Dieser Verein wird niemals aufsteigen! Und zwar, weil man es nicht zulassen wird! So lautete die allgemeine Meinung, wenn man auf den BFC Dynamo zu sprechen kam. Und ja, es schien in der Tat so, als wenn der lang ersehnte Aufstieg in die Regionalliga auf absehbare Zeit nicht mehr stattfinden würde. Mal waren es die Finanzen, mal war es die übermächtige Konkurrenz an der Tabellenspitze, mal waren es interne Querelen und Verwerfungen. Meist war es alles zusammen. Gespickt wurde das Ganze ab und an von ein paar Ausschreitungen wie 2006 beim Oberligaspiel gegen Union Berlin, 2010 beim Pokalendspiel gegen den Berliner AK und 2011 beim DFB-Pokalspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern. Wenngleich es im Ligaalltag meist völlig ruhig und friedlich blieb, der Ruf war ruiniert. Vorurteile wurden bestätigt. Für manch einen war der BFC Dynamo nur noch die „Eiterbeule des Fußballs“ (Zitat des Journalisten Matthias Wolf nach den Vorfällen im Mommsenstadion im Dezember 2008).
Der BFC Dynamo ist wieder da: Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre
HotTja, Herr Wolf, wer hätte das gedacht?! Aus der Eiterbeule, die manch einer am liebsten endgültig zerdrückt und entfernt hätte, ist inzwischen ein Verein geworden, der auf dem besten Wege ist, die unangefochtene Nummer 3 hinter Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin zu werden. Der Berliner AK 07 mit seiner überaus dürftigen Kulisse im Poststadion und auch der FC Viktoria 1889 Berlin dürften locker übertrumpft werden. Zumindest, was die Resonanz betrifft. Und auch sportlich könnte das Überholmanöver in absehbarer Zeit gelingen.
Nach all den Dramen seit 2001, genauer gesagt seit dem 2:5 beim Aufstiegsspiel in Magdeburg und der folgenden Insolvenz sowie dem daraus resultierenden Absturz in die Verbandsliga, hätte man nicht mehr gedacht, dass es noch einmal nach oben gehen würde. Zu Beginn der Saison 2009/10, ja, da hatten die Fans das Gefühl gehabt, mit dieser Mannschaft könnte der Sprung in die Regionalliga gelingen. Und dann der Einbruch in der Winterpause. Doch halt, alles der Reihe nach. Gehen wir zuerst noch weiter zurück. Und zwar in die Zeit Anfang der 90er Jahre, als der Verein noch als FC Berlin an den Start ging. Anlässlich der Meisterschaftsfeier in Malchow am vergangenen Sonntag nun ein persönlicher Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte. Nicht in jedem Jahr war ich im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen zu finden, doch unter dem Strich hatte ich keinen anderen Klub so häufig besucht wie den BFC Dynamo. Zuerst als neugieriger Zuschauer, dann als Fan und anschließend als Autor und Fotograf dieses Magazins.
Juni 1992. Mein erster Kontakt mit den Jungs des einstigen DDR-Serienmeisters. Zu jener Zeit wohnte ich im Rheinland und während eines Wochenendaufenthalts in meiner Heimatstadt schaute ich beim Aufstiegsrundenspiel 1. FC Union Berlin vs. VfL Wolfsburg vorbei. Gemeinsam mit dem FC Berlin und dem FSV Zwickau kämpften die Eisernen und die Wölfe um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Für beide Berliner Vertreter war der Aufstieg bereits so gut wie gegessen. Die Chancen waren nur noch rein theoretischer Natur. So fanden sich beim Spiel gegen Wolfsburg nur noch 1.500 Zuschauer im maroden Stadion An der Alten Försterei ein. Weshalb der FC Berlin sein Heimspiel gegen den FSV Zwickau zeitversetzt austragen musste, verstand kein Mensch. So kursierte schnell das Gerücht, dass BFC-Hools geradewegs von Hohenschönhausen nach Köpenick kämen, um dort im Stadion für Unruhe zu sorgen.
