„Ein Hund kam in die Küche, die Kammer, die Speisekammer. Er stahl dem Koch die Mettwurst, die Blutwurst, die Cervelaaaaatwurst…“ Unvergessen, als auf dem Prinzipialmarkt in Münster am 29. Mai 2011 mit tausenden Preußen-Fans im Wechselgesang „Der Hund“ gesungen wurde. Die Mannschaft des SC Preußen Münster feierte gemeinsam mit Oberbürgermeister Markus Lewe und den tausenden Fans den Aufstieg in die 3. Liga, und laut hallte es über den Platz: „Da kam der Koch mit der Kelle, dem Messer, dem Hackebeilchen und schlug dem Hund den Kopf ab, die Beine ab und all seine Schwänze…“ Und zum Abschluss folgte ein kraftvolles „Ha Ho He super SCP! Oleeee SC Preußen, oleeeee olee!!!“
SC Preußen Münster Fußballfibel: Vom Hund auf dem Prinzipialmarkt bis zur größten Pipi-Pause
Mit zehn Punkten Vorsprung auf Eintracht Trier hatte der SC Preußen Münster am Ende der Regionallia-Saison 2010/11 den Sprung in die 3. Liga klargemacht. Bereits am viertletzten Spieltag wurde das Ganze in trockene Tücher gebracht, als 18.500 Zuschauer im Preußenstadion (damaliger Viertliga-Rekord) den 3:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach II frenetisch feiern durften. Endlich raus aus der Regionalliga West, in der damals sage und schreibe zehn zweite Mannschaften spielten. Ein Grauen. „Das war keine schöne Liga, da gibt es nichts zu verklären“, schreibt Carsten Schulte in seiner SC Preußen Münster Fußballfibel. Und was den Aufstieg in die 3. Liga betrifft, so wählte er folgende Worte: „Sicher ist: 2011 brachte den SC Preußen zurück auf die Landkarte des Fußballs. Es war ein Aufbruch in eine wirklich neue Liga. Auf einem Niveau, wie die Zweite Bundesliga Anfang der Neunzigerjahre spielte. Nur einmal zur Erinnerung und Einordnung: Von den Zweitligaklubs aus Münsters letzter Saison 1990/91 spielen heute nur drei (!) Teams in der Bundesliga (Schalke, Mainz, Freiburg), vier in der Zweiten Bundesliga (Hannover, Braunschweig, Osnabrück und Darmstadt, vier in der Dritten Liga und der Rest ist abgestürzt in den Amateurfußball (Homburg, BW 90 Berlin, RW Essen, etc.)“
Neun Jahre konnte sich der SC Preußen Münster in der 3. Liga halten, am Ende der Spielzeit 2019/20 mussten die Preußen als Tabellenachtzehnter wieder den bitteren Weg in die Regionalliga West antreten. Diese neun Jahren nehmen auch zahlreiche Seiten der hinteren Hälfte der vorliegenden SC Preußen Münster Fußballfibel ein. Der Autor Carsten Schulte, der 1971 im westfälischen Laer geboren und später von seiner ersten Freundin zu Preußen Münster geführt wurde, war / ist stets auf Ballhöhe und hatte stets einen genauen analytischen Blick sowohl auf das Geschehen auf dem Rasen, als auch auf die Geschehnisse auf den Rängen. Ich spreche beim zweiten Punkt von „war“, weil derzeit bekanntlich der Profifußball (inkl. die Regionalligen West und Südwest) ohne Zuschauer ausgetragen wird. Was die besagten Geschehnisse auf den Rängen betrifft, so gab es im Fall Preußen Münster für Drittligaverhältnisse überdurchschnittlich viel zu analysieren und zu beschreiben. Die Spaltung der aktiven Fanszene durfte bereits in der Regionalliga-Saison 2010/11 bestaunt werden. Zudem kam es immer wieder zu hitzigen Konflikten zwischen aktiver Fanszene und Verein. Mal waren es kritische Spruchbänder, und mal waren es die zahlreichen Einsätze von Pyrotechnik, welche die Wogen hochschlagen ließ.
So gibt es in der Fußballfibel mit der schwarz-weiß-grünen Flagge drauf ab Seite 134 das Kapitel „Einschub: Der SCP und seine Fans“ zu lesen. Seine Einleitung bringt das Ganze schon einmal auf den Punkt. „Es gab da diese legendäre TV-Werbung. ‚Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse.‘ So flapsig formulierte OB seine Tampon-Werbung einst. Und Missverständnisse, ganze Geschichtsbücher davon, hat der SC Preußen Münster bestenfalls erfunden, wenn es um das Verhältnis zu seinen Fans geht.“ Es begann alles, als zu Beginn des Jahrtausends die aktiven Fans in die Ostkurve neben der alten Tribüne umzogen. Ab 2001/02 wurde diese Curva Monastaria genannt. Erste Risse beim Verhältnis zwischen Verein und Fanszene gab es im Jubiläumsjahr 2006 zu verzeichnen, als aufgrund des Abstieges bei den Feierlichkeiten die „normalen“ Fans draußen bleiben mussten. Parallel dazu verschlechterte sich das Verhältnis zur Polizei in Münster.
