„Schwere Krawalle bei Union - Dynamo“ ist am späten Montagabend auf der Videotext-Tafel 211 der ARD zu lesen. Mit Zahlen wird mächtig herumgeworfen. 112 verletzte Polizisten. 300 Union-Fans sollen versucht haben, den Gästeblock zu stürmen. Und als i-Punkt: BFC-Fans sollen versucht haben, das Spielfeld zu stürmen. Wer vor Ort war, kann - wieder einmal - nur mit dem Kopf schütteln. Grundlage diente wohl allein eine Polizeimitteilung. Schlimmer sind indes manche Zeitungsberichte, die scheinbar nur mit Hilfe von diversen Fotos und Videobruchstücken zusammengezimmert wurden. Nicht mit einem Wort wurde erwähnt, dass nach dem Spiel etliche BFC-Anhänger beim überaus harten Polizeieinsatz auf dem Vorplatz des Gästeblocks zum Teil schwer verletzt wurden. Von Schlagstock und Reizgas wurde mächtig Gebrauch gemacht. Was auffiel: Zahlreiche Fans mussten mit blutenden Kopfverletzungen von Sanitätern behandelt werden. Mehrere mussten sogar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Fan wurde beispielsweise vom Knüppel dreimal auf dem Kopf getroffen und kam später erst auf der Erste-Hilfe-Station wieder zu sich. Ein anderer blutete gleichzeitig aus einer klaffenden Wunde am Hinterkopf und aus Mund und Nase. Er erschreckendes Bild, das sich nach Spielschluss am Gästeblock abgespielt hatte.
Polizeieinsatz nach Ostberliner Derby: Zahlreiche verletzte Fans und widersprüchliche Meldungen
HotWarum niemand drüber berichtet? Weil scheinbar kein einziger Journalist dort war. Weil davon sicherlich nichts in einer Polizeimitteilung stehen wird. Weil das niemand hören will. Und nicht zuletzt: Weil Fußballfans von Hause aus eine schlechte Lobby haben - und die des Regionalligisten BFC Dynamo haben in der öffentlichen Wahrnehmung gar keine. Ist doch klar, dass es knallte, werden sich die meisten denken. Und über die Hintergrunde des Polizeieinsatzes am Gästeblock wird sich niemand großartig Gedanken machen. Wird schon alles seine Richtigkeit gehabt haben. Und las man in der vergangenen Woche die Sport Bild, so weiß man eh: Der Terror kommt aus den Kurven.
Richtig ist, einige Anhänger des 1. FC Union Berlin waren in der zweiten Halbzeit auf die Haupttribüne gestürmt (Grund waren unter anderen dort befindliche Anhänger des verhassten Erzrivalen) und sorgten für eine Spielunterbrechung. Niemand wird in Frage stellen, dass die Gesamtsituation überaus hitzig war und dass es vor allem an der Ecke zwischen Waldseite und Haupttribüne zu Auseinandersetzungen zwischen Union-Fans und polizeilichen Einsatzkräften kam. Von einem versuchten Sturm des Gästeblocks kann indes wohl kaum gesprochen werden. Wie sollte das auch aussehen? Selbst mit den in den Medien gern geschriebenen 300 Mann würde man wohl kaum einen Block mit über 2.000 Anhängern des BFC Dynamo angreifen. Tatsache ist: Zum einen waren es weitaus weniger Unioner, die bis zur Mitte der Haupttribüne vorgerückt waren, zum anderen gab es keine wirklichen Anzeichen, dass der BFC-Anhang den Platz stürmen würde. Die „Einladung“ hätte man vor fünf Jahren sicherlich angenommen, doch inzwischen gehören solche Aktionen im Stadion definitiv der Vergangenheit an. Aber klar, am Zaun hängende BFC-Fans und auf den Rasen stürmende Polizeikräfte ergeben ein „schmuckes Bild“ - fertig sind die zusammengeschusterten Schlagzeilen.
Wie ist denn nun die Faktenlage? Der Marsch vom S-Bahnhof Spindlersfeld zum Stadion verlief überaus friedlich. Die polizeilichen Einsatzkräfte provozierten zu jenem Zeitpunkt nicht und ein möglicher Angriff der Unioner konnte bereits im Vorfeld vereitelt werden. Als Beobachter konnte man zu jenem Zeitpunkt sagen: Prima, das Konzept geht auf. Nach schwerem Krawall sah es definitiv nicht aus. Im Stadion war die Atmosphäre - wie es wohl bei jedem brisanten Derby der Fall ist - durchaus aufgeheizt, doch bis auf einen Böller und einer kleinen Portion Pyro nach dem Führungstreffer der Hohenschönhausener konnte im Gästeblock nichts auffälliges vermeldet werden. Da der BFC-Anhang bei den Zwischenfällen auf der Gegenseite die Füße still hielt und sich nicht aus der Reserve locken ließ (mal ganz ehrlich, bei dem vorhandenen Potential hätte man theoretisch das ganze Stadion plattmachen können), konnte die Partie nach der Unterbrechung fortgesetzt werden. Überaus enthusiastisch wurde der Derby-Sieg (auch wenn es „nur“ der gegen die U23 der Eisernen war) nach Abpfiff mit den Spielern gemeinsam gefeiert.
