× Forum zu aktuellen und wichtigen Ereignissen in Politik und Gesellschaft. Diskussionsbereich zu allen Kommentaren der Artikel unter www.turus.net/gesellschaft

EU verhindert Stürmung der Schweizer Botschaft in Tripolis

18 Mär 2010 14:23 #13824 von kalleman
** This thread discusses the content article: EU verhindert Stürmung der Schweizer Botschaft in Tripolis **

Dramatische Stunden in Tripolis. Eine Art menschlicher Schutzschild von EU-Diplomaten verhinderte in der Nacht vom 21./22. Februar die Erstürmung der Schweizer Botschaft in Tripolis. Hintergrund ist der seit zwei Jahren schwellende Konflikt zwischen Libyen und der Schweiz. Ausgelöst hatte den Konflikt die Verhaftung von Muammar Gaddafis Sohn Hannibal und dessen hochschwangeren Frau in einem Genfer Luxushotel. Was sich damals, im Sommer 2008, genau abspielte, ist nicht ganz klar.





Gemäss Medienberichten bemerkten Hotelangestellte, dass das Dienstpersonal der Gaddafis Spuren von grässlichen Misshandlungen auf ihrem Körper trugen. Die Polizei wollte Hannibal verhören, wurde aber von Hannibals Bodyguards daran gehindert. Daraufhin stürmte die Polizei das Hotelzimmer, Gaddafis Sohn wurde in Handschellen abgeführt. Ein Gaddafi im Gefängnis! Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass Vater Muammar, der Staatschef von Libyen, vor Zorn bebte. Dass dann noch eine Genfer Zeitung die Polizeifotos von Hannibal im Sträflingskleid veröffentlichte, muss für den Gaddafi-Clan unerträglich gewesen sein. Warum die Fotos an die Öffentlichkeit gelangten, ist Gegenstand von Spekulationen.

Das Dienstpersonal der Gaddafis erhob Anklage gegen Hannibal und dessen Frau wegen schwerer Körperverletzung, das Ehepaar wurde dann gegen Kaution freigelassen. Ein paar Wochen später zogen die Kläger ihre Anklage gegen Hannibal zurück, wahrscheinlich gegen eine hohe Geldzahlung. Sie leben nun mit einer neuen Identität an einem unbekannten Ort. Muammar Gaddafi verlangte von der Schweiz Genugtuung: Die offizielle Schweiz müsse sich für die Verhaftung entschuldigen und bestätigen, dass die Verhaftung falsch gewesen sei. Die beteiligten Polizisten müssten aus dem Dienst entlassen und verurteilt werden. Die Eidgenossenschaft solle Hannibal finanziell entschädigen. Die Veröffentlichung der Polizeifotos müsse strafrechtliche Folgen haben. Die Schweiz verwies auf den Rechtsweg.

Daraufhin versuchte Libyen den Druck auf die Schweiz zu erhöhen. Libysche Vermögen wurden aus der Schweiz abgezogen, die Öl- und Gaslieferungen eingestellt. Der Schweizer Fluggesellschaft wurde das Landerecht in Tripolis entzogen, Schweizer Firmen des Landes verwiesen. All dies brachte aber nicht viel, die Beziehungen Schweiz-Libyen waren unbedeutend. Gaddafi liess es aber nicht dabei bewenden. Er verhaftete zwei Schweizer Bürger, welche in Tripolis arbeiteten, wegen angeblicher Verstösse gegen libysche Einreisebestimmungen. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt wurden die Geiseln der Schweizer Botschaft übergeben, sie durften aber das Land nicht verlassen. Es gab danach diverse diplomatische Vorstösse ohne Fortschritt. Mit den Geiseln wurde ein Katz- und Mausspiel veranstaltet.

Die Schweizer Regierung machte zu Beginn des Konflikts eine erbärmliche Figur. Höhepunkt bildete der im Volksmund genannte „Kniefall von Tripolis“, als Bundespräsident Merz zu einem – ich würde dies als politischen Amoklauf bezeichnen - Sololauf ansetze und sich in Tripolis bis auf die Knochen blamierte. Danach fing sich die Regierung aber und unter Aussenministerin Calmy-Rey kam wieder Bewegung in die Sache: Das Alpenland verhängte im Sommer 2009 gegen rund 180 Libyer eine Einreisesperre, darunter Freunde und Mitglieder der libyschen Herrscherfamilie. Und diese Massnahme verfehlte ihre Wirkung offenbar nicht. Denn die Schweiz ist Mitglied des Schengen-Raums und somit gilt diese Einreisesperre für alle Schengen-Länder.