Einen richtigen Gästeblock gab es im Juni 1992 immer noch nicht. Die wenigen mit Fahnen und Trommel angereisten VfL-Fans standen auf der Gegengerade auf Höhe der Mittellinie und unterstützten von dort aus zaghaft ihr Team auf dem Rasen. Mitte der zweiten Halbzeit mussten diese gedacht haben, sie seien im falschen Film. An dem Gerücht der anreisenden BFCer war in der Tat was dran, denn immer mehr Hohenschönhausener stromerten nun im ganzen Stadion herum und hielten Ausschau. Unter den BFCern waren auch einige bekannte Gesichter. Unter anderen der Mike aus der Parallelklasse, der einst immer die Mitschüler mit den Worten „Scheiß Union!“ in den Schwitzkasten genommen hatte. Alles nur Spaß, wie er meinte. Blaue Flecken blieben trotzdem. Der VfL Wolfsburg gewann an jenem Nachmittag mit 2:1 und ebnete somit den Weg in Richtung 2. Bundesliga. Die BFCer feierten mit den Wolfsburgern und zeigten sich sehr erfreut, dass Eisern Union ebenfalls in der Drittklassigkeit bleiben würde.
In der Folgezeit tingelten der FC Berlin und der 1. FC Union weiter in der Oberliga herum. Und das in verschiedenen Staffeln. Der FC Berlin in der Staffel Nord, Union in der Staffel Mitte. Eine grausige Angelegenheit. Ich kann mich erinnern, dass ich wenige Monate später mal den FC Berlin bei einem Auswärtsspiel bei Bergmann-Borsig sehen wollte. Ich fand den entsprechenden Nebenplatz nicht. Keiner der Anwohner wusste, dass dort eine Oberligapartie stattfinden würde. FC Berlin? Bei wem? Keine Ahnung! Kein Wunder, war das Zuschauerinteresse zu jener Zeit extrem gering. Besser wurde es ab der Saison 1994/95. Sowohl der 1. FC Union als auch der FC Berlin packten locker die Qualifikation für die neu geschaffene Regionalliga Nordost. Die Eisernen hätten als Staffelmeister sogar an der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga teilnehmen können, doch wegen der fehlenden Lizenz nahm Energie Cottbus an jener teil. Frohlocken im Nordosten des Landes! Endlich würde es wieder Duell zwischen den Berlinern und den Sachsen geben!
Zurück aus dem Rheinland schlug ich im September 1994 wieder meine Zelte in Berlin auf und als das Auswärtsspiel des FC Berlin beim FC Sachsen Leipzig auf dem Programm stand, ließ ich mich nicht lange bitten. Auf eigene Faust machte ich mich auf dem Weg in die Messestadt. Ich wollte ja erst einmal nur schnuppern, von neutraler Stelle aus alles beobachten. Als die mit mir im Zug sitzenden BFCer den Leipziger Hauptbahnhof erreichten, gab es den ersten Adrenalinschub. „Ost-, Ost-, Ostberlin!“ schallte es durch die Halle. Ja, wie geil, das ist doch meine Heimat! Nach drei Jahren NRW war ich wieder zurück in meiner Heimatstadt und begleitete diesen geheimnisumwitterten Verein nach Leipzig-Leutzsch. Im Alfred-Kunze-Sportpark setzte ich mich auf die Ecke des Dammsitzes, die Kamera stets griffbereit. Über 4.000 Zuschauer hatten sich im AKS eingefunden, rund 500 befanden sich im Kästekäfig. Klasse Stimmung auf beiden Seiten, zudem sehr erhitzte Gemüter. Manch ein Grün-Weißer ging auf den Sitzen völlig ab. Hasserfüllte Blicke. Stinkefinger in Richtung Gästeblock, an der das berühmte weinrote Banner „Berliner Fussballclub“ hing. „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher!“, schallte es immer wieder von den Rängen. Von meinen Sitznachbarn wurde ich verbal angegangen. „Was fotografierst du diesen Dreck?“, wurde ich gefragt, als ich von der Berliner Anhängerschaft paar Bilder anfertigte. Der FC Sachsen konnte das Spiel 2:0 für sich entscheiden, im Gästeblock hingen die BFCer an den Netzen. Schnell war eine Pferdestaffel auf dem Rasen, behelmte Polizisten postierten sich am Zaun.
