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Point Alpha - heißer Punkt im Kalten Krieg

17 Nov 2010 13:20 #15731 von Marco
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An der so genannten Fuldaer Lücke befand sich bei Geisa und Rasdorf die US-amerikanische Beobachtungsstation Point Alpha, die zu Zeiten des Kalten Krieges eine äußerst wichtige Rolle im NATO-Verteidigungskonzept gespielt hat. Und das nicht ohne Grund, denn dort befand sich der westlichste Punkt des Warschauer Paktes! Auf der über 1.000 Kilometer langen Wanderung entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze von Prex nach Priwall war das jetzige Grenzmuseum Point Alpha eine der wichtigsten und interessantesten Anlaufstationen. Folgend die Tagebucheinträge von diesem Abschnitt.





Wenige Kilometer nördlich stießen wir auf einen Beobachtungsturm des Typs BT11. Es handelte sich um die schmale, quadratische Bauweise. Diese Türme sahen bedrohlicher aus als die breiteren Türme, die häufig die Funktion einer Führungsstelle inne hatten. Die dritte Version der Beobachtungstürme war der BT11 in der runden Bauform mit dem pilzförmigen Aufsatz, wie er beispielsweise in Mödlareuth anzutreffen war. Diese runden Grenztürme wurden später häufig von den quadratischen Türmen abgelöst.
Der Beobachtungsturm bei Geismar und Wiesenfeld stand inmitten eines Feldes. Fernab jeglicher Straßen und Fahrwege. Auch hier bot sich im Innern ein Bild der Zerstörung. Von außen war der Turm jedoch noch weitgehend in Takt. Eine Lampenfassung hing außen einsam am grauen Beton, und der Zahn der Zeit nagte an einem aufgebrochenen Elektoanschlusskasten.

Der Kolonnenweg war an dieser Stelle komplett zugewachsen. Wir wichen über die Ortschaft Wiesenfeld aus und trafen zwei Kilometer später wieder auf den Grenzverlauf. In der Ferne war bereits das blaue Dach eine Gebäudes des Grenzmuseums Point Alpha auszumachen. Überragt wurde es von einem hohen Fernmeldemast der Deutschen Telekom, von dem wir fälschlicherweise vermuteten, es handelte sich um eine ehemalige Abhöranlage.
Kurz vor dem Point Alpha kam von einer nahen Wiese eine merkwürdig aussehende Gestalt auf uns zugelaufen. Es handelte sich um einen jungen Hirten, der mit dem Stock in der Hand von seiner Schafherde geradewegs zu uns eilte. Der eventuell zwanzigjährige Hirte schien aus einer anderen Welt zu kommen. Es hatte in der Tat den Anschein, als käme er aus einem Bergroman aus der Jahrhundertwende. Seine Kleidung war ärmlich, und als er sprach, bemerkten wir, dass er keine Zähne besaß. Faulende Stumpen ragten aus seinem Zahnfleisch. Er stammelte, dass er von seinem Vater kein Geld für die Hirtenarbeit bekäme, und dass er sich etwas zu trinken kaufen möchte.
Irritiert ließen wir ihn stehen und wanderten weiter. Das Erscheinungsbild des jungen Hirten war erschreckend, und wir befürchteten, dass die Situation problematisch werden könnte, wenn wir ihn mit ein paar Cent abspeisen würden. Mehr Kleingeld hatten wir nicht zur Hand.
»Habe Durst. Vater gibt mir nichts. So heiß. Bitte ein paar Euro für eine Cola ...«

Uns blieb nichts anderes übrig, als entschuldigend mit den Schultern zu zucken und weiterzugehen.
Der Point Alpha war erreicht. Vor dem Eingang des Museums und des Freigeländes standen ein großer, symbolischer Runder Tisch und ein originales Segment der Berliner Mauer, das nur wenige Tage zuvor von Berlin an diesen Ort gebracht und feierlich enthüllt wurde.
Das Grenzmuseum Point Alpha unterteilt sich in drei Abschnitte. Auf thüringischer Seite befinden sich ein neu errichtetes Museumsgebäude und rund dreihundert Meter Sperranlagen, auf hessischer Seite befindet sich das Gelände des eigentlichen Point Alpha.
Zwei Point Alpha-Fördervereine erhalten und pflegen die Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte. Die Gedenkstätte umfasst eine Fläche von 30.000 Quadratmetern auf hessischer und 40.000 Quadratmetern auf thüringischer Seite, wie es im Prospekt der Gedenkstätte nachzulesen ist.

