Rot-Weiß-Goldene Fußballfibel: Mainz wie es singt und lacht - und auch weint

Rot-Weiß-Goldene Fußballfibel: Mainz wie es singt und lacht - und auch weint

 
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Es gibt in Deutschland zwei Vereine, die wieder und immer wieder falsch geschrieben bzw. genannt werden. Zum einen ist es der VfB Oldenburg von 1897, der immer wieder mal VfL Oldenburg genannt wird. Das „VfL“ passt irgendwie so schön automatisch zu „Oldenburg“. Verrückt ist, dass es ja auch einen VfL Oldenburg gibt. Dieser hat die Vereinsfarben Grün und Weiß und wurde bereits 1894 ins Leben gerufen. Und dann gibt es den 1. FSV Mainz 05. Ich würde mal behaupten, dass rund 95 Prozent der Leute aus dem Stegreif die „1“ vor dem „FSV“ weglassen. Und in der Tat, im Zuge der Recherche nach der nun verwendeten Akzentfarbe Gold stieß ich online auf ein Designtagebuch, das konsequent vom FSV Mainz 05 spricht. Mal komplett ausgeschrieben, mal in Kurzform. Aber gut, die offizielle Webseite des Vereins hat ja auch nicht die „1“ mit in der Domain. Auf der Seite selbst wird selbstverständlich nur vom 1. FSV Mainz 05 gesprochen.

Gibt man bei Google „1. FSV“ ein, so erhält man 5.140.000 Ergebnisse. Auf Seite eins dreht sich alles um die Mainzer, auf Seite zwei stößt man unten auf den 1. FSV Nienburg. Noch weiter hinten tauchen der 1. FSV Schierstein 08 und der 1. FSV Köln 1899 auf. Ob diese Vereine ähnliche Probleme haben? Ich werde sie in Kürze mal befragen.

Jedoch soll es heute nicht nur um die „1“ bzw. das „1.“ vor dem FSV gehen. Vielmehr möchte ich das jüngst auf den Markt gekommene Buch 1. FSV Mainz 05 Fußballfibel besprechen. Auf dem Band 40 strahlt einem auf der abgedruckten Fahne sogleich die Akzentfarbe Gold an. Bitte Gold, nicht Bronze! Somit hat diese Flagge inmitten zahlreicher weiterer rot-weißer Flaggen der Reihe ein klares Alleinstellungsmerkmal. Bei Darmstadt 98 halt die Lilie, bei Mainz 05 nun das Gold. Wobei das Vereinswappen des 1. FSV Mainz 05 bereits ein echter Hingucker ist. Aber dieses ist ja auf dem Einband nicht abgedruckt. Oben genannt sind indes die Namen Oliver Heil und Mara Pfeiffer. Die Beiden waren für Idee, Konzept und Umsetzung verantwortlich. Texte zu lesen im Buch gibt es indes von zahlreichen weiteren Autorinnen und Autoren. Ähnlich wie es im Fall der SV Eintracht Trier 05 Fußballfibel der Fall ist. Und nicht nur ähnlich, sondern genauso genial wie im Fall der Trier-Fibel ist dies bei der Mainzer Fußballfibel gelungen.

Es hat nun mal seine Vor- und Nachteile, wenn eine einzelne Autorin / ein einzelner Autor sich an solch ein Buch setzt und von vorn bis hinten ein Faden durchziehen lässt. Der Vorteil, wenn mehrere Leute an solch einem Buch mitarbeiten, ist ganz klar der, dass solch ein Werk häufig sehr kurzweilig ist und es sich prima für S-Bahnfahrten anbietet. Aufgrund der meist abgeschlossenen Kapitel eignet sich solch ein Buch auch mal für Zwischendurch. Fix in der Wanne, rasch vor dem Einschlafen, huppi di hupp zwischen Ostkreuz und Lichtenberg. 

Das vorliegende Buch ist mit Liebe gemacht. Klaro, das war bislang bei jeder Fußballfibel der Fall, doch wurde wohl die Mainzer Fußballfibel mit gaaaaanz besonders viel Liebe gemacht. Vielleicht ist es auch die Prise Karneval, die in diesem Buch steckt. Vielleicht aber auch nahm mich das überaus nette Lächeln von Mara und Oliver auf dem auf Seite 7 abgedruckten Foto gleich mit ins Mainzer Boot. Viele Bezugspunkte zum 1. FSV Mainz 05 hatte ich in den vergangenen 30 Jahren wahrlich nicht. Völlig neutral und wertfrei durfte ich dieses Buch lesen, und ich war wirklich gespannt, was es erfahren gibt.