Draußen dann die böse Überraschung. Ich wollte alleine den Heimweg antreten, als mir drei Leutzscher draußen den Weg versperrten und mit den Worten „Du scheiß Berliner!“ volle Granate die Faust ins Gesicht schlugen. Wahrscheinlich hätten mich die drei Typen zu Brei gehauen, wenn nicht im jenen Moment der Berliner Mob mit Polizeibegleitung in Richtung Bahnhof Leutzsch marschiert wäre. „Hey, ihr feigen Sachsen-Schweine! Drei auf einen! Feige Säue!“ Die drei Schläger ließen von mir ab und ich reihte mich bei den BFCern ein. Am Leutzscher Bahnhof wurde es noch einmal hektisch. Der Tod von Mike Polley lag noch nicht lange zurück, groß war der Hass auf die Polizei. Tumulte in der Bahnhofsgegend. „Schießt doch! Schießt doch!“, ertönte es immer wieder. Ein InterCity wurde zur Notbremsung gezwungen, in dem ein Fan auf die Gleise sprang. Die Folge war ein völlig verqualmter Bahnhof. Ein völlig surreales Szenario. Später am Leipziger Hauptbahnhof kam es zu weiteren Auseinandersetzungen an den Türen des bereitgestellten Sonderzuges. Berliner Hools setzten dabei Feuerlöscher ein und versprühten diese in die Gesichter der ebenso aggressiven Polizisten. Am nächsten Morgen staunten meine Mitschüler auf dem Kolleg nicht schlecht, was für ein hübsches blaues Auge ich aus Leipzig mitgebracht hatte. Das waren die Scheiß Sachsen, murmelte ich nur.
In der Folgezeit schaute ich mir etliche Partien im Sportforum Hohenschönhausen an. Partien gegen Erzgebirge Aue, Dynamo Dresden (unter anderen das legendäre 3:4) und Sachsen Leipzig gehörten zu meinem Pflichtprogramm. Ebenso die Duelle beim 1. FC Union Berlin. 1998 war jedoch erst einmal Schluss mit Fußball. Das Segelprojekt Berlin – Sydney 2000 forderte die gesamte Aufmerksamkeit, erst im Frühjahr 2001 setzte ich wieder meinen Fuß in die Fußballstadien der Region. Pünktlich zum Aufstiegsrundenduell am 02. Juni 2001 zwischen dem BFC Dynamo (der zwischenzeitliche Name FC Berlin wurde längst wieder abgelegt) und dem 1. FC Magdeburg stand ich wieder auf der Matte.
Der Verein hatte 2000/01 nach verpasster Qualifikation zur neuen Regionalliga Nord wieder in der Oberliga spielen müssen. 8.282 Zuschauer fanden an jenem Tag den Weg auf die Ränge, unter ihnen knapp 5.000 Magdeburger. Eine grandiose Kulisse, die Lust auf mehr machte. Das Hinspiel ging 0:0 aus, das im Magdeburger Ernst-Grube-Stadion stattfindende Rückspiel konnte ich leider nur am Fernsehbildschirm verfolgen. Zweimal gingen die Magdeburger in Führung, zweimal konnte der BFC Dynamo ausgleichen. Nach dem Treffer von Kozlov in der 57. Minute waren die Berliner quasi aufgestiegen. Doch dann kamen Ivanovic, Mydlo und Zani und machten vor über 20.000 Zuschauern noch drei Buden für die Blau-Weißen. Magdeburg im Jubelmeer, der BFC Dynamo im Tal der Tränen.
