Fette Pyro - fette Strafe an den DFB. So ist der Stand der Dinge. In der Debatte um den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik gab es kein Vor und kein Zurück. Totaler Stillstand. Und nicht nur bezüglich dieser Problematik wurden die Gespräche zwischen den aktiven Fanszenen und DFB & DFL abgebrochen. „Ihr werdet von uns hören - Ihr werdet von uns sehen.“ Spätestens nach der ersten DFB-Pokalrunde dürfte klar gewesen sein, dass es ein heißer Herbst werden würde. Der Strafenkatalog wurde nochmals angepasst. Kollektivstrafen sollen tabu sein, allerdings soll nun nach dem Motto gezahlt werden: Pro Fackel & Rauchtopf ein bestimmter Betrag. Je mehr abgefackelt wird, desto mehr muss gezahlt werden. Dies lockte die Fanszenen aus der Reserve. Jetzt erst recht! Ganze Blöcke stehen in Flammen. Und beim letzten Heimspiel der Frankfurter Eintracht gegen Apollon leuchtete es gefühlt zig tausendfach auf. Die gesamte Heimkurve war ein Lichtermeer. Die Grenzen zwischen Wunderkerzen und Bengalischen Fackeln verschwammen. Irgendwie war gar nicht mehr recht erkennbar, was da eigentlich genau brannte. Wenn da jemand vom Verband zählen musste - Prost Mahlzeit!
BVB vs. Hertha BSC: Dortmunder Polizei riskiert mit Fahnen-Gezerre den „worst case“
HotEine Sache nahm indes im Laufe der vergangenen Jahre deutlich ab. Es gab weniger Polizei- und Ordner-Einsätze wegen des Abbrennens von Pyrotechnik. Man schien gelernt zu haben, dass solche Prügel- und Pfefferspray-Einsätze in gefüllten Fanblöcken unter dem Strich nichts bringen. Nach den umstrittenen Einsätzen in Hannover, Hamburg und auf Schalke schien es ein Umdenken gegeben zu haben. Was hat der Knüppel-Einsatz in der Nordkurve beim Duell FC Schalke 04 vs. PAOK Saloniki gebracht? Nichts, wirklich nichts! Ganz im Gegenteil, es wurden zahlreiche Personen verletzt. Und das wegen einer mazedonischen Fahne.
Umso größer die Verwunderung beim Anblick der Videoaufnahmen von den gestrigen Ereignissen beim Bundesligaduell Borussia Dortmund vs. Hertha BSC. Man fällt wahrlich vom Glauben ab beim Betrachten der Videoaufnahmen. Die Berliner Gruppierung „Hauptstadtmafia“ feierte ihren 15. Geburtstag, und beim Auswärtsspiel in Dortmund - dort wo einst in den 90ern häufig die Südtribüne des Westfalenstadions in Flammen stand und es niemand großartig störte - wurde dieser Geburtstag mit einer groß angelegten Pyro-Aktion gefeiert. Vorn ein großes Banner mit der Aufschrift „Ultras bis zum Schluss - 15 Jahre Hauptstadtmafia“, dahinter zahlreiche rote Fackeln. Kann man hübsch finden, muss man nicht hübsch finden, kann man richtig scheiße finden - der DFB wird so oder so wieder die roten Punkte zählen und zur Kasse bitten.
Wenn allerdings das Abbrennen von Pyrotechnik Grund genug für massive Polizeieinsätze ist, dann hätte es in letzter Zeit deutschlandweit nur noch schwingende Schwarzwurzeln und strömendes Pfeffer geben müssen. In Hoffenheim, in Hamburg, in Rostock, in Dresden, und und und. Und nun das: Als nach Anpfiff im Gästeblock erneut Fackeln angezündet wurden, rückten die behelmten Einsatzkräfte an und rissen von unten am Banner. Ähm ja, die kursierenden Videoaufnahmen wirken äußerst abstrus. Ein Anblick, den man in der Form in einem deutschen Fußballstadion bislang äußerst selten gesehen hat. Das Zerren an einem Spruchband? Ja, das gab es schon. Aber das Reißen und Ziehen am Heiligsten des Heiligen einer aktiven Fanszene?! Ich war kurz davor abzuwinken. Diesen Bericht einfach sein zu lassen, da man bei solchen Themen bekanntlich auf sehr dünnem Eis tapst. Apropos, nach einer Tasse heißer Schokolade am Kamin - ja, draußen hat es bereits geschneit - schaute ich mir noch einmal die Aufnahmen an. Was für ein Gezerre am Stoff. Keine Seite wollte zurückziehen und den Stoff loslassen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich glatt sagen, es wirkt wie im Kindergarten. Wie das Reißen und Zerren am Lieblingsspielzeug.
