Sie ist seit 2016 als deutsche Diplomatin für das Auswärtige Amt im Generalkonsulat Sao Paulo/Brasilien tätig und war vorher schon in Schottland, Äthiopien und Pakistan unterwegs gewesen. Die gebürtige Heidelbergerin übt ihre Tätigkeit insgesamt schon seit 2010 aus und nach drei Jahren in Islamabad wurde sie nach Sao Paulo versetzt. Wie hat sie nun den Weg zum professionellen Frauen-Radsport gefunden und wie vereinbart sich das mit ihrer doch sehr anspruchsvollen Tätigkeit?
Nadine Michaela Gill: Newcomerin in Sachen Frauen-Radsport
„Ich war in der Schülerklasse Mountainbikerin beim TV Mosbach, habe aufgrund von Rückenschmerzen im Alter von 16 Jahren aufgehört und dann mit dem Laufen begonnen. Nach einem Jahr Leichtathletik mit deutschem Jugendrekord im Halbmarathon im Jahre 2007 und später den Boston Marathon in 2017 mit einer Zeit von 2:47 Stunden war ich bis 2018 –immer wieder abhängig von Abitur, Beruf und viel Verletzungspech- läuferisch aktiv. Insgesamt drei Ermüdungsbrüche führten im Sommer 2018 zur Zwangspause, so dass ich aus Gründen der Fitness auf das Rennrad umstieg und eine Ausschreibung eines Radrennens in Sao Paulo nutzte und sofort dieses Rennen gewann. Ich hatte Blut geleckt und mein Körper funktionierte wieder“, erzählt die sympathische Quereinsteigerin.
Zunächst war sie bei den Gran Fondos überwiegend in Brasilien am Start, bevor sie beim Giro delle Marche im September 2019 ihr erstes UCI-Rennen absolvierte. Das dreitägige Rennen beendete sie auf einem tollen 7. Platz der Gesamtwertung, nachdem sie zuvor auf Platz 5 auf der ersten und auf Platz 9 auf der dritten Etappe gelandet war. Über einen Bekannten bekam sie die Möglichkeit, als Gastfahrerin in einem kleinen spanischen Team zu fahren und diese Gelegenheit nutzte sie mit einem 20. Platz beim Klassiker Durango-Durango Emakumeen Saria in diesem Jahr als Amateurfahrerin gegen Annemiek van Vleuten und Anna van der Breggen und Co., der ihr zu einiger Aufmerksamkeit verhalf.
Ein Zweijahresvertrag für die Saison 2020 bzw. 2021 beim spanischen UCI Women’s Continental Team Bizkaia Durango folgte und in diesem 17-köpfigen Team aus sieben Nationen, u.a. Elizabeth Holden aus Großbritannien und Alice Maria Arzuffi aus Italien, fühlt sie sich wohl und strebt weitere Erfolge an.
„Für Hobbys bleibt mir derzeit bei einer 41-Stundenwoche im Beruf keine Zeit. Ich trainiere um fünf/sechs Uhr morgens vor der Arbeit und wenn mir dann tatsächlich noch Zeit bleibt, gehe ich gern in die Berge. Ab Januar 2021 werde ich temporär beurlaubt und kann mich dann voll auf den Radsport konzentrieren, was nach sieben Jahren auch mit der Rückkehr in die Heimat verbunden ist. In Zukunft möchte ich mich in der Welt des Profiradsports etablieren, verbunden mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen. Geplant war eigentlich Marathon, aber mir scheint, dass ich auf dem Rad mehr Talent und vor allem Spaß habe“, ist Nadine Gill durchaus optimistisch.
Jetzt gab sie einen vielversprechenden Einstand beim Giro d’Italia Internazionale Femminile, ein über neun Etappen führendes, superschweres Rennen, das sie auf dem 33. Rang der Gesamtwertung beendete, damit immerhin so starke Fahrerinnen wie die Italienerin Elena Cecchini oder ihre deutschen Kolleginnen Lisa Brennauer und Lisa Klein hinter sich lassend. Von den insgesamt nur vier deutschen von insgesamt 138 Teilnehmerinnen war nur Liane Lippert vom Team Sunweb besser platziert, die Platz 13 belegte. Für Nadine Gill war dieser Giro dennoch eher ungünstig, was sie wie folgt begründete: “ Die Etappen glichen eher Klassikerrennen, während meine Stärken vor allem bei langen Anstiegen liegen. Das Rennen war auch sehr hektisch für mich, da ich wenig Erfahrung bei Positionskämpfen habe und das Feld am Ende der Etappen jeweils noch sehr groß war. So konnte ich nicht wirklich zeigen, was ich drauf habe, aber Radsport ist nicht nur Power in den Beinen“.
Die 8. Etappe war für Nadine Gill prägend, als sie ihre Top-20 Platzierung in der Gesamtwertung innerhalb kurzer Zeit verspielte. „Der hintere Teil des Feldes fiel abrupt an einer Windkante ab, danach war ein Zurückkommen in die Gruppe unmöglich. Es war für mich eine schmerzhafte, aber auch wichtige Lektion und dennoch super schade, dass die gute Arbeit bis dahin nicht belohnt wurde“, war sie schon ein wenig enttäuscht.
Aber ihre in dieser Saison gezeigten Leistungen haben sie immerhin ins vorläufige Aufgebot für die kommende Straßenweltmeisterschaft in Imola gebracht, was sie durchaus stolz macht. „Ich weiß aber auch, dass ich noch ganz am Anfang meiner Radsportkarriere stehe und viel lernen muss. Ich habe als noch Berufstätige keine Eile, bin natürlich glücklich über die Nominierung, aber Olympia im nächsten Jahr gibt es ja auch noch“, gab sie abschließend zu Protokoll.
Wünschen wir Nadine Gill für ihre weitere Karriere alles Gute. Den Grundstein für weitere Erfolge hat sie in dieser durch die Corona Pandemie verkürzten Saison jedenfalls gelegt. „ Der Giro verlief nicht ganz so, wie ich mir vorgestellt habe, aber als Anfängerin konnte ich unglaublich viele Erfahrungen mitnehmen“, stellte sie fest und war am Ende nicht ganz zufrieden. Für uns war ihre Vorstellung in Italien bemerkenswert und so glauben wir, dass wir von ihr noch in Zukunft einiges erwarten können.
Bericht: Bernd Mülle
Fotos: Arne Mill (frontalvision.com)
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