Und es kam noch schlimmer. Der Hauptsponsor konnte nicht mehr zahlen, der Verein war überschuldet und stand vor dem endgültigen Aus. Die Oberligasaison 2001/02 konnte nicht mehr zu Ende gespielt werden, am 01. November 2001 wurde Insolvenz angemeldet, alle bis dahin gespielten Partien wurden annulliert. Der Neuanfang in der Kreisliga C stand im Raum, doch letztendlich konnte die erste Mannschaft 2002/03 in der Berliner Verbandsliga antreten. Wie viele andere verlor ich in jener Zeit ebenfalls den Verein aus den Augen. Wie in der Gegenwart war ich auch damals in den verschiedensten Fußballstadien auf Achse. Erst in der zweiten Verbandsliga-Saison stand eine Partie der Weinroten bei mir wieder auf dem Programm. Der BFC auf Aufstiegskurs, da wollte ich doch mal schauen, was geht. Mit einem japanischen Kumpel besuchte ich im März 2004 bei nasskaltem Wetter das Auswärtsspiel beim BFC Preußen. Gegen Ende der Partie dämmerte es bereits, bei schummerigen Licht feierten die mitgereisten BFC-Fans den 3:1-Sieg auf der Tartanbahn. Die Wiederkehr in die Oberliga war fast in trockenen Tüchern. Und auch im Pokal war einiges möglich. Im Viertelfinale gab es daheim ein 1:0 zu sehen. Der Gegner: Wieder der BFC Preußen. Etwas Pyrotechnik und recht passable Stimmung auf den Rängen.
Nach dem überzeugenden 4:1-Sieg beim BFC Germania 1888 folgte das Halbfinale im Berliner Landespokal. Gegner war der damalige Oberligist SV Yesilyurt 1973. Mittlerweile ist dieser Klub von der Bildfläche verschwunden. Über 2.000 Zuschauer strömten in das Sportforum. Für die Heimfans war nur die Sitzplatztribüne geöffnet, die gesamte Gegengerade wurde den wenigen grün-weißen Gästefans zur Verfügung gestellt. Die Stimmung war so gut wie lange nicht mehr. Dicht an dicht saßen bzw. standen die BFC-Fans und unterstützten ihr Team beim schweren Pokalspiel gegen den höherklassigen Favoriten. Einige hatten Fladenbrote mitgebracht. Kurzerhand wurden diese ausgehöhlt, die Hände wurden reingesteckt und anschließend wurde mit diesen Broten im Takt geklatscht. Über das anschließende Werfen jener Brote in Richtung Innenraum ließ sich gewiss streiten. Fakt ist, diese Aktion wurde heiß diskutiert und rückte den Verein in der Öffentlichkeit wieder einmal in rechte Ecke.
Mit Schwung ging es in die kommenden Oberligazeiten, die Zuschauerzahlen konnten sich sehen lassen und erreichten nicht selten die 1.000er Marke. Zu Beginn der Saison 2004/05 gab es beim Auswärtsspiel in Babelsberg sogleich den ersten Platzsturm, bei dem ein Ordner erheblich verletzt wurde. Noch hitziger ging es in der Spielzeit 2005/06 zu. Bei der Oberligapartie beim von den BFC-Fans größtenteils verhassten SV Yesilyurt gab es im Jahn-Sportpark gegen Spielende eine Dusche von der Polizei. Diese hatte zuvor im Innenraum einen Feuerwehrschlauch verlegen lassen. Wasser Marsch in Richtung Ränge! Dem 1:2 bei Yesilyurt folgte eine 1:2-Niederlage gegen den Ludwigsfelder FC. Sportlich angeschlagen ging es im August 2005 zum Erzrivalen nach Berlin-Köpenick. Stichwort Angeschlagen. Am Abend zuvor kam es in der Diskothek Jeton zu einem höchst unerfreulichen Einsatz einer Polizeieinheit. Gnadenloses Vorgehen gegen sämtliche Gäste, unter ihnen zahlreiche BFCer, aber auch viele befreundete Fans aus Schottland und Schweden. Trotzdem fanden sich rund 4.000 BFC-Fans im Stadion An der Alten Försterei ein. Das Spiel auf dem Rasen wurde zur Farce, der BFC fand im Prinzip nicht statt. Locker konnte Union den Rivalen mit einem 8:0 nach Hause schicken. Ein Sieg ohne wirklichen sportlichen Wert.