Nach den ersten Zeilen über die Historie hatte es mich dann endgültig beim Kapitel „Balljunge am Bruchweg“ von Daniel Meuren gepackt. Sensationell sind die zwei Kapitel „Napoleons Unruhe“ und „Forever my favorite Panda“, die beide von Mara Pfeiffer verfasst wurden. Im erstgenannten Text geht es um den Trainer Wolfgang Frank, der sowohl von 1995 bis 1997, als auch von 1998 bis 2000 die Mainzer trainiert hatte und dort zum Volkshelden wurde. Im September 2013 verstarb er nach schwerer Krankheit, und die Fans präsentierten wenige Tage später beim Heimspiel gegen Schalke 04 eine Choreo. Und der Panda? Im Karnevalskostüm wollte Mara mit ihrem Neffen zum Auswärtsspiel bei Hertha BSC fliegen, doch wurde fast der Flieger verpasst. Stress kam auf, die Augen standen bereits in den Augenwinkeln. Am Ende gab es ein Happy End - und auch dieses abgedruckte Foto im Text spricht wahrlich Bände.

Singen, lachen und auch mal weinen. Im Kapitel von Vincent Braun wird Abschied genommen von Lukas, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Beim folgenden Heimspiel gab es damals keine Humba und auch kein wildes Getanze. Die angereisten Gladbacher Fans zeigten ein Kondolenzspruchband. Respekt! Das Buch führt die Leser durch sämtliche Bereiche, die ein Fußball- bzw. Vereinsleben so mit sich bringt. Und was manch einer gar nicht mehr so auf dem Schirm haben wird, da viele den Verein eher als graue Maus sehen: Die Nullfünfer hatten bereits viermal am Europapokal teilgenommen. Dreimal war in den Qualifikationsrunden Schluss, einmal durfte Mainz 05 direkt in der Gruppenphase der Europa League starten. Die Gegner jener Saison 2016/17 waren FK Qäbälä, AS Saint-Etienne und der RSC Anderlecht. Der erste Auftritt auf europäischem Parkett erfolgte im Sommer 2005, als der armenische Vertreter Futbolayin Akumb MIKA Aschtarak der Gegner war. Gespielt wurde damals in Jerewan - und über jene Sause schrieb Nils Friedrich einen feinen Text. 

Mein persönliches Highlight ist indes auf Seite 52 zu finden. „Hanseatisches Selbstverständnis - Eine rot-weiße Abrechnung“. Ich dachte schon, es gehe um den F.C. Hansa Rostock, aber nein, Thema ist der FC St. Pauli. Beim Lesen in der abendlichen Wanne brach ich fast weg vor Lachen. Es geht um einen Freundschaftsschal, der eines Tages einfach nur weg sollte. Er wurde verschenkt und dann wiederum weitergegeben. An einen „Durchgepeitschten“, der wohl Ingo oder Jens oder besser noch Jens-Ingo hieß. Dieser warf sich auf die Straße und erbettelte regelrecht diesen Stück Stoff. Der Blick geht zurück auf Duelle mit dem FC St. Pauli, als die Mannschaft noch durchsetzt war von unsportlichsten Schauspielern, Tretern und Markierern. Und wie heißt es weiter: „Geprägt von Trainern, die ekliges Verhalten ‚einfach clever‘ fanden und dreckige Siege konsequent mit hämischem Grinsen Richtung Gegner feierten. Unterstützt von einem ungemütlich zänkischen Publikum im Stadion. Viele ganz unten, die Nase aber alle schön weit oben…“ Der Text von Emi Schömer hat noch weitere Passagen, die köstlich zu lesen sind, doch soll an dieser Stelle nicht allzu viel vorweg genommen werden.

Kurzum: Das Buch ist als Gesamtpaket wirklich klasse! Und wenn einen das Kapitel „Football has no Gender“ nicht so dolle interessieren sollten, kann ganz einfach mit „Erste Runde Jerewan“ fortgesetzt werden. Davon ganz abgesehen, ist auch das besagte Gender-Kapitel wahrlich nicht übel. Nur nicht abschrecken lassen! :-)

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Fotos: Marco Bertram, Wochenendpöbler, Claude Rapp, Glenn Dawson, K. Hoeft

Artikel wurde veröffentlicht am
17 Februar 2021

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