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Polnisches Tagebuch: Anreise nach Cieplice - eine Odyssee

23 Dez 2010 20:00 #15926 von Marco
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Eine Woche im polnischen Niederschlesien. Die familiäre Situation bringt es mit sich, dass ab nun das Weihnachtsfest im steten Wechsel gefeiert wird. Das eine Mal in Berlin, das andere Mal in Cieplice / Jelenia Gora im Vorland des Riesengebirges. Die jetzige Reise nach Polen (das erste Mal zu Weihnachten) gibt die Möglichkeit über die Begebenheiten rund um das Fest zu berichten. Täglich wird es nun im turus-Magazin einen Beitrag zum Leben im polnischen Cieplice geben. Das polnische Tagebuch beginnt heute mit der Anreise, die zu einer wahren Odyssee wurde.





Schauplatz Berlin Hauptbahnhof. Um 9:35 Uhr: Eurocity von Hamburg nach Krakow. Unser Etappenziel - Legnica. Vorher noch rasch einen Kaffee bei einer allseits bekannten Fastfoodkette und dann runter auf Bahnsteig 3. Dort tummelten sich bereits etliche Reisende von Jung bis Alt mit reichlich Gepäck. Polnische Studenten, die über Weihnachten zu ihren Familien fahren, Ehepaare, die einfach nur Urlaub machen wollen, und auch ein paar Leute, die einfach nur den schnellsten Weg nach Cottbus nehmen möchten.

Die Anzeige gibt keine gute Auskunft: Wagen 269 fehlt an diesem Tage. Ein sorgenvoller Blick auf die Reservierung. Glück gehabt. Drei Plätze in Wagen 270. Da der Zug eh nur fünf Waggons hat, scheint die Sache zu einem Desaster zu werden. Ein kurzer Zug, der aus Hamburg kommt, und viel zu viele Menschen auf dem Bahnsteig. Mit zehn Minuten Verspätung rollte der Eurocity ein. Trauben bildeten sich, Unruhe kam auf. Als die Leute merkten, dass eine Tür des Waggons 270 nicht funktionierte, kam Panik auf. An der anderen Tür kam es zu Tumulten. Ein junges polnisches Ehepaar drängte mit Kinderwagen nach vorn - ohne Rücksicht auf Verluste. Mit unserem Baby vorn im Tragesystem bahnte ich den Weg, doch der Kinderwagen versperrte komplett den Weg. Murren, Geschiebe, Wut der Leute. Ich fluchte, sicherheitshalber nur auf portugiesisch...

Nach gefühlten 15 Minuten erreichten wir unsere reservierten Plätze. Auf den dritten Platz verzichteten wir lieber. Jetzt auf ein eigenes Plätzchen für ein neunmonatiges Kind zu beharren, wäre zu dreist. Also Baby auf den Schoß. Vor uns stellte sich jemand komplett stur und wollte seinen Platz nicht hergeben. Das junge Ehepaar, das diesen Platz reserviert hatte, war fast sprachlos. Fast, denn der Umgangston wurde härter.
Und dann das: Eine Durchsage. Der Zugchef weigerte sich loszufahren. Der Zug sei hoffnungslos überfüllt. Was für ein Armutsteugnis der Bahn. Statt einem Zusatzwaggon fehlte sogar einer. Die Leute wurden gebeten, den Eurocity nach Warschau zu nehmen und in Poznan umzusteigen. Erstaunen. Ratlosigkeit. Poznan? Was für ein Umweg.
Nach gewisser Zeit gaben einige Leute jedoch tatsächlich auf und verließen den Zug. Zwar immer noch voll, aber nicht mehr ganz so arg überfüllt, konnte der EC endlich seine Fahrt forsetzen. Nicht im gewohnten Tempo ging es bis Cottbus. Das Resultat: Bereits 70 Minuten Verspätung. Der Anschluss in Legnica würde verpasst werden. Gespräche im Zug, SMS an Freunde. Die Suche nach Alternativen, Ein Hotel in Zary? Anschluss in Wegliniec? In der Tat, in Wegliniec schien was zu gehen. Nach einer Stunde Wartezeit sollte dort ein Bummelzug nach Jelenia Gora kommen. Mit mittlerweile (zur Recht) quengligem Baby ging es mit Sack und Pack auf den Bahnsteig.

Willkommen in Wegliniec. Bahnhof und Ortschaft überraschten sogar meine polnische Partnerin. Das Ganze erinnerte schon sehr an Sibirien, der Schnee tat sein übriges. Im gesamten Bahnhofkomplex gab es nicht eine Ecke, die ein wenig beheizt war. Stattdessen konnte man einen schier gigantisch großen Bahnhofssaal bestaunen, der kalt und leer sein Dasein fristete. Über die für Russland und Osteuropa typische Überführung gelangten wir in die Ortschaft, wo die frisch gemachte Pizza einer Imbissstube positiv überraschte. Weniger erfreulich war später die Durchsage, dass der Zug nach Jelenia Gora mindestens 60 Minuten Verspätung habe. Mindestens. Es konnten auch 120 Minuten werden. Auf dem Bahnhof wusste das niemand so genau. Warten. Verharren. Gespräche mit den wenigen anderen Wartenden. Es wurde dunkel. Das orangefarbene Licht der Laternen verbreitete ein gespenstisches Licht auf die verschneiten Gleisanlagen. Scheinbar das Ende der Welt. Die Zeit schien stehen geblieben. Nein, es kam kein Frust auf. Die Stille des Bahnhofs ließ den Puls langsamer schlagen. Wir alle waren warm angezogen, die Pizza hatte den Magen gefüllt. Nach dem Stress im Eurocity konnte nun nichts mehr schocken.

Mit letztendlich rund 90-minütiger Verspätung rollte der Zug nach Jelenia Gora ein. Alte Waggons, doch mollig warm und auch nicht überfüllt. Spielen mit Baby, weitere Gespräche mit den anderen Reisenden. Zwei Stunden Fahrzeit vergingen nun erstaunlicherweise wie im Fluge. In Jelenia Gora ein Taxi genommen und dann geschwind nach Cieplice (Warmbrunn). Der Taxifahrer fragte, wie die Straßenverhältnisse in Deutschland seien. Schlechter, viel schlechter, war meine Antwort. In Polen darf noch ordentlich Streusalz eingesetzt werden, somit waren alle Hauptstraßen wirklich gut befahrbar. Ohne Probleme wurde das Ziel der Reise erreicht, und nach polnischer Tradition ließ ich mir erst einmal einen Wodka geben, und zwar einen ganz, ganz großen...

(Teil 2 des polnischen Tagebuchs folgt in Kürze)

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Polen

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23 Dez 2010 20:00 #15927 von Marco

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