Als nach der Pleite beim Erzrivalen auch noch 0:1 gegen den BFC Preußen und 1:3 beim SV Babelsberg verloren wurde, schien der Absturz in die Sechstklassigkeit wieder gefährlich nahe. Der Befreiungsschlag erfolgte am sechsten Spieltag, mit 4:0 konnte der FC Hansa Rostock II vom Platz gefegt werden. Es folgte eine Serie (2:1 in Neustrelitz, 1:0 gegen den BAK, 2:0 bei Tebe und 4:0 gegen Falkensee/Finkenkrug), die den BFC wieder in die Spur brachte. Gegen Ende der Saison kam es schließlich zum Rückspiel gegen den 1. FC Union Berlin. Ein Großteil der Eisernen Fangemeinde boykottierte dieses Derby und grillte lieber gemeinsam. Rund 1.000 Union-Fans hatten sich trotzdem im Gästeblock eingefunden. Vor über 6.000 Zuschauern entwickelte sich eine recht ordentliche, ausgeglichene Partie, die jedoch eine Viertelstunde vor Schluss beim Stand von 1:1 von einem Platzsturm überschattet wurde. An allen Ecken kletterten BFC-Anhänger über die Zäune und rannten zum Gästeblock, wo ein Großteil der Unioner verständlicherweise Reißaus nahmen. Nur wenige suchten am Zaun den Kontakt mit den heranstürmenden BFCern. Steine flogen, Staub wirbelte auf. Zu deftigen Prügeleien war es nicht gekommen, doch medienwirksam waren diese Bilder in jedem Fall. Und das so kurz vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land! Den BFC Dynamo warf dieser Platzsturm wieder um Jahre zurück. Alles Idioten, weg mit diesem einstigen Stasi-Klub, meinten nicht wenige.
In der Folgezeit musste sich der Verein erst einmal stabilisieren – sportlich und infrastrukturell. Vom Aufstieg war erst einmal nicht die Rede. Immerhin erreichte der Verein am Ende der Saison 2005/06 noch den sechsten Platz. In der darauffolgenden Saison war das Highlight am letzten Spieltag der Auftritt beim bereits feststehenden Aufsteiger SV Babelsberg 03. Obwohl der BFC nur auf Rang zehn zu finden war, reisten über 1.000 Fans nach Potsdam-Babelsberg an und legten dort bereits während des Spiels eine lautstarke Uffta hin. Komplett außer Rand und Band war die weinrote Gemeinschaft, als Jörn Lenz in der letzten Minute mit einem Hammer das 1:0 für die Dynamischen besorgte. Was für ein Jubel! Auf die Zäune, an die Netze, der Jubel kannte keine Grenzen mehr.
In der Saison 2007/08 ergab sich die große Möglichkeit, den Sprung in die Regionalliga zu packen, ohne Erster werden zu müssen. Dank der Umstrukturierung (Einführung der 3. Liga) stiegen die ersten drei Teams direkt auf, der Vierte spielte gegen den Vierten der Südstaffel eine Aufstiegsrunde aus. Das musste jetzt einfach mal passen! Die Euphorie war groß. So fuhren im Dezember 2007 weit über 1.000 BFC-Fans zum Auswärtsspiel beim FC Hansa Rostock II, um ihr Team mit extra angefertigten weinroten Plastikleibchen zu unterstützen. Klasse Stimmung von der ersten bis zur letzten Minute, am Ende konnte immerhin ein Punkt von der Ostsee mitgenommen werden. Bitter wurde es indes am Ende der Spielzeit, der BFC Dynamo wurde nur Fünfter und verpasste den Aufstieg wieder einmal. Da stand das Tor zur Regionalliga schon mal sperrangelweit auf und die Hohenschönhausener versemmelten auch diese Möglichkeit.