Der Point Alpha war von 1948 bis zur Wende im Herbst 1989 eine der wichtigsten Beobachtungsstationen der US-Streitkräfte in Europa und lag an der sogenannten »Fuldaer Lücke«, an der die NATO im Ernstfall einen Angriff der Truppen des Warschauer Pakts befürchteten.
Im Observation Post Alpha war ein Vorposten des 14. Armored Cavalry Regiments stationiert, das später in 11. ACR Black Horse umbenannt wurde. 1954 wurde am Point Alpha ein erster Holzturm errichtet, von dem man auf die Grenzanlagen und die Stadt Geisa, westlichste Stadt der DDR, blicken konnte. 1985 wurde ein Betonturm gebaut, der auch in der Gegenwart noch erhalten und fester Bestandteil des Grenzmuseums ist. Die anfangs errichteten Wellblechbaracken wurden später durch feste Gebäude abgelöst. Die Einsatzstärke der dort stationierten US-Soldaten lag zeitweilig bei 200 Mann.

Bis zur Grenzöffnung im Herbst 1989 erfüllte der Point Alpha am westlichst gelegenen Punkt des Warschauer Pakts eine wichtige Aufgabe im Verteidigungskonzept des Nordatlantischen Verteidigungsbündnis.
Von einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte wurden wir vor Ort in Empfang genommen und bekamen für die kommende Nacht ein Zimmer in einem Gebäude zugewiesen, in dem früher die US-Soldaten untergebracht waren. Überraschenderweise bekamen wir einen eigenen Schlüssel für das komplett eingezäunte Gelände und das Gebäude, in dem wir schliefen.
»Ihr werdet die Nacht hier allein auf dem Gelände sein. Eventuell ist auch der Hausmeister vor Ort, also nicht erschrecken. Für den Notfall gebe ich euch seine Nummer. Aber ansonsten werdet ihr das Gelände für euch allein haben«, erklärte uns die nette Mitarbeiterin und drückte uns die Schlüssel und den Zettel mit der Nummer in die Hand.
Eine Stunde später wurden wir dem Leiter der Gedenkstätte im »Black Horse Inn« vorgestellt. Er lud uns zu einem Radler ein und erklärte uns die Geschichte des Point Alpha. Die Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war das Gelände des Point Alpha ein Asylbewerberheim. Erst ab 1995 wurde das Gelände wieder hergerichtet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Neben den Ausstellungen und der Freianlage bildeten fortan ein BGS-Helikopter und ein großer Fuhrpark ein Besuchermagnet.
In den folgenden Jahren waren viele prominente Gäste zu Gast am Point Alpha. Die Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Roland Koch, die Bundesjustizministerin a. D. Herta Däubler-Gmelin und der MdB Rainer Eppelmann sind hier hervorzuheben.
Das neu errichtete Museum auf thüringischer Seite hatte auch einige interessante Objekte zu bieten. So hing an einer Wand eine Messingplatte aus dem Jahre 1956.

Am 3. 9. 1956 wurde - Waldemar Estel – Gefreiter der Grenztruppen der NVA in Ausübung seines Dienstes an der Staatsgrenze von Agenten des Imperialismus ermordet. Sein Tod ist uns Verpflichtung.
Das Vokabular kam mir aus meinen Schulzeiten auf der Polytechnischen Oberschule in Berlin-Mahlsdorf wohlbekannt vor. Im Geschichts- und Staatsbürgerkundeunterricht wurde häufig von den westlichen Agenten aus dem imperialistischen Ausland berichtet. Laut dem Lehrplan wurde der »Antifaschistische Schutzwall« errichtet, damit es nicht mehr zu derlei Übergriffen der Agenten kommen konnte.
Weiterhin waren im Museum alte Warnschilder vom Bundesgrenzschutz mit ebenso abstrusen Formulierungen zu sehen: Achtung - Lebensgefahr – Wirkungsbereich sowjetzonaler Minen.

