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Ein echter Gaudi: Zu Fuß unterwegs in deutschen Landen
- Marco
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01 Mär 2011 15:56 #16188
von Marco
Ein echter Gaudi: Zu Fuß unterwegs in deutschen Landen wurde erstellt von Marco
** This thread discusses the content article:
Ein echter Gaudi: Zu Fuß unterwegs in deutschen Landen
**
Wie kann man sein Heimatland am Besten kennen lernen? Richtig: Zu Fuß! Das turus.net-Team hatte dies getan. Rucksack gepackt, Wanderstiefel geschnürt und auf geht´s. Mentalitäten und regionale Besonderheiten - auf einer Tour quer durch Deutschland kann man so einiges erleben. Kuriositäten in Sachen Infrastruktur, Gastronomie und Lebensweise. Über 1.000 Kilometer ging es auf Schusters Rappen quer durch die Republik von Süd nach Nord - dem Verlauf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze folgend. Mal östlich, mal westlich, mal exakt auf dem Kolonnenweg. Folgend ein Tagebucheintrag vom Abschnitt nördlich des Harzes.
Im netten Städtchen Ilsenburg legten Karsten und ich am Marktplatz in einem Café eine Frühstückspause ein. Solch eine gute Gelegenheit eines Frühstücks mit allem drum und dran hatten wir während der Grenz-Tour nicht oft gehabt und deshalb galt es, diese zu nutzen.
In der Speisekarte lockte ein kompaktes Frühstück mit Milchkaffee, Brötchen und Belag zu einem annehmbaren Preis.
»Brötchen haben wir leider noch nicht. Wir waren heute noch nicht einkaufen«, erklärte die Serviererin nach unserer Bestellung.
»Und gibt es etwas anderes zum Frühstück?« fragte ich.
»Wir könnten Toastbrotscheiben machen, wenn es recht ist.«
»In Ordnung, die tun es auch.«
»Wie viel möchten sie denn?«
»Na, wie viel sind denn bei einem Frühstück inklusive Milchkaffee enthalten?«
»Genügen drei Scheiben pro Person?«
»Ja, ist okay.«
Wenige Minuten später kehrte die Serviererin aus der Küche zurück und musste die nächste Hiobsbotschaft vermelden:
»Uns sind Wurst und Käse ausgegangen. Wie gesagt, wir waren heute noch nicht einkaufen. Ich könnte Marmelade und selbstgemachte Wurst in Gläsern zum Toastbrot servieren.«
»Bitte, tun sie das, es ist schon in Ordnung ...«
Aus dem erhofften Frühstück mit allem drum und dran schien nichts zu werden. Die Bestandteile eines solchen Frühstücks fielen nach und nach weg, und auch der Milchkaffee war nicht die schmackhafteste Krönung eines Kaffeegenuss.
Getoppt wurde jedoch das Frühstück, als wir wenig später einen zaghaften Blick in die bereits angebrochenen und verschlossenen Einweggläser mit der Leber- und Grützwurst warfen. In den zu einem Drittel gefüllten Gläsern lachten uns Schimmelkulturen an, die jeder Beschreibung spotteten. Die Frau musste die Gläser bei der verzweifelten Suche nach Beilagemöglichkeiten in den letzten Winkeln der Küche gefunden haben. Bei der Freude, doch noch eine Möglichkeit gefunden zu haben, vergaß sie doch prompt mal einen vorsorglichen Blick in das Innere der Gläser zu werfen.
Da die Serviererin bereits völlig aufgelöst und gestresst erschien, wollten wir ihr das Schlimmste ersparen und machten ihr keine Vorwürfe, dass die Wurst bereits wieder zum Leben erweckt wurde. Wie schraubten sie einfach wieder zu und beließen es bei drei Scheiben Toast mit Honig. Es klingt fast ein wenig übertrieben und dreist, wenn ich jetzt erzähle, dass Karsten neue Scheiben einfordern musste, da die ersten auf der unteren Seite etwas verkohlt waren, aber so ereignete es sich tatsächlich. In einem Ilsenburger Café zu morgendlicher Stunde ...