2008/09 gab es ein anderes Problem. Der BFC Dynamo spielte eine ordentliche Saison, doch an der Tabellenspitze zog Tennis Borussia Berlin seine Kreise – und das mit gehörigem Abstand. 23 Siege konnte Tebe in den 30 Spielen einfahren, da war für den BFC Dynamo kein Herankommen. Apropos Tebe. Einen hässlichen Höhepunkt gab es im Dezember 2008 beim Auswärtsspiel im Mommsenstadion. Rund 1.500 BFCer unterstützten ihr Team mit Schlachtrufen und zahlreichen Fähnchen. Der BFC ging 1:0 in Führung, doch das Sportliche wurde schnell zur Nebensache. Zwei (völlig unbekannte) Typen auf dem Zaun und ein geworfener Böller waren Grund genug für einen massiven Polizeieinsatz. Mit Knüppel und Pfefferspray bahnten sich die übermotivierten Beamten den Weg durch die Gästekurve. Gegenwehr gab es kaum, die meisten hielten sich trotz kochender Wut in Zaum. Das interessierte die eingesetzten Polizisten herzlich wenig. Pfeffer für alle, und auch für mich gab es eine Ladung aus kurzer Distanz in die Augen. Dank Brille wurde die fatale Wirkung etwas abgeschwächt, doch eben nur etwas. Die Brillengläser sahen aus wie nach einem Regenguss, 15 Minuten später war ich ein Fall für die am S-Bahnhof stehenden Sanitäter. Im Stadion setzte ein Staffelleiter noch ein Krönchen auf, in dem er einem abseits stehenden telefonierenden Fan mit der Faust ins Gesicht schlug. Mit unserer Berichterstattung standen wir anfangs allein da, überall wurde von „wieder einmal randalierenden BFCern“ gesprochen. Und auch Kollege Wolf war schnell mit seiner „Eiterbeule“ am Start. Als jedoch die ersten Videos im Netz auftauchten, welche die hässliche Wahrheit ans Licht brachten, kippte die Stimmung in den Medien und die Polizei geriet heftig ins Fadenkreuz.
Nun aber! 2009/10 wurde im Sportforum Hohenschönhausen ein klares Ziel ausgegeben. Aufstieg! Mit Spielern wie Guido Spork, Nico Patschinski und Firat Karaduman müsste es klappen. Die Euphorie im Sommer 2009 war groß. Bei den Testspielen gegen Eintracht Braunschweig und den 1. FC Magdeburg hatte auch ich sehr lange Abende im Vereinsheim. Hörte man sich um, so war in der Tat erkennbar: Die Atmosphäre stimmte, nun könnte es endlich klappen. Die Hinrunde verlief tatsächlich wie geplant. Nach dem 14. Spieltag stand der BFC auf Rang eins mit vier Punkten Vorsprung auf Energie Cottbus II. Die Abende im Vereinsheim wurden immer länger, das Bier floss in Strömen, die Stimmung wurde immer besser. Immer mehr Bekannte und Freunde aus meinem Umkreis konnte ich dazu bewegen, doch einmal ins Sportforum mitzukommen. Da in der Hinrunde Cottbus II mit 3:0 weggebürstet wurde, schien die Sache zu flutschen. Wer sollte da noch in die Quere kommen? Die Antwort: Die Mannschaft selbst! Was genau im Winter passiert ist, steht in den Sternen und soll nicht weiter breitgetreten werden, doch der Bruch war auf dem Spielfeld sehr deutlich erkennbar. Bereits vor der Winterpause der erste Schock: 2:4 gegen die TSG Neustrelitz! Okay, ein Ausrutscher. Alle fieberten nun dem Spiel im Cottbuser Stadion der Freundschaft entgegen. 13. März 2010 der Termin – zugleich Stichtag für die Geburt meines Söhnchens. 2.000 Berliner wollten hinfahren, mit dem Sonderzug und zahlreichen Autos. Ich wollte, ja ich musste dabei sein! Doch der Stichtag wurde tatsächlich Geburtstag. Vom Krankenhaus aus verfolgte ich das Geschehen in Cottbus. Ohne wirkliche Power und Esprit verlor der BFC das überaus wichtige Spiel mit 0:2. Das Anfang vom Ende – das hatte so ziemlich jeder gespürt. Wieder nichts mit dem ersehnten Aufstieg.
