Ein einziges Pünktchen (in reiner Theorie sind es zwei) fehlt dem 1. FC Frankfurt (Oder) noch bis zur Wiederkehr in die Nordstaffel der NOFV-Oberliga. Am kommenden Samstag treten die Frankfurter beim Tabellenvierten Werderaner FC Viktoria 1920 an, doch Obacht sei gegeben. So hatte allein Patrick Richter kürzlich beim 6:0-Auswärtssieg beim SV Frankonia Wernsdorf vier Treffer beigesteuert.
Der 1. FC Frankfurt (Oder) hatte es indes am vergangenen Spieltag mit der SG Union Klosterfelde zu tun. Vor Anpfiff wurde dem jüngst verstorbenen Dieter Schulz gedacht. Vor 407 Zuschauern im Stadion der Freundschaft gerieten die Oderstädter in der 54. Minute in Rückstand, konnten jedoch das Ganze in der Folgezeit drehen. Mein turus-Kollege und Buchautor Marco Bertram las gerade im Gästeblock live ein Kapitel aus seinem Fußballroman über den ASK / FC Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) vor, als im Hintergrund drei der insgesamt vier Treffer fielen.
Nach exakt einer Stunde konnte Max Rocher ausgleichen, zehn Minuten später machte Maik Frühauf die Führung klar. Die über 400 Zuschauer auf den Rängen des altehrwürdigen Stadions der Freundschaft sorgten für eine beachtlich gute Stimmung, und es wurden sogar zwei Bengalos gezündet. Nachdem in der 76. Minute Paul Bechmann das Tor zum 3:1-Endstand schoss, konnte die Party beginnen. Bis in die späten Abendstunden hinein gab es vor dem Stadion Freibier und Grillgut, und an den Tischen kamen alte FCV-Fans mit den aktuellen Spielern und jüngeren Zuschauern ins Gespräch. Nach einer gewissen Lethargie herrscht nun wieder eine Aufbruchstimmung.
So werden sich einige Fans am Samstag auf den Weg nach Werder (Havel) machen. Ein Punkt - und dann können in Frankfurt (Oder) die SG Dynamo Schwerin, Tasmania Berlin und die Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin und ihre jeweiligen Fans begrüßt werden. Daumen drücken ist angesagt!
Meine Rezension zur Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) Fußballfibel:
Marco Bertram hat sich gewagt. Gewagt ein Fußballbuch zu schreiben, das einerseits die Geschichte des ASK / FC Vorwärts darstellt, andererseits aber in Romanform auf fiktionaler Ebene vier Jahrzehnte das Leben im Arbeiter- und Bauernstaat erzählt. Was sich anhört wie eine ziemlich verrückte Idee, ist im Endergebnis ein viel zu schnell gelesenes, weil sehr kurzweiliges Buch über einen längst untergegangenen Fußballclub, der heutzutage nur noch in den Köpfen und Herzen einiger weniger Getreuen fortlebt.
Lang bevor der Berliner FC Dynamo und der 1. FC Union Berlin die Vormacht in der Hauptstadt der DDR unter sich ausmachten, schickte sich die 1953 aus der Messestadt Leipzig nach Berlin delegierte Vorwärts-Elf an, Meisterehren zu erringen. Als Sportkollektiv der Nationalen Streitkräfte und Aushängeschild der Armeesportvereinigung Vorwärts war es für die Mannschaft geradezu ein Muss erfolgreich zu sein. Und da Spieler nicht transferiert, sondern durchaus im Zuge des Ehrendienstes verpflichtet wurden, schien es gar unendliche menschliche Ressourcen zu geben.
Der Erfolg blieb nicht aus. Mehrfach konnten die kurz behosten Volksarmisten Meisterschaften und Pokalsiege feiern. All dies, während man in der Hauptstadt der DDR stationiert war. Die kurze Zeit zuvor in Leipzig war hingegen weniger erfolgreich. Dass dort mit der BSG Chemie auch ein wesentlich beliebterer Club ansässig war, tat sein übriges.
Also ab nach Berlin - und dort beginnt auch die Erzählung abseits des grünen Rasenvierecks. Wir durchleben mit Lutz, einem der beiden Hauptprotagonisten, die Irrungen und Wirren im Alltag der noch jungen DDR. Da geht es nicht nur um Fußball, sondern auch um ganz banale Dinge. Vater auf Montage, die Wohnung ist eigentlich zu klein und Südfrüchte gibt es auch schon wieder nicht. Es ist eine Stärke des Buchs, dass Marco Bertram ein feines Gespür für Stimmungen hat. Er lässt den Leser mithilfe von Schlagertexten, Schlagzeilen und Ortsbeschreibungen tief in die 50er und 60er Jahre in Ost-Berlin und später an der Seite des zweiten Hauptakteurs Molli ins Frankfurt (Oder) der 70er und 80er Jahre eintauchen.
Lebensgefühl und Lebenslust unter Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Wir erleben mit den beiden "Ur-Ultras" des FC Vorwärts Erfolge und Enttäuschungen, große Spiele und bittere Niederlagen. Trauer darüber, dass der FCV von Berlin nach Frankfurt (Oder) delegiert wird, und das dortige Erwachen und Wachsen der Begeisterung für die Rot-Gelben:
--- „Drücken Sie ordentlich auf die Tube! Ich leg auch noch ’ne braune Clara drauf!“, ermunterte Manfred den Taxifahrer, der in der Tat mächtig aufs Gas trat und vorbei am Anger und am Hochhaus, das damals noch niemand Oderturm nannte, zum Viertel Hansa Nord brauste. Mit der „braunen Clara“ war der bräunliche 10-Mark-Schein gemeint, auf dem die alte Clara Zetkin mit schlohweißem Haar und großem Kragen etwas griesgrämig dreinschaute.
Der Wolga schlängelte sich die Straße entlang, die über den Klingefließ ins etwas höher gelegenen Plattenbauviertel Hansa Nord führte. 20 Minuten vor Anpfiff erreichte das Taxi tatsächlich wieder den Vorplatz des Stadions, wo Herr Gafke ganz brav mit Molli an einer Ecke gewartet und sich mit einem Ratespiel die Zeit vertrieben hatte. „Nun aber nix wie rein in die gute Stube!“ ---
Fährt man heute ins Stadion der Freundschaft in der Oderstadt, ist vom Ruhm des FC Vorwärts nicht mehr viel zu sehen. Alle Jubeljahre packt eine Handvoll übrig gebliebener Fans die Fahnen mit dem Wappen des FC Vorwärts aus, um beim Abend der Legenden über die gute alte Zeit zu plauschen. Mit dem heutigen 1. FC Frankfurt (Oder) e.V. wollen sie nicht wirklich etwas zu tun haben. Sie erinnern sich lieber an ihren FC Vorwärts, die ganz Alten auch an den ASK/FC Vorwärts Berlin. Sie haben die Erinnerung an glorreiche Tage an Spree und Oder konserviert. Marco Bertram sorgt mit seiner Fußballfibel dafür, dass diese Erinnerung noch lange anhalten wird.
> die „Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) Fußballfibel“ auf marco-bertram.de
> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Frankfurt (Oder)