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Wieder wurden die Karten gewälzt und jegliche Routenvarianten durchgespielt. Es wurde abgewogen und verglichen. Wir einigten uns darauf, von Ilsenburg aus zuerst einer Landstraße nach Veckenstedt zu folgen. Anschließend würden wir vor Ort entscheiden, wie es weitergeht. Der Weg führte durch das Gewerbegebiet über eine stillgelegte Bahnstrecke geradewegs über eine frisch fertiggestellte Autobahn. Die Brücke über die Autobahn war eng und hatte keinen Platz für Fußgänger vorgesehen. Dicht an die Leitplanke gepresst musste man sich vor den vielen LKW vorsehen, die in Richtung Ilsenburg donnerten. Ein vorbeifahrender Polizist schüttelte mit dem Kopf und lächelte.
Das wäre reif für eine Verkehrsmeldung für den Rundfunk in Sachsen-Anhalt gewesen: Zwei Verrückte mit aufgeschultertem Gepäck machen die Landstraße zwischen Ilsenburg und Veckenstedt unsicher. Achtung, es handelt sich um zwei Geistergeher! Bitte weiträumig umfahren!
Am Busbahnhof von Veckenstedt, er nannte sich tatsächlich Busbahnhof, setzten wir uns in ein kleines Wartehäuschen und tranken einen Schluck aus der Wasserflasche. Nach dem reizvollen Abschnitt durch den Harz versprach es an diesem Tag wieder eine monotone Etappe in praller Sonne zu werden.
Mein Blick fiel auf die Schmierereien an den Innenwänden des Wartehäuschen. Die Sprüche und Wortfetzen sprachen Bände: Vick mich / Ich hasse Frau B. aus M. / Kiffen macht Spaß / hab dich lieb / Mumpe stinkt / Veckenstedt stinkt / Jo Baby!
Die Jugend in Veckenstedt war recht wortgewaltig und mitten zwischen den Wortkreationen prangte ein schiefes Hakenkreuz mit doppelten Häkchen. Verkehrt herum und einmal zu viel abgewinkelt.
Es war abstrus, mit einer lauwarmen Wasserbrühe in der Hand in einem jämmerlichen Wartehäuschen irgendwo in Sachsen-Anhalt zu sitzen und Vick mich – Mumpe stinkt zu lesen. Der Schweiß läuft einem von der Stirn, es warten noch gut 20 Kilometer aufgeheizter Asphalt bis zum nächsten Tagesziel und man sitzt an einer stinknormalen, menschenleeren Haltestelle, die sich Busbahnhof schimpft – Jo Baby.
Die kommende Ortschaft hatte auch etwas zu bieten, sie stand Veckenstedt in keinster Weise nach, und wir bereuten es keinesfalls, auch einmal abseits des Grenzstreifens zu wandern. Aus einem kühlen Radler wurde es leider nichts, weil der Gasthof Brauner Hirsch bereits dicht gemacht hatte, jedoch sorgte eine Planungsschild am Ortsausgang für Erheiterung:
Neubau der Schmutzwasserkanali- sation Wasserleben. Man beachte die Trennung, auf der großen weißen Tafel erfolgte genau an dieser Stelle der Umbruch. Nett war natürlich auch die Kombination von Schmutzwasser und Wasserleben.
Insgesamt betrachtet, machten die Ortschaften nördlich des Harzes einen recht traurigen Eindruck. So passte es ins Bild, dass der Braune Hirsch bereits seit Jahren stillgelegt wurde. Nebenan hing noch ein verwittertes, sonnengebleichtes Schild an einem Backsteingebäude und warb für einen Getränkestützpunkt, den es auch längst nicht mehr gab. Das Werbeschild sah typisch für die direkte Nachwendezeit aus, als Getränkestützpunkte und Videotheken wie Pilze aus dem Boden sprossen.
Im Internet hatten wir herausgefunden, dass sich in der kleinen Ortschaft Hessen eine preiswerte Übernachtungsmöglichkeit im dortigen Gasthaus befinden soll. In Anbetracht der letzten unruhigen Nächte beschlossen wir, dieses Gasthaus am Abend aufzusuchen und über Deersheim nach Hessen zu wandern.