Immerhin stand der BFC im Juni 2010 im Berliner Pokalfinale. Vielleicht wenigstens der Einzug in den DFB-Pokal. Die Einstellung des Teams stimmte auch an jenem Tag nicht, der Berliner AK 07 holte den Pokal und unter den Fans machte sich Frust breit. Etliche warfen Böller und stürmten das Spielfeld. In erster Reihe sicherlich einige Krawalltouristen, doch schön zu reden gab es nichts. Der BFC Dynamo hatte noch immer ein echtes Problem. Zumindest, wenn brisante Spiele an der Tagesordnung standen. Die Vorfälle sorgten für reichlich Diskussionsstoff, doch anders als früher wurde dieses Mal im Verein nichts unter den Teppich gekehrt und totgeschwiegen, sondern aufgearbeitet. Zuerst stand eine Sperre im Landespokal im Raum, doch dagegen konnte der Verein vor Gericht erfolgreich vorgehen. Auch 2010/11 trat der BFC im Berliner Pilsner Pokal an – und das mit Erfolg!
In der Liga war der BFC nur Mittelmaß, doch im Pokal wuchsen die Hohenschönhausener über sich hinaus. Unvergessen das Achtelfinale gegen den BAK 07 im Jahn-Sportpark. Abendspiel, ungemütliches Wetter. Nicht einmal 1.000 Zuschauer hatten sich eingefunden. Wer an jenem Abend nicht kam, hatte es später bereut. Nachdem der BAK in Führung gegangen war, konnte der BFC in allerletzter Minute ausgleichen. Nun habe ich bereits viele Torjubel in diversen Stadien erlebt, doch dieser Jubelorkan war einfach unbeschreiblich. Die Fans fielen über die Sitze, mein Bruder brach sich beim Feiern fast das Bein. Bierduschen en masse. Als in der Verlängerung das 2:1 für den BFC fiel, gab es kein Halten mehr. Im Frühjahr wurden der Berliner SC und Türkiyemspor locker geschlagen, im Finale war Stern 1900 der Gegner. Vor 5.100 Zuschauern ließen die Favoriten nichts anbrennen, mit 2:0 wurden die tapfer kämpfenden Underdogs geschlagen. Die anschließende Party konnte sich sehen lassen!
Gegner in der ersten Runde des DFB-Pokals: Der 1. FC Kaiserslautern! Kein Gegner mit Brisanz. Der FC St. Pauli, Hansa Rostock, Dynamo Dresden oder gar der 1. FC Union Berlin hätten den Verein vor ganz andere Probleme gestellt. Doch selbst das Pokalspiel gegen den FCK fand ein unschönes Ende. Vor rund 11.000 Zuschauern konnten die Pfälzer bei Nieselregen die Partie mit 3:0 für sich entscheiden und die Sache schien langsam auszuklingen, als plötzlich der Gästeblock gestürmt wurde. Unter mysteriösen Umständen konnte ein Zwischentor geöffnet werden. Noch merkwürdiger: Die Polizei wurde zuvor aus dem Pufferblock komplett abgezogen. Bratwurstfuttern statt Gästefans sichern. Was für eine Farce! Ließ man den BFC Dynamo mit Absicht auflaufen? Dass sich ein paar hundert Krawallbrüder die Gelegenheit nicht nehmen ließen, lag auf der Hand. Der Großteil rannte einfach nur mal mit, doch in der ersten Reihe legten ein paar Typen bei den FCK-Fans auch Hand an. Genau diese Bilder gingen durch die Republik. Wieder und immer wieder. Wieder musste in Hohenschönhausen konsequente Aufarbeitung betrieben werden. Die Konsequenzen: Stadionverbote und die Trennung vom Ordnerdienst.