Die Lage spitzte sich 2011/12 weiter zu. So ist auf Seite 143 zu lesen: „Auf dem Kriegspfad. Überall brannte es lichterloh im Verhältnis zwischen Klub und Fans. Kaum war diese Saison beendet, legte der Deutsche Fußballbund (DFB) Feuer an eine andere Lunte. Im Sommer 2012 diskutierte Fußball-Deutschland über längere Stadionverbote und brachte dabei auch die Frage nach Stehplätzen wieder auf den Tisch.“ Drei Jahre später lief das Fass über. „Im Oktober 2015 spielte der SCP gegen den F.C. Hansa Rostock, ein Flutlichtspiel. Offenbar kam in der Fanszene alles zusammen. In einem Akt der totalen Selbstaufgabe brannte im Block der Preußen reichlich Pyro und dann präsentierten die Fans das längst legendäre Banner ‚Fickt Euch alle!‘ Das war Verzweiflung pur, längst waren alle müde und es fühlte sich an wie der Abschied der Ultra-Szene.“
Allerdings gibt es in der Fußballfibel über den SC Preußen Münster auch lustige, lockere Episoden zu lesen. So zum Beispiel die Anekdote von der großen Pinkelpause bei der Auswärtssause nach Lübeck im Frühjahr 2001. Die Münsteraner waren noch gut im Rennen, und zum Spitzenspiel beim VfB Lübeck fuhren hunderte Fans mit einem Zug zur Marzipan-Stadt. Irgendwo hinter Hamburg stoppte der Zug, und es „gab die größte Pinkelpause, die je auf einer Zugfahrt zugelassen wurde.“ Das Spiel konnten die Preußen damals mit 2:1 für sich entscheiden, der Sprung auf Rang eins erfolgte, man träumte vom Aufstieg in die 2. Bundesliga, doch am Ende war es dann doch nur der fünfte Platz. Stattdessen feierten in der Staffel Nord der 1. FC Union Berlin und der SV Babelsberg 03 den Sprung nach oben.
Es wurde bereits erwähnt, die letzte Zweitliga-Saison des SC Preußen Münster war jene vor 30 Jahren, als am Ende der FC Schalke 04 die Rückkehr ins Fußballoberhaus feiern durfte. Münster trat dagegen gemeinsam mit dem TSV Havelse und dem 1. FC Schweinfurt 05 den Weg in die Oberliga an. Klingt - sorry - scheiße, war es auch. Von 1974 bis 1981 und von 1989 bis 1991 spielte Preußen Münster in der 2. Bundesliga, und nun war wieder die Oberliga Westfalen der Stand der Dinge. VfL Gevelsberg, 1. FC Recklinghausen, ASC Schöppingen und VfR Sölde hießen unter anderen die Gegner. Mit dabei waren allerdings auch Arminia Bielefeld und der SC Verl. Als Meister nahm Münster an der Aufstiegsrunde teil, scheiterte allerdings in der Gruppe mit dem Wuppertaler SV und dem FSV Salmrohr. Was für bittere Zeiten! Linderung versprach die Schaffung der Regionalligen ab der Saison 1994/95. Als Vizemeister der Oberliga-Saison 1993/94 war Preußen Münster für die Regionalliga West/Südwest locker qualifiziert.
Mit einem Mal waren auch wieder Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen und Eintracht Trier die Gegner. 12 Jahre in Folge spielte der SC Preußen Münster in der Regionalliga, bis es ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2006 den Abstieg in die Oberliga zu verdauen gab. Es war eine krasse Kiste. Allein das schlechtere Torverhältnis gegenüber dem FC Rot-Weiß Erfurt sorgte dafür, dass es wieder eine Etage tiefer ging. Nach einer durchwachsenen Saison 2006/07 gelang in der Folgesaison als Meister die Rückkehr in die neu strukturierte Regionalliga West. „In Hamm, am vorletzten Spieltag, machte der SCP das Meisterstück perfekt. Roger Schmidt wurde auf Armen getragen“, heißt es in der überaus gut zu lesenden Fußballfibel von Carsten Schulte.
Und klar doch, es durfte ziemlich sicher wieder „Der Hund“ gesungen werden. „Da kamen viele Hunde, die Dackels, die Pinschers und die Bernhardiners. Sie schufen ihm ein Grabmal, ein Denkmal, ein Mausoleum und schrieben drauf mit Tinte, mit Kuli, mit schwarz-weiß-grüner Farbe: Ha Ho He super SCP! Oleeee SC Preußen, oleeeee olee!!!“
Fotos: Carsten Schulte, Marco Bertram, K. Hoeft