Das hat Magdeburg lange nicht mehr gesehen. Bereits zwei Stunden vor dem Spiel war die Straßenbahn in Richtung Stadion knüppeldicke voll. Manch einer musste draußen bleiben und auf die Nächste warten. Magdeburg hatte mobil gemacht, Magdeburg im Fußballfieber. Über 16.000 Zuschauer fanden bei wahrlich ungemütlichem Wetter den Weg auf die Ränge des Stadions des 1. FCM. Recht gut gefüllt war auch der Gästeblock. Da die SG Dynamo Dresden zeitgleich gegen den Halleschen FC spielte, konnten die Fans des FSV Zwickau somit unter Beweis stellen, wie gut sie Stimmung machen können ohne die befreundeten Mitglieder von den Ultras Dynamo. Mit vor Ort waren allerdings rund zehn ungarische Fußballfreunde aus Székesfehérvár (Videoton FC). Und sie allesamt erfüllten die anstehende Aufgabe mit Bravour. Dass der Magdeburger Block U auch bei großer Kulisse das Stadion rocken kann, durfte ja bereits bei den DFB-Pokalspielen gegen Augsburg und Leverkusen bestaunt werden. Und auch gegen Zwickau ging die blau-weiße Anhängerschaft gut zu Werke und wusste zu überzeugen.
1. FC Magdeburg vs. FSV Zwickau: Ausbruch der Emotionen nach torlosem Remis
Hot„Muss man sich jetzt dran gewöhnen?“, fragte einer in der vollgestopften Straßenbahn. „Ist ja wie Bundesliga“, murmelte ein anderer. Und ja, würde der 1. FC Magdeburg den Sprung in die 3. Liga packen, so würde der schlafende Riese endgültig geweckt werden. Unglaublich, welch ein Potential dieser Verein hat - und das nach 24 Jahren Amateurfußball seit 1991! Dass die Anhängerschaft auch in anderen Bereichen brachiales Potential hat, konnte nach Abpfiff festgestellt werden. Doch dazu später mehr. Mit der besagten Tram fuhren die Massen gen Stadion und tranken in den dortigen Kneipen vor dem Spiel noch das eine oder andere Bier. Zuversicht in den Gesichtern - wohin man auch schaute.
Aufgrund der TV-Übertragung wurde das Spitzenspiel der Regionalliga Nordost (Zweiter gegen Erster) bereits um 12:05 angepfiffen. Eine gewöhnungsbedürftige Uhrzeit. Früher hatte man über die teilweise kuriosen Anstoßzeiten in Tschechien und Holland nur mit dem Kopf geschüttelt, inzwischen kann man auch hierzulande beim Fußball seinen Frühschoppen zu sich nehmen. Ob allerdings auch den Akteuren auf dem Rasen die frühe Anstoßzeit behagt, gilt noch abzuwarten. Im heutigen Fall konnte man skeptisch sein, denn zumindest die Männer im Blau-Weiß konnten nach zehn (!) Siegen in Folge nicht ihre gewohnte Offensivleistung abrufen.
Allerdings taten die Gäste aus Westsachsen auch das, was sie am Besten können: Exzellent verteidigen. Während die Fans im Gästekäfig in prima Ultrà-Manier die Lieder zum Besten gaben, hielten die FSV-Spieler ihren Kasten sauber. Gerade einmal neun Gegentreffer hatten sich die Zwickauer in dieser Saison eingefangen. Ja, kein Tippfehler! Neun! Um es noch einmal zu betonen. Da biss sich sogar die beste Offensive der Liga - bislang wurde 46-mal ins Schwarze getroffen - die Zähne aus.