2011/12 gab es wieder eine größere Chance für den Aufstieg. Die ersten vier direkt, der Fünfte über das Duell mit dem Südvertreter. Die Regionalligareform machte es möglich. Der BFC Dynamo hatte jedoch mit dem Rangeln im oberen Tabellenbereich nichts zu tun, am Ende war Rang 13 der Stand der Dinge. Schlimmer ging es kaum. Wäre Türkiyemspor nicht in die Inslovenz gegangen und hätte Lichterfelde nicht so eine miserable Saison gespielt, wäre der BFC Dynamo womöglich noch abgestiegen. 29 Punkte aus 28 Partien – mit dieser Quote musste sich manch einer schon verabschieden. Weitaus besser lief es in der Folgesaison, ein neues Team fand langsam aber sicher zusammen. Rang drei hinter Viktoria Berlin und Union Fürstenwalde konnte sich durchaus sehen lassen. Im Pokalhalbfinale bei Viktoria platzte zudem der Knoten, nach großer kämpferischer Leistung und dem Elfmeterschießen wurde der Einzug ins Finale gesichert. In jenem hieß der Gegner SV Lichtenberg 47.
6.380 Zuschauer im Jahn-Sportpark. Eine klasse Kulisse. Und auch die 47er hatten ihren Anteil dran. Endlich mal ein Pokalspiel, bei dem auch der Gegner reichlich Fans mit ins Stadion brachte. Lichtenberg war auf dem Rasen ebenbürtig, doch der BFC wurde seiner Favoritenrolle gerecht und gewann diese Partie knapp mit 1:0. Der Gegner in der ersten DFB-Pokalrunde: Der VfB Stuttgart. Die Schwaben im Prenzlauer Berg wird´s gefreut haben. Das Erfreuliche: Dieses Mal ging alles völlig friedlich über die Bühne. Und auf dem Rasen war eines erkennbar: Der Oberligist konnte phasenweise spielerisch mithalten und kam sogar zu Möglichkeiten. Mit dieser Mannschaft, trainiert von Volkan Uluc, kann es nur nach oben gehen. Vorausgesetzt, es tauchen keine Störfaktoren wie 2009/10 auf.
Nichts dergleichen. Völlig souverän meisterte der BFC Dynamo in der laufenden Saison Partie für Partie. Ohne Niederlage kamen die Weinroten bisher über die Runden und auch im Pokal ist noch alles möglich (Halbfinale gegen Viktoria Berlin). Manch einem schien alles zu glatt zu verlaufen. Wann mag wohl der Einbruch kommen, fragte der eine oder andere am Ende der Hinrunde. Bis wirklich jeder Fan überzeugt war, dass es mit dem Aufstieg klappen würde, verging sehr viel Zeit. Bei all den Rückschlägen der letzten Jahre hielt sich die Skepsis hartnäckig bis ganz zum Schluss. Auch bei mir. Immer wieder wurde mir zugeflüstert: Die werden niemals hochkommen dürfen! Interne und externe Kräfte wissen dies zu verhindern. Womöglich hätten sie das auch jederzeit getan, wenn auch diese nicht erkannt haben: Der BFC Dynamo ist endlich reif für größere Aufgaben und hat das eine oder andere Problem in den Griff bekommen.
Der Umzug vom Sportforum in den Jahn-Sportpark wird zu Beginn der nächsten Saison erfolgen. Regionalliga-Fußball im Herzen der Stadt. Duelle gegen die einstigen DDR-Oberliga-Rivalen FC Carl Zeiss Jena, Zwickau und 1. FC Magdeburg. Der Verein wird vor großen Herausforderungen stehen, vor allen Dingen was die Sicherheitskonzepte angeht. Krawalltouristen wird es immer wieder geben und auch die Polizei wird sich die Handschuhe schon mal überstreifen. Der berüchtigte BFC Dynamo kommt nach Magdeburg und nach Jena! Man darf sich sicher sein, manch eine Staffel wird übermotiviert sein und gewiss wird es auch zu Provokationen kommen. Wird die kommende RL-Saison gemeistert und ohne größere Reibereien über die Bühne gebracht, so darf der Verein schon mal zaghaft weiter nach vorne schauen. Das nötige Umfeld hat der BFC Dynamo gewiss, denn wer tausende Fans zu Pokalspielen gegen Stern 1900 und Lichtenberg 47 ins Stadion zieht, der kann auch gut und gern eines Tages 3. Liga spielen!
Fotos: Tobi K., Marco Bertram
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