In Deersheim kehrten wir am Nachmittag in den dortigen Dorfkrug ein. Die Inneneinrichtung der Gaststätte hob sich angenehm von den zuletzt gesehenen Dorfkneipen ab. Die Räume wurden liebevoll gestaltet, und auch die Gäste waren bunter gemischt, als in vielen anderen vergleichbaren Orten. Im Dorfkrug von Deersheim gingen sämtliche Bevölkerungsschichten ein und aus. Er war kein Treffpunkt von vier, fünf Stammtischtrinkern, sondern ein Ort für sämtliche Anlässe. Ganz gleich, ob für ein Feierabendbier oder eine gemütliche Familienfeier.
Schnell setzte sich ein alter Mann zu uns an den Tisch und fragte nach dem Ziel unser Radtour. Radtour? Wir berichteten von unserem Fußmarsch und konnten uns sogleich glücklich schätzen, von dem Mann zu einem weiteren Bier eingeladen zu werden.
»Das geht auf meine Rechnung. Solche engagierten jungen Leute trifft man schließlich selten!«
Wir sagten höflich Dank und erzählten von weiteren Details unserer Wanderung und der Dokumentation über die verbliebenen Grenzanlagen.
»Das ist wirklich großartig! Wisst ihr schon, wo ihr heute unterkommt?« fragte er und bestellte eine weitere Runde.
»Wir haben ein Zelt dabei. Das bauen wir in aller Regel irgendwo auf einer Wiese auf«, erklärte ich.
»Ist das denn in Deutschland möglich? Gibt es keine Probleme mit den Bauern?« wurden wir gefragt.
»Nein, bis jetzt noch nicht. Im Gegenteil, manchmal wurde uns sogar ein Plätzchen angeboten!«
»Und wo werdet Ihr heute das Zelt aufschlagen? Hier im Ort?«
»Nein, wir möchten noch bis Hessen weiterwandern. Dort soll es ein Gasthaus mit Zimmern geben. Heute wollen wir uns mal eine abendliche Dusche und ein Bett gönnen!«
»Das kann ich gut verstehen. Das muss auch mal sein. Aber ein Gasthaus mit Zimmern in Hessen? – Achim, gibt es im Gasthaus des Nachbarorts Fremdenzimmer?«
»Nicht, dass ich wüsste«, erklang es aus den hinteren Winkeln des Dorfkrugs.
»Seht ihr, woher habt ihr denn die Information?« fragte er uns.
»Aus dem Internet. Aber wenn es dort keine Betten gibt, zelten wir irgendwo hinter der Ortschaft am Mattierzoll.«
»Ihr könnt gern bei mir übernachten. Morgen früh dazu einen frischen Kaffee. Ich habe ein Zimmer frei«, erklärte der nette Mann.
»Vielen Dank, aber bis zur Ortschaft Hessen wollen wir noch, damit wir im Zeitplan sind.«
»Ach, die paar Kilometer. Wie gesagt, bei mir seid ihr herzlich willkommen!«
Das Besitzerehepaar des Dorfkrugs wurde mittlerweile auch aufmerksam auf uns und stellte ganz überraschend zwei große Abendbrotteller auf den Tisch.
»Für Euch, Jungs. Das geht auf´s Haus. Ihr seid herzlich eingeladen. Willkommen in Deersheim, damit ihr diesen Ort in netter Erinnerung behaltet. Schreibt mal eine Karte, wenn ihr in Travemünde ankommt!«
> zur turus-Fotostrecke: Impressionen von der ehemaligen innerdeutschen Grenze
> Hintergründe zur Dokumentation: www.deutsch-deutsche-grenze.de
Wie kann man sein Heimatland am Besten kennen lernen? Richtig: Zu Fuß! Das turus.net-Team hatte dies getan. Rucksack gepackt, Wanderstiefel geschnürt und auf geht´s. Mentalitäten und regionale Besonderheiten - auf einer Tour quer durch Deutschland kann man so einiges erleben. Kuriositäten in Sachen Infrastruktur, Gastronomie und Lebensweise. Über 1.000 Kilometer ging es auf Schusters Rappen quer durch die Republik von Süd nach Nord - dem Verlauf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze folgend. Mal östlich, mal westlich, mal exakt auf dem Kolonnenweg. Folgend ein Tagebucheintrag vom Abschnitt nördlich des Harzes.
