In meinen ganz frühen Hansa-Erinnerungen ist 1860 München der Verein eines gewissen Martin Max, der in jedem Spiel gegen Hansa gefühlt vier Tore schoss. Später - nachdem Max alles wieder gut gemacht hatte und Sechzig in einen Neubau an der Autobahn umziehen musste - wurde es dann zu dem Verein, bei dem man als Gästefan zumindest nicht in die allerletzte Ecke des obersten Ranges verbannt wurde wie bei einem anderen Münchner Club, der im selben Stadion spielte. Ansonsten war 1860 immer ein Verein von vielen, der halt da war, aber nicht gefehlt hätte, wäre er es nicht gewesen.
Hansa Rostock vs. 1860 München: Suptras-Choreo, Mann in den Seilen und Punkteteilung
HotIn den letzten Jahren nahm die Geschichte bekanntlich ihren Lauf und veränderte den Verein, das Umfeld und die Fankultur nachhaltig. Und plötzlich ist Sechzig nicht mehr einer unter vielen, sondern einer, auf den man sich durchaus freut, weil er einen großen, stimmgewaltigen Anhang dabei hat und an Zeiten erinnert, in denen man sich über Niederlagen in der Ersten Liga ärgern durfte.
Schon vor dem Spiel ist klar, dass das hier heute ein bisschen anders wird als mit den zwanzig Fans, die die Würzburger Kickers zuletzt mitgebracht hatten. Der Gästeblock ist mit 1.200 Leuten zumindest mal nicht ganz leer und singt sich beim Aufwärmen der Mannschaften schon mal ein. Ja, heute ist die eigene stimmliche Überlegenheit mal nicht selbstverständlich, heute wird es wirklich interessant.
Kurz nach dem Anpfiff ist aber erstmal Hansa dran, die Suptras haben eine Choreo vorbereitet. Auf Kommando werden blaue, weiße und rote Folien in die Luft gehalten, die den Vorteil haben, dass sie ein wenig durchsichtig sind, sodass noch etwas vom Spielgeschehen zu erahnen ist. Dann wird über eine Konstruktion am Stadiondach der Wikinger hochgezogen, der für das Logo der Suptras Modell stand und in der Hand einen Rauchtopf hält.
Damit besagter Rauchtopf auch als solcher wahrgenommen wird, hängt ein sportlicher Herr im blauen Maleranzug, der zuvor bis unter das Stadiondach geklettert war, mit ein paar echten Rauchtöpfen an einem Seil dahinter. Auf ein weiteres Kommando wird es endlich laut und überall auf der Süd beginnt es zu rauchen - in blau, in gelb, in rot, in grün. Jetzt nützt es auch nichts mehr, dass die Folien durchsichtig sind, denn die verschiedenen Farben vermischen sich zu einer grauen Masse, die so schwer über den Rängen und dem Spielfeld hängt, dass vom Spiel nicht mal mehr auf dem Platz was zu sehen ist.
Als es nach einer kleinen Unterbrechung weitergeht, ist fast wieder klare Sicht auf das Spiel, das zu Beginn Hansa gehört. Bereits nach einer Viertelstunde sind zwei gute Chancen zustande gekommen, die aber noch nichts am Spielstand ändern konnten. Nach zwanzig Minuten scheint dann auch Sechzig in Rostock angekommen zu sein, nimmt seinerseits die Aktivitäten auf und dominiert das Spiel in der Folge klar. Ein paar Mal kann Ioannis Gelios klären, ein paar Mal geht der Ball vorbei und ziemlich oft spielen die Gäste einfach so schnell nach vorn, dass sie plötzlich fast allein vor dem Tor stehen.
Beide Fanlager nehmen das temporeiche und kämpferische Spiel ihrer Mannschaften natürlich dankend an und sorgen für die Lautstärke, die diese Begegnung verdient. Von allen Tribünen wird Hansa nach vorne geschrien, der Gästeblock hält anständig dagegen. Ja, so macht es Spaß, dafür geht man ins Stadion.
