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Unterwegs im Banditenland: Das nordirische County Armagh

16 Aug 2010 09:22 #15153 von Marco
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Banditenland? Wilder Westen? Eher der wilde Norden. Genauer gesagt: Der aufrührerische Süden von Nordirland. Die historische Grafschaft Armagh, die zur Provinz Ulster gehört. Wie sollte es auch anders sein? Der schlechte Ruf eilt Nordirland meilenweit voraus. Die "Troubles" in den 60er, 70er und 80er Jahren, Bombenterror, IRA, gewalttätige Auseinandersetzungen. Zwar ist es nach dem Friedensabkommen im April 1998 in Belfast, Derry, Newry und den anderen nordirischen Städten weitaus ruhiger geworden - doch noch immer schwelt der Konflikt. Die nordirische Gesellschaft ist geteilt - und das ist in vielen Städten Nordirlands mehr als offensichtlich. Strikt abgetrennte Viertel, gehisste Flaggen und Parolen sowie politische Wandgemälde (Murals).






Nordirische Polizeikasernen sehen noch immer aus wie Hochsicherheitsgefängnisse oder NATO-Camps in Bagdad oder Afghanistan. Und das nicht ohne Grund, erst neulich detonierte eine 200-Pfund-Bombe in einem gekaperten Taxi vor einer Polizeistation in der Innenstadt von Derry / Londonderry. Eben diese Stadt nahe der nordirisch-irischen Grenze, die Hauptstadt Belfast und das County Armagh südlich des Lough Neagh - das sind noch immer die Hotspots Nordirlands. In die Schlagzeilen gerieten und geraten Derry und Belfast derzeit auf Grund der gewalttätigen Ausschreitungen, die am Rande der so genannten Oranier-Märsche immer wieder aufkommen.

Während man als Festlandeuropäer eher nur Derry / Londonderry und Belfast aus den Nachrichten kennt, bleibt die historische Grafschaft Armagh eher ein rätselhaftes Geheimnis. Es ist zu lesen, dass die südliche Region von Armagh als Banditenland bezeichnet wird. Die dortigen, überwiegend katholischen Bewohner wollen sich einfach nicht einordnen in das britisch-nordirische System. Das hügelige South-Armagh - eine Gegend, in der sich Verbrecher verstecken und Anhänger der Real-IRA und anderer Gruppierungen ihr Unwesen treiben? In Reiseführern wird diese Region meist ausgeklammert, die Suche bei Wikipedia führt meist ins Leere, zumindest bei der deutschsprachigen Version. Die Stadt Lurgan? In deutschen Irland-Reiseführern und bei der deutschsprachigen Wikipedia eine Fehlanzeige. Um sich ein Bild vom County Armagh machen zu können, muss man sich definitiv selbst auf den Weg machen, und was bietet sich da besser an, als einen Mietwagen zu nehmen?

Startpunkt Dublin. Im Nutzungsvertrag steht geschrieben, dass Grenzwechsel zu Nordirland kein Problem sind. Das ist wichtig und nicht bei allen Autovermietungen selbstverständlich! Mit dem Kleinwagen geht es über Omagh und Enniskillen nach Sligo an der westirischen Küste. Weiter hoch in den Norden nach Letterkenny und Derry - doch dazu später in einem anderen Beitrag mehr... Auf Schnellstraßen und kleinen verwegenen Landstraßen führt die Route zum Lough Neagh, dem mit Abstand größten See der irischen Insel. Bei Antrim lässt es sich direkt am See auf einem Campingplatz sicher und preiswert aushalten. Gleich gegenüber befindet sich jedoch ein gespenstisches Gelände, das an einen James-Bond-Film erinnert. Direkt an einem kleinen Fluss liegt ein extrem eingezäuntes und kameraüberwachtes Hochsicherheitsobjekt der Polizei oder des Militärs - genau erkennbar war es nicht. Noch günstiger kann man auf dem Campingplatz bei Lurgan nächtigen - vorausgesetzt man hat im Kofferraum ein Zelt dabei. Wenn nicht, kann man jedoch vor Ort ein Tipi mieten. Gleich neben dem Campingplatz befindet sich ein netter Yachthafen und nachts kann es schon mal vorkommen, dass die nordirische Polizei mit Helikopter alles abfliegt.

Die Städte Lurgan, Craigavon und Portadown liegen sehr dicht beieinander. Am sehenswertesten ist wahrscheinlich Lurgan, denn dort ist die für nordirische Städte so typische Teilung und Abgrenzung am deutlichsten zu sehen. Am Church Place teilen sich die Wege. Dort die protestantische, pro-britische Market Street und dort die katholische, pro-irische North Street. Hier britische Flaggen und Wappen, dort die Wimpel in den irischen Nationalfarben. Von der Architektur her ist die Stadt Armagh besonders sehenswert. Man hat dort einiges getan, um Besucher zu locken. Die Innenstadt wurde wirklich liebevoll saniert und die großen Kirchen und Kathedralen sind eine Besichtigung wert.

