Engelmann der den Anschlusstreffer markierte. Sein erstes Tor im Profifußball und eine perfekte Antwort für diejenigen MSV-Fans, die ihn Wochen vorher in Foren und sozialen Netzwerken verhöhnten.
Nun war Essen da. Die Unsicherheiten weggewischt und voll im Spiel. Vier Minuten später: Volle Ekstase auf der Gästetribüne. Nach einem Fehler in der Duisburger Abwehr und einem starken Steilpass von Thomas Eisfeld stand Lawrence Ennali frei und schob den Ball am MSV Schlussmann Vincent Müller vorbei zum Ausgleich. Der Duisburger Torhüter stand dann auch beim ultimativen Showdown in der Nachspielzeit im Mittelpunkt, als er einen Kopfball von Felix Bastians (nach Flanke von Oguzhan Kefkir) gerade noch so vor dem Tor entschärfen konnte. Ein 3:2 Sieg von Rot-Weiss Essen in Duisburg hätten die „Roten“ natürlich gerne mitgenommen, aber ein 2:2 Unentschieden war im Endeffekt das faire Ergebnis, was auch die meisten Fans (ob blau-weiß oder rot-weiss) so sahen. Darauf können beide aufbauen.
Am Ende zufrieden ging es für die RWE Fans auf den leider langwierigen Heimweg. Erst schob sich die Masse durch das beklemmende schlauchartige Nadelöhr Gästeausgang MSV-Arena, dann harrten die Fans stundenlang am Bahnhof in Duisburg Schlenk aus. Statt Entlastungszüge bereit zu stellen oder eine andere Taktung anzubieten, mussten die über 5.000 Fans (abzüglich die, die mit Auto oder Fahrrad anreisten) über den S-Bahn Regelverkehr in Richtung Essen geschickt werden. Es war dunkel, die Fans standen dicht gedrängt unter der Eisenbahnbrücke und wurden nach und nach auf den Bahnsteig gelassen. Die Polizei schrieb später von „kleineren Verzögerungen im Bahnverkehr“. Interessante Interpretation. Das Spiel war um 20:50 Uhr beendet, aber am Bahnhof Schlenk standen die Fans noch bis weit nach 23 Uhr und warteten auf einen Zug. Auf der einen Seite fordert man die Fans auf mit dem ÖPNV anzureisen, aber auf der anderen Seite sorgt man nicht für einen reibungslosen Ablauf.
Fazit: Sportlich und aus Stimmungssicht war es ein echtes Highlightspiel von beiden Seiten. Die Organisation der Anreise und Abreise der Fans durch die Bahn war aber eine Vollkatastrophe. Nächstes Mal fährt man am besten mit dem Fahrrad Teile des Radschnellweg Ruhr (RS1), dann wäre man schneller.
Fotos: Privat und von Jawattdenn.de