Mit dem Stadion-Mikro in der Hand kündigte ein Sprecher der Polizei vom Rasen aus an, dass der Gästeblock noch geschlossen bleiben würde, um draußen die Masse der Union-Fans abziehen zu lassen. Eine Maßnahme, die durchaus üblich ist und kaum einer Schlagzeile wert wäre. Wenn, ja wenn, nicht die polizeilichen Einsatzkräfte bereits massiv Stellung bezogen hätten. Die Helme waren auf und nicht wenige Polizisten waren voller Tatendrang, so schildern es zahlreiche Fans, die sich auf dem Vorplatz des Stadions am Ausgang des Gästebereichs gesammelt hatten. Wie sollte dies funktionieren? Von den steilen Treppen kommend, strömten immer mehr Fans auf den Platz. Den meisten wurde der Weg zu den Toiletten versperrt. Mit Sicherheit war der eine oder andere Fußballfreund auf Krawall gebürstet, doch die breite Masse wollte nun einfach nur noch den Heimweg antreten. Kurzum: Der Gang aufs Klo wurde verboten, der Weg zu dem Parkplatz wurde später nicht freigegeben. Die polizeilichen Einsatzkräfte agierten nach dem Spiel alles andere als deeskalierend. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Ganze hochschaukelte. Der Druck wuchs, die Masse schob - und schon konnten Schlagstock und Reizgas massiv eingesetzt werden.
Während die noch im eigentlichen Block stehenden Fans nicht ahnten, was wenige Meter auf der anderen Seite vor sich ging, eskalierte es auf dem kleinen Vorplatz. Pfefferspray wurde aus kurzer Distanz in die Gesichter gesprüht, Schlagstöcke verursachten zum Teil erhebliche Verletzungen im Kopfbereich zahlreicher Fans. Ob teilweise mit Absicht in Augenhöhe zugeschlagen, oder im Eifer des Gefechtes „einfach nur so“ an Hinterkopf und Gesicht getroffen - das lässt sich bekanntlich schwer nachvollziehen und nachweisen. Im Gewühl ging es zur Sache und so war es nicht verwunderlich, dass etliche Personen massive Gegenwehr ausübten. Gegenstände wurden geworfen, Feuerlöscher wurden entleert. Ein entstandenes Chaos, das so nötig war wie ein Kropf. Hatte auf Gästeseite bis zu jenem Zeitpunkt unter dem Strich alles gut funktioniert, so wurde dies nach Spielschluss einfach mal so weggeknüppelt.
Die Vorwürfe von Seiten des BFC Dynamo waren nach diesen schweren Vorfällen klar und deutlich. Verein, Fanbeirat und Fanbeauftragter meldeten sich bereits am Sonntagabend zu Wort. So heißt es wortwörtlich: „Solch ein massiver Preffersprayeinsatz wie heute traf sehr viele Fans, welche friedlich warteten, den Heimweg antreten zu können. Und noch schlimmer, Fans wurden derart mit dem Schlagstock bearbeitet, dass viele von ihnen massive Gesichtsverletzungen davon trugen. Unverhältnismäßig, brutal und provozierend. Sowohl der Verein, der Fanbeirat, der Sicherheitsbeauftragte und ich als Fanbeauftragter verurteilen diesen Einsatz und fordern Antworten ein. Mir bzw. uns geht es nicht um Einzelne unter den Fans, welche selbst dazu beitrugen, dass sie etwas abbekamen, die müssen das mit sich selbst austragen, nein es geht mir/uns um die Mehrheit der heute verletzten Fans, welche in keinster Weise etwas getan haben, das betrifft auch die Fans, welche am Bahnhof Spindlersfeld die Gewalt der Polizei zu spüren bekamen. Wir werden im Verein darüber reden müssen, wie wir dagegen vorgehen. Wir sind aber auch auf eure Hinweise angewiesen, Fotos/Videos von Verfehlungen der Polizei, wie damals bei TeBe, wo wir erfolgreich beweisen konnten, dass der Einsatz mehr als übertrieben war. Parallelen zu heute sind vorhanden.“
Die in der Mitteilung angesprochenen Parallelen zum Dezember 2008. Bereits damals war eine Nichtigkeit (angeblich zwei Böllerwürfe und eine Zaunbesteigung von völlig fremden Personen) im Mommsenstadion der Grund für einen überaus harten Polizeieinsatz in der gute gefüllten Gästekurve. Zahlreiche private Videoaufnahmen belegten damals die Härte des Einsatzes und führten sogar dazu, dass die öffentliche Meinung komplett umschwenkte und auch die meisten großen Tageszeitungen plötzlich ganz anders über die Vorfälle berichteten. Anfangs hieß es einfach nur: Der BFC Dynamo randalierte (mal wieder) bei Tennis Borussia Berlin.