Weiterhin konnte man einen Blick auf den Fahneneid der Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik werfen. Am interessantesten war der letzte Abschnitt, der hier an dieser Stelle wiedergegeben wird:
Ich schwöre: Ein ehrlicher, tapferer, disziplinierter und wachsamer Soldat zu sein, den militärischen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten, die Befehle mit aller Entschlossenheit zu erfüllen und die militärischen und staatlichen Geheimnisse immer streng zu bewahren.
Ich schwöre: Die militärischen Kenntnisse gewissenhaft zu erwerben, die militärischen Vorschriften zu erfüllen und immer und überall die Ehre unserer Republik und ihrer Grenztruppen zu wahren.
Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen, so möge mich die harte Strafe der Gesetze unserer Republik und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen.

Man kann sich vorstellen, wie schwer die Beweislage bei den Prozessen um die Mauerschützen in der Zeit nach 1989 war. Vom Gebrauch der Waffe war kein Wort zu lesen, doch andererseits wurde unbedingter Gehorsam mit dem Fahneneid erzwungen. Wenn der Schießbefehl verbal vom Vorgesetzten  ausgegeben wurde, musste diesem Folge zu leisten sein.
Interessanter Höhepunkt war im Museumsgebäude eine nachgestellte Offiziersstube mit sämtlichen Utensilien, die für solch einen Raum notwendig waren. Puppen mit den entsprechenden Uniformen, Tische mit dem typischen DDR-Furnier, eine Lampe, ein Wimpel, ein Portrait vom jungen Erich Honecker, ein weißer Spind, Stühle mit braunem Kunstlederpolster, ein Aschenbecher der Grenztruppen, ein graues Standardtelefon und eine detaillierte Landkarte des umliegenden Geländes.
Der Abend und die Nacht gehörten uns allein. Karsten und ich nutzten die Gunst der Stunde und fertigten mit einem kleinen Stativ Nachtaufnahmen von den Grenzanlagen und den Objekten auf dem Point Alpha an. Der aufgehende Mond tauchte das Gelände in ein schwaches Licht, und es war beeindruckend, auf dem Aussichtsturm zu stehen und auf den sich gegenüber befindlichen Beobachtungsturm der Grenztruppen zu blicken. Zu Zeiten des Kalten Krieges konnte man hier an dieser Stelle direkten Blickkontakt zum Gegner aufnehmen.

Die beiden Türme trennten ungefähr zweihundert Meter. Hier befanden sich die Klassenfeinde auf Tuchfühlung. Es wurde beobachtet, gefilmt, fotografiert und mit modernster Technik belauscht. Jegliche Bewegungen auf der einen Seite wurden von der anderen Seite genauestens inspiziert und zur Kenntnis genommen.
Mit leichter Gänsehaut stand ich auf der oberen Aussichtsplattform und blickte auf die vom Mondlicht schwach beleuchteten Grenzanlagen. An dieser Stelle hätte man glauben können, die Grenze habe noch Bestand. Fehlten nur noch das Bellen der Schäferhunde in der Hundelaufanlage und die untertourigen Motorengeräusche der NVA-Patrouillenfahrzeuge.

> zur turus-Fotostrecke: deutsch-deutsche Grenze

> Infos zur Wanderausstellung "Bereits Gras über der deutsch-deutschen Grenze?

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17 Nov 2010 13:20 #15732 von M. Schulze
Den Fahneneid kenne ich auch noch. Bei mir war´s 1984. Kurz vor Weihnachten. Ich weiß es noch ganz genau, als wärs gestern geschehen.

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