TeBe und das irre Auf und Ab: Oldenburg, Derbysieg, Tuntentour und Gruselkabinett Regionalliga

TeBe und das irre Auf und Ab: Oldenburg, Derbysieg, Tuntentour und Gruselkabinett Regionalliga

 
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Berliner Fußball Mitte der 90er. Wenn ich so überlege, gibt es da einige Aspekte. Nach meinen dreieinhalb Jahren im Rheinland mit einem reich gedecktem Fußball-Gabentisch erfolgte ab Herbst 1994 in meiner Heimatstadt die Ernüchterung. Irgendwie schien hier alles im Arsch zu sein.  Union verlor unter der Woche vor etwas über 900 Zuschauern gegen Hertha Zehlendorf, und eine bedrückende Weltuntergangsstimmung machte sich im Schummerlicht breit. Hertha kickte vor 4.000 bis 6.000 Zuschauern im maroden Rund gegen Mainz 05 und Chemnitz, beim FC Berlin (BFC Dynamo) gab es daheim - bis auf wenige Lichtblicke - meist auch nur ein Trauerspiel zu sehen, und dann wäre da noch Tennis Borussia Berlin.

Die Sache mit der gefälschten Bankbürgschaft und dem Nicht-Aufstieg von Union Berlin war noch ganz frisch, und mit Argwohn schaute ich auf die Lila-Weißen in Berlin-Charlottenburg, doch nahm ich damals so ziemlich alles mit, was der Fußballkalender bot. Reinickendorfer Füchse, Hertha Zehlendorf - Hauptsache, der Ball rollte und die freie Zeit konnte gefüllt werden. Fühlte es sich im Berliner Olympiastadion schon wie eine Zeitreise an - die vergilbten Vorhänge in der Stadionkneipe, die skurrilen Typen, all der Verfall -, so haute der West-Berliner Muff der 70er im Mommsenstadion noch mehr rein.

 

Ein dortiger Stadionbesuch war teils echt eine Folter. Die gähnende Leere in großen Teilen der Kurven, die knarzende Stimme des Stadionsprechers, die traurig hängenden lila-weißen Stoffe am Zaun vor der Haupttribüne. Überall roch es nach Tristesse, und doch mochte ich das ganze Ambiente irgendwie. Es war eine andere Tristesse als damals im Sportforum Hohenschönhausen und in der Alten Försterei. Für mich als geborenen Ost-Berliner war dieser West-Berliner Muff eine neue Welt. Eine durchaus willkommene Abwechslung. Die alten Herren mit den Biertulpen im verrauchten Casino, die teils auf Klappstühlen sitzenden Typen hinter den Zaunfahnen. 

Nun denn, so dachte ich mir, wenn es Hertha, Union und der BFC nicht auf die Reihe kriegen, soll es halt TeBe richten. Also tigerte ich am 26. August 1995 ins Mommsenstadion und drückte den Berlinern im DFB-Pokal gegen den Karlsruher SC ein wenig die Däumchen. Vor 5.130 Zuschauern kam es jedoch bitter, in der 89. Minute musste das 1:2 hingenommen werden, geschossen von Slaven Bilic. Am Ende der Saison 1995/96 war ich ebenfalls am Start, als Tennis Borussia Berlin in der Aufstiegsrunde den VfB Oldenburg empfing. Wieder einmal konnte man sich deftig drüber echauffieren, dass die Staffelmeister nicht direkt aufsteigen durften.

 

Vor 5.683 Zuschauern ging TeBe mit 1:0 in Führung, in der 76. Minute musste der Oldenburger Ausgleichstreffer hingenommen werden. Ich drehte ein paar Runden, fertigte Fotos an und schaute im Gästeblock vorbei, wo ein paar Unioner und Rostocker einen TeBe-Schal verbrannten. Im Rückspiel kam es knüppeldick. Nicht, dass TeBe mit 6:0 verprügelt wurde, nein, vielmehr schrammte man denkbar knapp am Aufstieg vorbei. Beim Stand von 2:1 für Oldenburg gab es in der 103. Spielminute einen Elfer für die Berliner. Taskin Aksoy verwandelte und TeBe war auf der Schwelle zur 2. Bundesliga. Nix da! „Nich freun!“, hieß es. Der Elfmeter musste Dank Dr. Markus Merk wiederholt werden - und dieses Mal verschoss Aksoy vom Punkt aus. War das bitter!

„Nich freun!“ So heißt ein Kapitel in der frisch aus dem Druck gekommenen „Tennis Borussia Berlin Fußballfibel“, die Daniel Stolzenbach gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern geschrieben hat. Ab Seite 97 ist einiges von Martin Hoffmann und Mirko Niehoff zu lesen, was die die turbulente Zeit in den 90ern betrifft. Arg war war die Zeit für die TeBe-Fans in der Höllen-Liga Regionalliga Nordost, die an anderer Stelle auch als Gruselkabinett bezeichnet wird. Für die lila-weiße Anhängerschaft wurden die Auswärtsfahrten zu einem echten Spießroutenlauf. Entgegenschlagender Hass in der Alten Försterei, Steine werfende Chaoten in Cottbus, Reiterstaffeln in Leipzig und Dresden.

