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Nicht drin was drauf steht: Irreführung der Verbraucher darf weitergehen

03 Nov 2010 21:26 #15663 von turusv15
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Die Supermarktregale sind voll von Fruchtjoghurts ohne Früchte, von Schokoladenpuddings mit nur einem fast vernachlässigbaren Kakao-Anteil und von zusammengeklebten Fleischstücken, die ohne weitere Hinweise als Schinken verkauft werden. Festgelegt werden diese Hinweise im so genannten Deutschen Lebensmittelbuch von der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission.





Die Kommission wird beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gebildet. Ihr gehören 32 Mitglieder in gleichem Verhältnis aus den Kreisen der Wissenschaft, der Lebensmittelüberwachung, der Verbraucherschaft und der Lebensmittelwirtschaft an. Aufgabe der Kommission ist die Erstellung von sogenannten Leitsätzen, die im Deutschen Lebensmittelbuch zusammengefasst sind. Diese Leitsätze beschreiben Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln. Ihnen kommt im Rechtsverkehr eine große - faktische - Bedeutung zu, weil sie von den Gerichten als "Sachverständigengutachten von besonderer Qualität" eingestuft werden.

Wie die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission nun genau arbeitet und nach welchen Gesichtspunkten sie entscheidet, dies wollte die Verbraucherorganisation foodwatch in Erfahrung bringen – und zwar gerichtlich.Gestützt auf das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) hatte der Verein Einsicht in die Protokolle der Kommission begehrt. Diesen Antrag hatte die Kommission mit dem Argument abgelehnt, sie sei keine Behörde im Sinne des IFG. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgelehnt: Die Kommission sei zwar eine Behörde, sie könne sich aber auf den Versagungsgrund des § 3 Nr. 4 IFG (besonderes Amtsgeheimnis) berufen.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung im Ergebnis bestätigt. Es hat sein Urteil allerdings auf den Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 b IFG (Vertraulichkeit der Beratung von Behörden) gestützt, durch den eine offene Meinungsbildung und eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung gewährleistet werden solle. Ohne den Schutz der Vertraulichkeit bestehe die Gefahr, dass bei zukünftigen Beratungen die notwendige Atmosphäre der Offenheit und Unbefangenheit fehle. Die Kommissionsmitglieder könnten einem Druck durch die (vermeintlichen) Erwartungen der von ihnen repräsentierten Kreise oder der Öffentlichkeit ausgesetzt sein. Soweit es um die in den Protokollen enthaltenen bloßen Beratungsergebnisse ging, hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung foodwatch die Einsichtnahme in die Protokolle zugesichert. Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen ist Nichtzulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Ein Erfolg für die Nahrungsmittelindustrie, denn laut foodwatch erfährt die Öffentlichkeit weiterhin nicht, wie die Entscheidungsfindung in der Kommission abläuft und welche Interessen von wem mit welchen Argumenten vertreten werden.

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