Was nicht heißen soll, dass es keine Möglichkeiten gab. Nach gut einer Viertelstunde nahm Nico Hammann aus beachtlicher Distanz bei einem direkten Freistoß Maß und brachte das Spielgerät aufs Zwickauer Gehäuse, allerdings konnte FSV-Keeper Marian Unger den Ball über den Querbalken lenken. Die Westsachsen konnten das erste Mal richtig gefährlich werden bei einer Ecke nach rund einer halben Stunde. Ein Schippchen drauf legten die Gastgeber im zweiten Spielabschnitt, schließlich mussten sie gewinnen, um Rang eins zu erobern. Nach einer Flanke von rechts hatte Christian Beck, der zuletzt nach Lust und Laune traf, mit dem Kopf eine prima Möglichkeit, doch der Ball konnte nicht untergebracht werden. Im Gegenzug konnte FCM-Keeper Glinker einen Schuss von Marc-Philipp Zimmermann mit dem Fuß abwehren. Nach einer Stunde hatte wiederum Christian Beck die Magdeburger Führung auf dem Kopf, doch auch dieses Mal wollte der Treffer nicht fallen. Und auch Zwickau versuchte es mit dem Köpfchen, in der 64. Minute fast das 1:0 der Westsachsen durch André Luge.
Richtig fette Möglichkeiten blieben in der Folgezeit aus. Es blieb beim 0:0, das den Gästen weitaus mehr nutzt, auch wenn der FSV-Trainer Ziegner vor dem Spiel angekündigt hatte, unbedingt auf Sieg spielen zu wollen. Sei wie es sei, Zwickau verteidigte die Tabellenführung und im Gästeblock wurden eine große rote Nummer eins und eine ebenso große blaue Nummer 2 hervorgeholt. Euphorisch wurde der Punktgewinn gefeiert, weniger zum Feiern war den Heimfans zumute. Als in der Pufferzone zwischen Gästeblock und Gegengerade ein weiterer Böller detonierte, hielt es manch einen Magdeburger nicht mehr auf seinem Platz. Die ersten liefen über die gespannte Plane hinweg, ein anderer schritt auf dem Rasen in Richtung Gästeblock.
Erstaunlich zurückhaltend verhielten sich die Ordner. Kein überhitztes Eingreifen, sondern man sprach miteinander. Das funktionierte an dieser Stelle auch recht gut. Hitziger wurde es indes auf der anderen Seite. Zu Fuße der Haupttribüne braute sich an der Ecke mächtig was zusammen. Teil vermummte FCM-Anhänger versuchten das Spielfeld zu stürmen. Ordner und heranrückende polizeiliche Einsatzkräfte verhinderten ein Vordringen. Allerdings wurde von den Beamten wieder einmal ziemlich voreilig Pfefferspray eingesetzt, so dass auch völlig Unbeteiligte zu Schaden kamen. Als sich die Unruhen nach draußen verlagerten und die behelmten Einsatzkräfte zum Vorplatz der Hintertortribüne abrückten, gab es beim Vorbeigehen noch einmal eine Portion Reizgas aus der Pulle.
Es wurde unübersichtlich. An sämtlichen Ecken des Stadions gab es reichlich Bewegung. Auf dem Parkplatz vor der Heimtribüne wurden rund 15 Minuten später zwischen all den abgestellten Autos die Auseinandersetzungen zwischen Magdeburger Fans und Polizei fortgesetzt. Vereinzelte Steine und Flaschen flogen, getroffen wurde auch die eine oder andere Scheibe eines Fahrzeuges. Als die Einsatzkräfte vorrückten, wurde mindestens ein Fan erheblich verletzt, dieser blieb am Boden liegen und musste vor Ort versorgt werden. Noch lange nach dem Spiel blieb es rund um das Stadion unruhig. In dem recht unübersichtlichen Terrain lieferten sich vermummte Fans und Polizisten ein Katz- und Mausspiel.
Als Außenstehender konnte man bei diesem Treiben nur staunen, erinnerte das Ganze durchaus an osteuropäische Verhältnisse. Würde der 1. FC Magdeburg am Ende der Saison den lang ersehnten Aufstieg packen, was ihm (ohne den Zwickauern zu nahe zu treten) wirklich zu wünschen wäre, dürften in der kommenden Drittligasaison spannende Fußballnachmittage und Abende anstehen. Die Fans des F.C. Hansa Rostock und der SG Dynamo Dresden dürften sich bereits freuen. Noch einmal das Sicherheitskonzept getestet werden kann schließlich bei der Landespokal-Halbfinal-Partie gegen den Halleschen FC - vorausgesetzt, der HFC gewinnt zuvor am 28. März sein Nachholspiel beim FSV Barleben.
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Fotos: Marco Bertram