 

Und dann das Scheitern in Oldenburg. Tränen im Bus. Rittersport-Schokolade mit Keks als Trostpflaster. Eine neue Runde Horror-Liga. Immerhin wurde die Fanszene etwas größer, Kontakte wurden unter anderen mit den Fans von Türkiyemspor geknüpft. Das Ganze wurde bunter, offener und lebendiger. Der Ruf von den Schnöseln mit der „enorm ungeilen Jack-White-Playlist“ konnte ein stückweit abgelegt werden. Dank der Göttinger Gruppe ging es auch sportlich aufwärts. 1998 durfte der Aufstieg in die 2. Bundesliga gefeiert werden. Dem nicht genug, wurde am 28. Oktober 1998 ein denkwürdiger 4:2-Sieg im DFB-Pokal gegen Hertha BSC eingefahren. Vor über 40.000 Zuschauern ließen es Ilija Aračić (2x) Francisco Copado und Kreso Kovacec gegen den Erstligisten krachen. Plötzlich war TeBe in aller Munde - und das nicht nur sportlich. In der „match live“ durfte man auf abgedruckten Farbfotos die Choreo der TeBe-Fans bestaunen. Auf vier mächtigen Stoffbahnen - eine ähnliche Choreo gab es kurz zuvor bei 1860 München - waren die vier großen Buchstaben zu sehen. TEBE. Das Ganze in fettem Lila auf Unterhosenweiß.

Kurioserweise gab es in der folgenden Saison schon wieder ein Aufeinandertreffen im DFB-Pokal. Das Duell der dritten Runde wollten 23.300 Zuschauer im Olympiastadion sehen, und bereits nach vier Minuten brachte Uwe Rösler die Lila-Weißen in Führung. Am Ende musste sich TeBe mit 2:3 nach Verlängerung geschlagen geben. Aus der kühnen Vision, dass Tennis Borussia Berlin mit dem Trainer Winnie Schäfer schon recht bald in der Champions League spielen würde, wurde nix. Die Göttinger Gruppe geriet in Schieflage und stieg letztendlich bei TeBe aus. Eine Lizenz gab es nicht von Seiten des DFB, es ging runter in die Regionalliga Nord und ein Jahr später in die NOFV-Oberliga Nord.

 

TeBe spielte von 2001 bis 2009 in der Oberliga, schnupperte 2009/10 noch einmal Regionalliga-Luft und stürzte dann in die Verbandsliga ab. Am End der Saison 2010/11 scheiterte TeBe in der Abstiegsrelegation gegen den Süd-Vertreter SC Borea Dresden und musste nun ganz kleine Brötchen backen. Erfreulich: Die TeBe-Fanszene war inzwischen um einiges größer als damals zu Zweitligazeiten. „Im Neunerbus nach Wattenscheid, aber mit 200 Leuten zum TSV Rudow. Was davon schöner ist, muss jede / jeder für sich selbst beantworten - eins ist sicher: das Beste aus beiden Welten, mit 200 Leuten in der Zweiten Liga nach Wattenscheid, wird es wohl nicht geben. Das liegt aber zunächst mal an Wattenscheid …“ Mit diesen Worten endet das besagte Buchkapitel über die 90er Jahre.

 

Was das Buch betrifft: Ich nahm die lila-weiße Fußballfibel zuerst bei einem Glas Wein mit auf den Balkon und anschließend las ich diese gleich weiter in der warmen Wanne. Was soll ich sagen? Ich war begeistert! Vor allem die Episoden aus den 90er Jahren ließen im Geiste noch einmal alles Revue passieren. So vieles wurde auf den Punkt gebracht, und es ist spannend, mal alles aus der Sicht von TeBe-Fans zu lesen. Ich saugte die abgedruckten Spielberichte von 1996 bis 2000 aus dem Fanzine Victory auf. Auswärts in Erfurt, Dresden und bei Union. Mal mit Sakko und Krawatte - Que sera, sera, die Borussen sind wieder da, mit Krawatte wie jedes Jahr, que sera, sera … , mal mit Perücken. Federboas und Strapsen. Was müssen die Cottbuser gekiekt haben, als aus dem Gästeblock das „Wir vögeln Euch alle!“ und das „Wir sind TeBe, wir sind TeBo und wollen in euren Po!“ ertönte. Die Beleidigungen von der Heimseite liefen ins Leere, nach dem Spiel ließ man die TeBe-Fans sogar ungehindert zu ihrem Bus laufen. Und das zum ersten Mal! 

Die TeBe-Fußballfibel kommt mit ihren 214 Seiten recht dick daher, und der Autor Daniel Stolzenbach tat gut daran, möglichst viele Leute zu Wort kommen zu lassen. Somit ergeben sich abgeschlossene Kapitel, und je nach Belieben können dann halt beim Lesen einzelne Abschnitte, die einen nicht besonders interessieren, einfach weggelassen werden. Überflogen habe ich ich sämtliche Texte, doch waren es in meinem Fall die Kapitel über die alten Zeiten, die mich wirklich gefesselt haben. So fand ich das Interview mit Lutz und Denis grandios, die in den 80er Jahren zur Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin gingen und nach deren Konkurs im Frühjahr 1992 zu TeBe wechselten. So legte die damalige Auflösung von BW 90 ganz klar den Grundstein für die heutige TeBe-Fanszene, die zu jenem Zeitpunkt quasi nur aus dem Fanclub Germany bestand. Wieder mal was dazu gelernt!

 

Kurzum: Man muss wahrlich kein TeBe-Fan sein, um dieses Buch zu mögen. Für die Erweiterung des eigenen Fußballhorizonts ist dieses Buch wirklich ideal. Daniel Stolzenbach wollte in seinem Buch darstellen, wie TeBe wirklich ist - und das ist ihm außerordentlich gut gelungen. Eine klare Kaufempfehlung von mir! 

Info: Am Donnerstag, den 15. September 2022 signiert Daniel Stolzenbach die „Tennis Borussia Fußballfibel“ von 16 bis 19 Uhr in der Ventil Verlagsbuchhandlung in der Florastraße 34B in Berlin Pankow.

Fotos: TeBe Fußballfibel, Marco Bertram, Felix

> Tennis Borussia Fußballfibel bei Amazin (Werbelink)

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
14 September 2022

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