Ein Kommentar zu den Ereignissen in Stettin: Der negative Höhepunkt wurde mit der Tötung des Fans in Schlesien im Prinzip schon erreicht. Was soll da noch kommen, was schlimmer ist? Nach jedem Spieltag gibt es jedoch neue Geschichten, bei welchen man nach dem Hören sagt: „Das kann doch nicht wahr sein!“. Da gibt es die vielen kleinen Geschichten von Fan-Bussen (samt Vereins-Vorstand), die von der Polizei gestoppt werden und die Beamten mit schwingenden Knüppeln durch die Reihen gehen. Geschichten von durch Polizeigewalt zerstochene Reifen von Autos der Gästefans, Nötigungen der Art „Egal, ob du was gemacht hast oder nicht. Entweder Strafe jetzt gleich zahlen oder Gerichtsprozess!“, Geschichten von einer Bierbüchse, die sich später als Colabüchse herausstellte, woraufhin eine Gaststätte durch Staatsdiener verwüstet wurde, um den Cola-Trinker zu schnappen (in Polen herrscht Alkohol-Verbot in der Öffentlichkeit).
Die unendliche Geschichte der Skandale: Ein Nachtrag zum Spiel Pogon vs. Legia
Und da gibt es die Kollektiv-Strafen, die in Polen schon wehrlos hingenommen werden (müssen). Die bekannteste ist wohl das Urteil des 13. Mai 2011, als man aufgrund einer (vergleichsweise eher kleinen) Ausschreitung im Pokalfinale zwischen Legia Warszawa und Lech Poznan dem ganzen Land verboten hatte, Auswärtsspiele zu besuchen (einschließlich Jugend-Spiele und unterste Dorf-Ligen!). In Deutschland ist das allein durch die Gesetzeslage schon nicht möglich. Man stelle sich diese Situation hierzulande vor. Da würden die Deutschen Sturm laufen, wenn dem Deutschen zweitliebstes Kind genommen werden würde (nach dem Auto). In Polen bewirkte es auch genau das Gegenteil. Man rückte noch enger zusammen. Über Umwege gelangte dann doch so manche Truppe in des Gegners Heimat. Blickt man sich aber in anderen europäischen Ländern um, dann findet man auch längerfristige kollektive Gästeverbote, fragwürdige Fancards, die die Persönlichkeitsrechte beschneiden, sowie Handvenen-Scanner. Leute, es geht nur um Fußball, denkt man sich! Oder vielleicht doch nicht?
Nehmen wir uns noch einmal das Spiel vom vergangenen Samstag vor. Die Stettiner Ultras verabschieden sich mit einer großen schwarzen Rauchwolke. Das Stadion nimmt dies zur Kenntnis, man klatscht und es sind viele grinsende Gesichter zu sehen. So war es schon immer, da man damit aufgewachsen ist. Es gehörte immer zum guten Ton. Feuerwerk wurde geduldet und sogar Pyro-Fotos wurden beispielsweise von Erstligisten zu Werbezwecken genutzt. Ab 2006 gab es seitens des Verbands Gegenwehr, die seit 2007 immer massiver wurde, da dort die EM-Vergabe beschlossene Sache war. Das ästhetische Einsetzen von Leuchtmitteln wurde damit immer mehr eingeschränkt. 2009 meldete sich dann auch der Staat zu Wort, durch ein Gesetz über das Abhalten von Massenveranstaltungen, das merkwürdigerweise nur Fußballspiele betrifft. Auch Spiele mit zirka 100 Zuschauern liefen schon unter Massenveranstaltung. Da fehlen einem schlichtweg die Worte! Jedenfalls kam jetzt die Post vom Verband, der Pogon nun bestraft.
Sämtliche Leute, die am Samstag ein Ticket für die Sektoren 10, 11 und 12 hatten, dürfen das letzte Heimspiel nicht besuchen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wer also als unschuldiger Betroffener versucht, ein Ticket zu kaufen, wird dann feststellen, dass der Kauf elektronisch blockiert wird. Durch den Einsatz der Blockfahne, Sturmhauben und Wechselsachen kann kein Täter ermittelt werden. Denunziantentum ist in Polen verpönt. Da wählt man einfach wieder die Kollektivstrafe und bestraft die dichthaltenden Leute gleich mit. Nicht einmal die sensationslüsternen Zeitungen zerrissen sich das Maul über die Aktivitäten auf den Rängen. Rechtlich gibt es durch Gummiparagraphen garantiert ein Schlupfloch, dass sich der Verband nicht die Finger verbrennt, aber das Verdächtigen und Bestrafen von Unschuldigen ist schon eine Sache, die einen fassungslos macht.
Fassungslosigkeit herrscht auf der einen Seite. Ein Pogon Fan beschreibt das Niveau bei Massenveranstaltungen: „In unserem besonderen Land herrscht eine wilde Fan-Phobie. […] Das zeigt, wie peinlich aktuell die Spiele der Nationalmannschaft sind. Es gibt keine normale Unterstützung. Dort ist nur „Polska, Polska“ und „Polska – bialo-czerwoni“. Das ist alles. Es gibt einen Grund: Zu teure Tickets und das Verteilen von Freikarten an Betriebe, Freunde und Politiker – kein Platz für Fans.“ Die Glos szczecinska veröffentlicht zum Thema einen sehr knappen Bericht und zeigt ein Foto eines anderen Heimspiels. In den Kommentaren findet man fast nur Aussagen gegen die Fans wie z.B. „Sehr gut! Die Fan-Horde kann sich nicht benehmen. Raus aus dem Stadion!“ oder „Für Schwachsinn muss man zahlen!“.
Aber auch Wertschätzung, Galgenhumor, Glück im Unglück und Wut auf die Ultras verspürt man auf Pogon-Fanseiten. Hier mal eine ungeordnete Auswahl an Kommentaren über die Choreo und die Strafe.
„Das ist besser als das ganze Stadion zu schließen“
„Hahaha, ich kann nicht mehr! Dieses Land hört nicht auf, mich zu überraschen.“.
„Dieses verschaffte euch Jungen Wölfen einen freien Abend am Mittwoch. 60 Sekunden des Glücks und 90 Minuten Strafe. Es lohnte sich beim Spiel Reifen zu verbrennen. Sehr gut! Am Ende eine sachgemäße Strafe. Nicht das ganze Stadion. Nur die an der Verpestung des Stadions teilnehmenden Fanatiker.“
„Das waren überhaupt keine 60 Sekunden des Glücks. Durchaus nicht für mich. Nie im Leben würde ich mich plagen, dort zu sitzen. Nach der Vorstellung hatte ich große Lust, das Stadion zu verlassen. Warum also werde ich durch die Bande von Idioten auch bestraft?“
„97% der Leute gehen für das Spiel ins Stadion und nicht für Böller, Beleidigungen oder eine Schulbus-Revolte!“
„Die alte Garde muss zurück in die Kurve. Das ist der beste Zeitpunkt! […] Wir zeigen Fußball-Polen, dass Pogon noch nicht gestorben ist, solange wir leben. Ich habe nichts gegen die Choreo, weil sie super war. Es geht mir um die Rückkehr der Alten, um den Support zu organisieren. […] Ich vermisse diese Atmosphäre.“
„Seid nicht hysterisch wie eine alte Oma. Das ist Pyro. Es wird immer bestraft werden und da gibt’s nichts zu jammern.“
„Die schönste und die letzte (Choreo).“
„Es war wunderschön.“
Fotos: Michael, Marco B.
Benutzer-Kommentare
VG Mirko
Wielkie dzięki!
Jesteśmy zawsze razem!