Spannend wird es, wenn man nun mit dem Auto in die südlichen Teile des County Armagh fährt. Man sollte beides dabei haben. Eine gute Landkarte für den Gesamtüberblick und ein Navigationsgerät mit der aktuellsten Kartenversion. Rund um Keady, Belleek und Crossmaglen gibt es weitaus mehr kleine Wege und Straßen als auf guten Landkarten eingezeichnet sind. Ein gutes Navi kennt sie jedoch alle - fast alle. Bei Altnamackan, eine nordirische Ortschaft in unmittelbarer Grenznähe wird wieder einmal nach dem genauen Grenzverlauf gesucht. Wer spektakuläres erwartet, der wird schwer enttäuscht. Die Grenze zwischen Nordirland (Großbritannien) und der Republik Irland ist mittlerweile eine komplett grüne Grenze. Wer sie finden möchte, der muss etwas genauer hinschauen. Erkennbar ist sie auf den Straßen auf dem zweiten Blick. Ein leichter Asphaltwechsel, hier gelbe  und dort weiße Fahrbahnmarkierungen, und die unterschiedlichen Straßenschilder. In der Republik Irland sind die Geschwindigkeitsangaben in km/h, in Nordirland in miles/h angegeben.

Kleine Brücken, Flüsse und Bäche markieren den Grenzverlauf, häufig verläuft er jedoch auch recht willkürlich über Wiesen und Felder. Weitläufige Hügel, verwinkelte Wege und einsame Grundstücke prägen das Antlitz von South Armagh. Alles wirkt friedlich. Friedlich? Doch kein Banditenland? Halt! Im Dunkeln möchte man sich dort nicht verfahren. Noch weniger möchte man nach Dunkeleinbruch in den Ortschaften Cullaville und Crossmaglen landen. Radikaler geht es wohl kaum. Kaum an einem nordirischen Fleck wird so offen die irische Flagge gehisst wie dort nahe der Grenze. Politische Parolen an Plakaten und Gebäuden zeigen, was man von Nordirland hält. Geht man durch Crossmaglen, so drückt es einem recht bald ganz mulmig auf den Magen. Fotografieren - nur sehr ungern. Die nahe Polizeikaserne zeigt noch die Brandspuren der letzten Autobombe. Allein in Crossmaglen wurden innerhalb der letzten 30 Jahre 20 britische Soldaten erschossen. Das klingt gar nicht gut. Kein Ort zum Verweilen, ein Ort mit einem ganz schlechten Charma. In der Tat, so einige Ortschaften in Grenznähe wirken sehr skurril. Auch Jonesborough ist so ein Beispiel.

Wer sich fragt, wie die nordirische Polizei bei solch einer offenen, grünen Grenze alles in den Griff bekommt, dem sei folgendes gesagt: So ziemlich jeder Ort wird von Kameras überwacht, jede größere Kreuzung und Abfahrt wird permanent mit Hilfe dieser Kameras beobachtet. Erst neulich hat die nordirische Polizei einen nagelneuen Helikopter bekommen, mit den modernsten Infrarotkameras, die derzeit auf dem Markt sind. Die nordirischen Sicherheitskräfte haben aufgerüstet und ihre Taktik geändert, denn wirklich Ruhe und Frieden herrschen in Nordirland noch immer nicht. Unter der scheinbar ruhigen Decke schwelt es immer noch, und das ganz heftig...



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16 Aug 2010 09:22 #15154 von Gregor
Danke für den kleinen Einblick in die nordirische Sache. Wird es in Zukunft auch mal Berichte über das Baskenland, Korsika und Moldawien geben? Ich habe schon mal nachgeschaut, über den Balkan habt Ihr bereits einiges gemacht! ich werde einfach hin und wieder mal vorbeischauen!
VG Gregor

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16 Aug 2010 12:41 #15155 von slogan_81
Diese Terroristen in Nordirland wollen einfach nicht begreifen, dass Nordirland ein legtimer Bestandteil Grossbritanniens ist.

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24 Aug 2010 17:34 #15195 von Tom
@slogan_81: Es sind wohl eher die Briten, die das Land dort besetzt und terrorisiert haben.

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15 Okt 2010 22:31 #15555 von Juri69
Man sollte sich mal mit der irischen Geschichte befassen. Die Iren haben kein Land besetzt.Ist ja gerade aktuell schau Dir mal den Film "Bloody Sunday" an. Es ist echt erschütternd was die Briten sich da geleistet haben und das geht ja seid Jahrhunderten so.David Cameron hat sich nicht umsonst beim irischen Volk entschuldigt. Also mal bißchen was drüber lesen.
Juri 69

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