Die libysche Oberschicht weilt gerne in Europa, ihre Kinder besuchen europäische Schulen, Universitäten und Krankenhäuser. Besonders Gaddafis Sohn Saif soll sich gedemütigt gefühlt haben, weil er weder ans World Economic Forum noch an die Berlinale reisen konnte. Und so schmiedeten die Gaddafis einen neuen Plan. Libyen wollte die EU in den Konflikt hineinziehen und hoffte, dass Europa aufgrund ihrer Interessen (Wirtschaft und Migration) die Schweiz zwingt, die Einreisesperren aufzuheben. So verhängte Libyen kurzerhand eine Einreisesperre für alle Personen aus dem Schengen-Raum, welche in Libyen einreisen wollen. Italien und Malta, welche enge Beziehungen zu Libyen pflegen, ergriffen sofort Partei für Libyen und forderten die Schweiz in ziemlich harschem Ton auf, im Sinne Libyens nachzugeben. Die EU aber solidarisierte sich mit der Schweiz, welche nicht daran denkt, die Sperre aufzuheben. Die Union sah sich gezwungen, im Konflikt zu vermitteln.

Die Situation spitze sich in den letzten Wochen dramatisch zu. Die Geiseln warteten seit Monaten auf ihren Prozess, der immer wieder verschoben wurde. Doch plötzlich ging alles ganz schnell. Es ist klar, dass dies politische Prozesse sind mit hoher Symbolwirkung. Eine Geisel wurde vor Gericht denn auch freigesprochen, die zweite Geisel zu einer Haftstrafe von vier Monaten verurteilt. Warum Libyen kurz darauf die Situation derart eskalieren liess, bleibt rätselhaft. Polizeitrupps umstellten die Botschaft und forderten die Schweizer Vertretung ultimativ auf, die verurteilte Geisel auszuliefern, sonst würde die Botschaft gestürmt werden. Der Schweizer Botschafter weigerte sich, dass Ultimatum zu erfüllen, da dafür die Rechtsgrundlage fehlte. Als Vertreter der EU-Niederlassungen in Tripolis von der bevorstehenden Erstürmung der Botschaft erfuhren, begaben sich darauf unverzüglich in die Schweizer Botschaft und verhinderten so deren wahrscheinliche Erstürmung. Die Geisel stellte sich am Nachmittag den libyschen Behörden.

Offenbar lag bereits ein Kompromissvorschlag vor. Die Schweiz und Libyen sollten ihre Einreisesperre aufheben. Libyen liesse die beiden Schweizer ausreisen. Ein unter der Aufsicht von Deutschland eingesetztes Schiedsgericht solle die Vorgänge im Genfer Hotel vom 15. Juli 2008 untersuchen. Die offizielle Schweiz sollte ihr tiefes Bedauern über die Veröffentlichung der Polizeifotos von Hannibal äussern und die Strafuntersuchung der Genfer Behörden über diese Veröffentlichung solle rasch abgeschlossen werden. Gaddafi verweigerte aber die Unterschrift unter das Dokument. Gleichzeitig liess Libyen eine Geisel ausreisen. Es ist unklar, ob man am Ende des Konfliktes steht oder vor einer Eskalation. Aus Libyen kommen unterschiedlichste Signale. Es liegt aber auf der Hand zu glauben, dass Gaddafi den Kompromissvorschlag als weitere Demütigung empfinden muss. Dass niemand für die Verhaftung seines Sohnes zur Rechenschaft gezogen wird, muss ihm unerträglich vorkommen. Gut vorstellbar, dass er für die Geisel ein hohes Lösegeld verlangt.

Kürzlich rief Muammar Gaddafi zum heiligen Krieg gegen die Schweiz auf, gleichzeitig besuchte Hannibal medienwirksam die Schweizer Geisel im Gefängnis. Vor der Schweizer Botschaft kam es zu Demonstrationen, gleichzeitig plädierte Sohn Saif für eine Öffnung des Landes. Schliesslich erneuerte Gaddafi sein Embargo gegen die Schweiz. Gaddafi bleibt unberechenbar.

Bitte Anmelden oder Kostenlos registrieren um der Konversation beizutreten.

18 Mär 2010 14:23 #13825 von uhuplus
früher war zwar nicht alles besser, aber da hätte man die Geiseln mit dem Panzerschiff nach Hause gefahren.

Bitte Anmelden oder Kostenlos registrieren um der Konversation beizutreten.