Was sollte mit diesem Polizeieinsatz eigentlich bezweckt werden? Ein gezielter Schlag gegen die „Hauptstadtmafia“ oder die gesamte Hertha-Szene? War vielleicht eine alte Rechnung offen? Oder wollte man einfach nur die Bilder haben, die es nun zu sehen gab? Fußballfans, die außer Rand und Band sind?! Schnell war wieder von Chaoten und Metallstangen die Rede. Der „Fußballpöbel“ zeigte sich mal wieder von der hässlichen Seite. Verband und Politik müssen mal wieder handeln, die Stadien seien nicht sicher genug. Die Frage darf gestellt werden: Wem spielt das Ganze in die Karten? Mal ganz ehrlich, die Reaktion der aktiven Hertha-Szene war zu erwarten. Das Reißen am Banner würde niemand auf sich sitzen lassen. Nicht in Frankfurt, in Stuttgart, in Hamburg, in Rostock und in Dresden. Die Reaktion wäre überall dieselbe.
Logisch aber auch ist, dass viele Fußballfreunde der Meinung sind: Solch einen Polizeieinsatz hätte es nicht gegeben, wenn vorher nicht so massiv gezündelt worden wäre. Vielleicht wurde das flächendeckende Abbrennen von Pyrotechnik in kürzeste Vergangenheit bereits zu sehr Mainstream und wurde von einer recht großen Masse des Sitzplatzpublikums bereits als durchaus hübsch angesehen. In Magdeburg und Rostock brannte es auf den gesamten Tribünen, und auch in Dresden wurde gegen Aue im Heimbereich friedlich gezündet als wäre es das Normalste der Welt. Und ja, bei Eintracht Frankfurt erstmal. Strafe hin, Strafe her, die allgemeinen Diskussionen nahmen zuletzt merklich ab. Das könnte sich nach dem gestrigen Tag X wieder rapide ändern. Pyrotechnik = Gewalt. Das dürfte sich nun wieder verstärkt beim allgemeinen Fußballpublikum verankern. Wem dies in die Karten spielt, dürfte auch klar sein.
Von daher war das Ganze ein großes Desaster. Für alle Seiten. Es gibt nur Verlierer. Der Hass auf die Polizei dürfte noch größer werden. Solidaritätsbekundungen gab es in beachtlicher Form auch von der Heimseite. „Alle Bullen sind Schweine“, ertönte es unüberhörbar auf der Südtribüne. Die Fanhilfen aus Berlin und Dortmund veröffentlichten eine gemeinsame Stellungnahme. Schön und gut. Viele sehen sich nach den Ereignissen in Dortmund nur bestätigt. Ultras seien Assis, die mit Stangen zuschlagen und sogar mit Pyrotechnik auf Menschen in Uniform werfen. Die hässliche Fratze des Fußballs. Aber eben auch die hässliche Fratze des Menschen, wenn man ihn bis aufs Äußerste reizt und provoziert.
Fakt ist, das Ganze hätte richtig in die Hose gehen können. Nach mehrmaligem Sichten der kursierenden Videoaufnahmen kommt man zur Erkenntnis: Es hatte nicht viel gefehlt bis zum worst case. Soll heißen, zur höchstmöglichen Form der Eskalation. Noch etwas mehr Öl ins Feuer und es hätten - auf beiden Seiten - womöglich Schwerverletzte beklagt werden müssen. Was nicht heißen soll, dass die Ereignisse nicht schon heftig genug waren. Allerdings kennen wir Bilder aus anderen Staaten von ähnlichen Anlässen, bei denen beide Seiten zu noch drastischeren Mitteln gegriffen haben. In Hinblick dieser Tatsache ruft dieser Polizeieinsatz und das Zerren am Banner nur ein Kopfschütteln hervor. Die Einsatzleiter der Polizei hätten wissen müssen, worauf das Ganze hinauslaufen könnte. Und da genügt auch nicht die Annahme, dass ein aktiver deutscher Fußballfan in der Regel halt nicht ganz so drastisch reagiert wie ein Ultra in Polen, Serbien, Griechenland oder Bulgarien. Und wenn in einem Fall dann doch? Es ist eben doch besser, verfügbare Videoaufnahmen auszuwerten und identifizierte Personen im Rahmen des Gesetzes zur Rechenschaft zu ziehen als einfach mal so reinzuknüppeln und Unschuldige in das Ganze mit hineinzuziehen…
Fotos: Marco Bertram, Jean Falkner, tr-fotos, Aumi, K. Hoeft
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Benutzer-Kommentare
Aber in DO ist solch ein Polizei Sinnloseinsatz normal. Vor Jahren schon mal erlebt, als ein Hertha Fan ein Striptease zu "Never walk allone" auf dem Zaun machte. Da kam die Herren auch gleich mit 2 Hundertschaften um eine nackte Person vom Zaun zu holen. Und da ging es dann auch etwas wild zu, da die anwesenden Hertha Fans die Verhältnismäßigkeit nicht so gut fanden.