Es ist nicht das erste Mal, dass im Magdeburger Stadion Fußballgeschichte geschrieben wurde. Auch wenn der ruhmreiche 1. FC Magdeburg seit der Deutschen Einheit nicht mehr im Profifußball beheimatet war und deshalb die junge blau-weiße Anhängerschaft „Generation Amateurfußball“ genannt wird, gab es doch das eine oder andere Duell, von dem die Fans noch Jahre später sprechen. Unvergessen die DFB-Pokalsaison 2000/01, als der 1. FC Köln, der FC Bayern München und der Karlsruher SC im Ernst-Grube-Stadion die Segel streichen mussten. Und auch in der laufenden Saison erlebte der FC Augsburg sein blau-weißes Wunder und wurde kurzerhand aus dem Wettbewerb gekegelt. Der nächste bitte! Und der hieß am gestrigen Abend Bayer 04 Leverkusen - und sollte nach Möglichkeit ebenfalls geschlagen werden.
1. FC Magdeburg vs. Bayer 04 Leverkusen: Denkwürdiger Pokalabend ließ Augen feucht werden
HotWährend die tausenden FCM-Fans noch zum Stadion strömten, unterhielten sich die aus NRW angereisten Journalisten über die kommenden Touren nach Hamburg und St. Petersburg. Und Magdeburg? Eine kleine, ja fast lästige Aufgabe in der „Burger Woche“. Bockwurst und Kaffee für die Medienvertreter. Einen Marsch für Fans aus dem Block U. Pünktlich um 17:15 Uhr setzte sich der blau-weiße Mob am Alten Markt in Richtung Elbe und Stadion in Bewegung. Nachdem es vom Vorsänger ein paar Instruktionen gab und darauf hingewiesen wurde, bitte auf Böller zu verzichten, ertönte das allseits bekannte „Wir sind die Größten der Welt …“ Minuten später detonierte ein Böller nach dem anderen. Bengalos wurden gezündet. In beeindruckender Manier überquerte der Fanmarsch, der stetig anwuchs, bei einbrechender Dunkelheit die Elbe und ihre Seitenarme.
Hinein in die gute Stube! Ein ausverkaufter Heimbereich. Es war angerichtet. Bisher einmal trafen die Kicker aus der Börde und die Werkself aus der Chemie-Metropole aufeinander. Am 11. September 1993 stieg im Ernst-Grube-Stadion vor rund 20.000 Zuschauern das Duell in der dritten Runde des DFB-Pokals. In der Runde zuvor wurde der damalige Zweitligist Wuppertaler SV bezwungen, gegen Bayer 04 gab es eine deutliche 1:5-Niederlage. Das sollte dieses Mal anders werden. Auch wenn es in der Regionalliga Nordost alles andere als prima läuft (mal vom 6:0-Sieg in Bautzen abgesehen), so wurde der Magdeburger Mannschaft einiges zugetraut. Einmal Pokalschreck, immer Pokalschreck. Wenn sich so was erst einmal im Kopf der Spieler festgesetzt hat, klappt das schon, auch als Viertligist einem Champions-League-Teilnehmer Paroli bieten zu können. Und um das Ganze noch einmal zu unterstreichen, präsentierten sämtliche Fans auf der Tribüne samt Block U eine hervorragend umgesetzte Choreographie. „Pokalschreck 1. FC Magdeburg“ war Weiß auf Schwarz zu lesen.
Was soll´s? Dachten sich wohl die Leverkusener Profis. Einfach mal dem „Kleenen“ gleich zu Beginn eine Kirsche ins Netz setzen und ihnen somit schon mal den Wind aus den Segeln nehmen. Gesagt, getan. Der Rauch der Blinker und Bengalos war gerade verzogen, da setzte Calhanoglu nach nicht mal drei Spielminuten einen Freistoß rein. 1:0 für Leverkusen. Die schätzungsweise 700 bis 800 Gästefans jubelten ausgiebig und setzten fortan ihren Support fort. Mit so einer frühen Führung müsste der Erstligist nun das Ding locker schaukeln, hätte man meinen können. Dem war jedoch nicht so. Magdeburg zeigte sich unbeeindruckt und kam mit Kampf und leidenschaftlichem Einsatz ins Spiel. Das Heimpublikum stand wie eine Wand hinter seinem Team. „Vorwärts Magdeburger Jungs!“, ertönte es immer wieder. Nicht selten erhob sich die gesamte Gegengerade und beteiligte sich am Gesang.
Magdeburg versuchte mit flinkem Flankenspiel nach vorn zu stoßen, doch vorerst musste FCM-Keeper Glinker den 0:2-Rückstand verhindern. Aber dann! Nach eklatanten Fehlern der Gäste konnten die Hausherren zum 1:1 ausgleichen. Christian Beck hatte auf Christoph Siefkes gepasst, dieser lochte aus zirka 13 Metern ein. Der Hammer: Siefkes stand von 2012 bis 2013 bei Bayer 04 unter Vertrag! Also mitten rein ins Herz des Ex-Arbeitgebers! Das Publikum war vor Freude außer Rand und Band. Kollektives Ausrasten. Feuchte Augen, geballte Fäuste, tausende Umarmungen. Brachial ertönte nun das „Olé FCM, du bist mein Verein …“ Als das 1:1 mit in die Pause genommen wurde, gab es ringsherum Applaus.