Nach einer halben Stunde fällt der mittlerweile hochverdiente Führungstreffer für die Münchner nach einem Freistoß und das Spiel geht eigentlich genauso weiter. Hansa kann in dieser Phase kaum für Entlastung sorgen, die eigene Offensivstärke scheint vergessen, kaum ein Ball wird genau genug auf den Mitspieler gebracht, um selbst mal gefährlich zu werden. Sechzig spielt unterdessen immer wieder schnell nach vorn, immer wieder kommt Grimaldi an den Ball und immer wieder wird es brandgefährlich. Kurz vor der Pause rettet Wannenwetsch mit einer Hammergrätsche in allerletzter Sekunde und eigentlich ist man nur froh, dass es noch nicht 0:3 steht.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit zeigen die Gäste eine zweiteilige Choreo. Teil 1: „Giesing - Unser Viertel für alle Zeit“ und weiße Zettel. Teil 2: „Sechzig – Mein Verein für alle Zeit“ und blaue Zettel. Bereits zuvor in der 17. Minute (Rückennummer von "Ibo") präsentierten die 1860-Fans eine Choreo in Gedenken an den kürzlich bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Ibrahim Kododji, der erst 24 Jahre alt war und bei Sechzig in der vierten Mannschaft spielte. Auf einem Doppelhalter ist sein offizielles Spielerfoto zu sehen, dahinter brennt eine einsame Fackel in einem Meer von schwarzen Zetteln und der Gästeblock schweigt.
Auf dem Platz passiert unterdessen etwas, das eigentlich nie passiert. Hansa kommt als die wachere Mannschaft aus der Kabine und dreht das Spiel mal eben innerhalb von fünf Minuten. Zwei Angriffe sind nötig, einmal schließt Marco Königs ab, einmal Pascal Breier und plötzlich steht es 2:1. Vergessen ist der Krampf aus der ersten Halbzeit, vergessen die hundert viel zu lang geschlagenen Flanken, vergessen die Erleichterung, dass es nur mit 0:1 in die Pause ging. Stattdessen: Extase, Umarmungen, Bier im Haar. Ach Fußball, du bist so wunderbar.
Hansa ist nun klar am Drücker und hat in der Folge die eine oder andere Möglichkeit, das dritte Tor zu erzielen, scheitert aber meist an sich selbst oder am Münchner Torwart. Das Ostseestadion ist natürlich voll da, macht Lärm und treibt die Mannschaft weiter nach vorn. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Hansa den Sack zu macht.
Der Gästeblock legt unterdessen ebenfalls eine ordentliche Leistung ab und überlässt die Stimmgewalt nicht so einfach den Rostockern. Es gibt noch eine weitere Choreo, die zuerst aus tausend weißen Zetteln und einem weißen Banner mit der Aufschrift “Giesing” besteht und anschließend zu dunkelblauen Zetteln und einem dunkelblauen Banner mit der Aufschrift “Sechzig” wird. Insgesamt ist dieser Auftritt doch etwas interessanter als der des einen oder anderen Erstligisten aus der ersten DFB-Pokalrunde, auch wenn es schade ist, dass die Sechziger den Block nicht voll bekommen.
Im Laufe der zweiten Halbzeit gestaltet sich das Spiel dann wieder etwas offener und Sechzig drängt auf den Ausgleich. Eine Viertelstunde vor Schluss bekommen die Gäste einen Elfmeter zugesprochen, als Grimaldi im Strafraum von Julian Riedel weggegrätscht wird. Nachdem sich ersterer unter Pfiffen selbst vom Platz geschleift hat, versenkt Philipp Steinhart den Strafstoß schließlich humorlos und es steht wieder unentschieden - 2:2.
Eigentlich wollen nun beide Mannschaften gewinnen, eigentlich will aber auch keiner verlieren. Hansa kann mit dem Spielstand etwas besser umgehen und kommt noch zu zwei hochkarätigen Chancen durch Breier und Königs, die am Ergebnis allerdings auch nichts mehr ändern.
In der letzten Szene gibt es noch etwas Aufregung, weil Marco Königs durch einen Münchner in dessen Strafraum am Boden gehalten und so daran gehindert wird, den Ball zu erreichen. Statt zum Elfmeter, den man aus Rostocker Sicht gern bekommen hätte, pfeift der Schiedsrichter das Spiel ab und so richtig glücklich ist mit diesem Ergebnis eigentlich niemand. Das Unentschieden ist am Ende sicherlich leistungsgerecht, aufgrund der starken zweiten Halbzeit aber hochgradig unbefriedigend.
Fotos: Uwe Busch, Arvid Langschwager, Münchner Löwen