Es bleiben zahlreiche offene Fragen, die hoffentlich in den nächsten Tagen beantwortet werden. Ebenfalls bleiben die Erinnerungen an die verletzten Fans, die behandelt werden mussten. Die klaffende Wunde am Hinterkopf. Die SMS mit der Mitteilung, dass ein guter Freund bewusstlos nach drei Schlägen auf den Kopf bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Liest man im Gegenzug die Videotext-Meldungen und manch einen Artikel in den Tageszeitungen (es gibt allerdings auch im Printbereich positive Ausnahmen, der Berliner Kurier sei an dieser Stelle genannt), geht einem die Hutschnur hoch. Niemand war vor Ort, doch der Text ist schneller fertig als der Espresso aus der Maschine.
Fazit: Das hätte wahrlich nicht sein müssen. Jede verletzte Person - egal ob Polizist oder Fußballfan - ist ein Verletzter zu viel. Es mag sein, dass manch einer unter dem Helm schon mal einen gewissen Kick verspürt, wenn es mal richtig zur Sache geht, doch unter dem Strich verrichten die meisten Beamten einfach nur ihre Arbeit und müssen mit ausbaden, was Strategen und Einsatzleiter sich ausgedacht haben. Dass jedoch in der heute veröffentlichten Polizeimeldung aus Treptow-Köpenick kein Wort über all die verletzten Fußballfans verloren wird, stößt extrem bitter auf. Zu lesen ist, dass 112 Beamte verletzt wurden, zwei von ihnen wurden ambulant behandelt. Die Zahl der ins Krankenhaus gebrachten Fans übertrifft diese Zahl bei weitem. Nimmt man jeden von Reizgaswolken betroffenen Fan mit hinzu, würde man schnell von einem Massaker mit hunderten verletzten Fußballfans sprechen. Aber wer möchte das schon?!
Fotos: Marco Bertram
Ligen
Benutzer-Kommentare
Aber so lang Herr W. von der Polizeigewerkschaft und seine Kollegen weiterhin einseitige Panikmache betreiben, die Medienlandschaft es willig ausschlachtet und Politiker dies dann für bare Münze nehmen und den deutschen Michel belehren, wird sich an der Gesamtsituation leider nichts ändern. Traurig aber wahr.
Ich soll den Artikel des Kriminalreporters der Berliner Zeitung, der 1:1 von der Pressemitteilung der Berliner Zeitung abschreibt, lesen? Tat ich schon und ich war hellauf "begeistert".
Zweitens, was heißt hier "Freunde"? Wenn man meine Berichte kennt, breche ich - wenn es nötig ist - für zahlreiche Fans diverser Vereine eine Lanze. Egal, ob Hansa Rostock oder Hannover 96 oder auch der 1. FC Union.
Die Äußerung, dass man das Stadion hätte "plattmachen" können, sagt nichts anderes aus, als dass der BFC-Anhang locker Ränge und Rasen hätte stürmen können. Das war jedoch nicht deren Absicht (auch wenn es Einzelnen gewiss in Händen und Füßen gekribbelt hatte). Die Anhängerschaft hat aus diversen Spielen der letzten Jahre gelernt.
Dass das Ganze nach dem Spiel am Gästeblock provoziert war, muss ich nicht noch einmal betonen. Ich bin seit 25 Jahren beim Fußball - und meist auch dort, wo man stehen sollte, um sich einen Eindruck verschaffen zu können.
Lösungsansatz? Die verantwortlichen Einsatzleiter mal befragen, wie das Konzept der Deeskalation nach dem Spiel denn ausschaute. Und zudem fragen, weshalb die Stelle zwischen Waldseite und Haupttribüne so schlecht abgesichert war.
Beste Grüße
Marco Bertram
http://www.berliner-zeitung.de/polizei/fussballrandale-in-berlin-koepenick-bfc--und-unionfans-gehen-mit-feuerloeschern-und-faeusten-auf-die-polizei-los,10809296,30137012.html