Im zweiten Spielabschnitt war Bayer 04 phasenweise völlig von der Rolle. Immer wieder landete der Ball im Aus. Die Profis kamen einfach nicht mit der bissigen Spielweise der Hausherren zurecht. Richtig! So hatte der FC St. Pauli einst den Weltpokalsieger FC Bayern München geschlagen. Zermürben, immer dran bleiben, um jeden Ball fighten. Wenn man dann auch noch eigenes spielerisches Potential hat, kann es was werden mit der faustdicken Überraschung. Unruhe herrschte derweil nach rund einer Stunde im Gästeblock. Magdeburger Hools hatten versucht, die Leverkusener Fans anzugreifen. Sicherheitshalber wurde das kleine Auswärtsbanner der Ultras Leverkusen abgenommen. Als Ordner und Polizisten alles im Griff hatten, konnte dieses wieder angebracht werden. Und auf dem Rasen? Es roch ganz stark nach einer Überraschung! Zumal Son nach einer Tätlichkeit mit Rot vom Platz musste. Allerdings hatte in der 84. Minute Papadopoulos das 2:1 für Bayer 04 auf dem Fuß. Oder besser gesagt auf dem Kopf. Nach einer Freistoßflanke wurde das Spielgerät an die Latte geköpft. Tiefes Aufatmen beim Magdeburger Anhang.
Es blieb nach 90 Minuten beim 1:1 und somit ging es in die Verlängerung, in der die Gastgeber weiterhin ordentlich Zunder gaben. Nach 103 und 108 Minuten fast das 2:1. Dieses Mal klatschte der Ball jeweils an die Leverkusener Querlatte. Umso größer die Freude im weiten Rund, als es in der 111. Minute so weit war. Niklas Brandt haute das Ding in den Winkel und auf den Rängen brachen sämtliche Dämme. Das sollte es doch gewesen sein? Zumal Bayer 04 an diesem Abend aus dem Spiel heraus wirklich nicht allzu viel Gutes zustande brachte. Aber auch die Werkself hat einen „Brandt“ und dieser heißt Julian Brandt. Von der linken Seite flankte er einen Freistoß gekonnt rein, Papadopoulos köpfte in der 116. Minute ein. 2:2. Aufatmen im Gästebereich, blankes Entsetzen bei den Heimfans.
Das Elfmeterschießen musste die Entscheidung bringen. Und es schien, als würde FCM-Keeper Jan Glinker der große, strahlende Held des Abends werden. Gleich zwei Elfer konnte er abwehren. Den von Spahic hielt er direkt, bei Kießlings Schuss an die Unterkante der Latte verhinderte er, dass der Ball doch noch hinter die Linie trudelt. Jetzt nur noch Nerven bewahren und noch einen Elfer unterbringen! Magdeburg war mit mehr als einem Bein bereits im Achtelfinale. Allerdings wurde der Bayer-Torwart Leno der Held des Abends. Er konnte noch drei Magdeburger Schüsse abwehren. Zuerst sorgte er dafür, dass Bayer im Elfmeterschießen im Rennen blieb, am Ende sorgte er für das Weiterkommen. Als 14. Schütze des Abends trat FCM-Spieler Lars Fuchs zum Punkt. Leno ahnte die Ecke und parierte den Schuss. Der Bundesligist kam mit einem blauen Auge davon und zog mit Ach und Krach in die nächste Runde ein.
Im Gästeblock hingen Bayer-Fans am Zaun, auf der Gegengerade drängten Magdeburger in Richtung Gästeanhang. Ordner und heranrückende Polizisten sorgten dafür, dass es auf den Rängen zu keinem Schlagabtausch kam. Mit eindeutigen Gesten wurde jedoch deutlich gemacht, dass es draußen noch „mächtig auf die Fresse“ geben würde. Und in der Tat starteten auf dem Gästeparkplatz einige Magdeburger den Versuch an die Gästefans heranzukommen. Fußball-Osten wie es im Buche steht, werden sich einige Bayer-Fans wohl gedacht haben. Aber wie gesagt, viel Zeit um groß nachzudenken, bleibt den Leverkusenern nicht. In der Bundesliga ruft Hamburg, in der Champions League ist in Kürze St. Petersburg angesagt. Aber auch für die Magdeburger stehen in kommender Zeit zwei durchaus interessante Duelle an. Zunächst wird am Sonntag der erstarkte FC Carl Zeiss Jena empfangen, eine Woche später geht es nach Berlin, um beim alten Rivalen BFC Dynamo die Visitenkarte abzugeben!
Fotos: Marco Bertram