Im netten Städtchen Ilsenburg legten Karsten und ich am Marktplatz in einem Café eine Frühstückspause ein. Solch eine gute Gelegenheit eines Frühstücks mit allem drum und dran hatten wir während der Grenz-Tour nicht oft gehabt und deshalb galt es, diese zu nutzen.
In der Speisekarte lockte ein kompaktes Frühstück mit Milchkaffee, Brötchen und Belag zu einem annehmbaren Preis.
»Brötchen haben wir leider noch nicht. Wir waren heute noch nicht einkaufen«, erklärte die Serviererin nach unserer Bestellung.
»Und gibt es etwas anderes zum Frühstück?« fragte ich.
»Wir könnten Toastbrotscheiben machen, wenn es recht ist.«
»In Ordnung, die tun es auch.«
»Wie viel möchten sie denn?«
»Na, wie viel sind denn bei einem Frühstück inklusive Milchkaffee enthalten?«
»Genügen drei Scheiben pro Person?«
»Ja, ist okay.«
Wenige Minuten später kehrte die Serviererin aus der Küche zurück und musste die nächste Hiobsbotschaft vermelden:
»Uns sind Wurst und Käse ausgegangen. Wie gesagt, wir waren heute noch nicht einkaufen. Ich könnte Marmelade und selbstgemachte Wurst in Gläsern zum Toastbrot servieren.«
»Bitte, tun sie das, es ist schon in Ordnung ...«
Aus dem erhofften Frühstück mit allem drum und dran schien nichts zu werden. Die Bestandteile eines solchen Frühstücks fielen nach und nach weg, und auch der Milchkaffee war nicht die schmackhafteste Krönung eines Kaffeegenuss.
Getoppt wurde jedoch das Frühstück, als wir wenig später einen zaghaften Blick in die bereits angebrochenen und verschlossenen Einweggläser mit der Leber- und Grützwurst warfen. In den zu einem Drittel gefüllten Gläsern lachten uns Schimmelkulturen an, die jeder Beschreibung spotteten. Die Frau musste die Gläser bei der verzweifelten Suche nach Beilagemöglichkeiten in den letzten Winkeln der Küche gefunden haben. Bei der Freude, doch noch eine Möglichkeit gefunden zu haben, vergaß sie doch prompt mal einen vorsorglichen Blick in das Innere der Gläser zu werfen.
Da die Serviererin bereits völlig aufgelöst und gestresst erschien, wollten wir ihr das Schlimmste ersparen und machten ihr keine Vorwürfe, dass die Wurst bereits wieder zum Leben erweckt wurde. Wie schraubten sie einfach wieder zu und beließen es bei drei Scheiben Toast mit Honig. Es klingt fast ein wenig übertrieben und dreist, wenn ich jetzt erzähle, dass Karsten neue Scheiben einfordern musste, da die ersten auf der unteren Seite etwas verkohlt waren, aber so ereignete es sich tatsächlich. In einem Ilsenburger Café zu morgendlicher Stunde ...
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Wieder wurden die Karten gewälzt und jegliche Routenvarianten durchgespielt. Es wurde abgewogen und verglichen. Wir einigten uns darauf, von Ilsenburg aus zuerst einer Landstraße nach Veckenstedt zu folgen. Anschließend würden wir vor Ort entscheiden, wie es weitergeht. Der Weg führte durch das Gewerbegebiet über eine stillgelegte Bahnstrecke geradewegs über eine frisch fertiggestellte Autobahn. Die Brücke über die Autobahn war eng und hatte keinen Platz für Fußgänger vorgesehen. Dicht an die Leitplanke gepresst musste man sich vor den vielen LKW vorsehen, die in Richtung Ilsenburg donnerten. Ein vorbeifahrender Polizist schüttelte mit dem Kopf und lächelte.
Das wäre reif für eine Verkehrsmeldung für den Rundfunk in Sachsen-Anhalt gewesen: Zwei Verrückte mit aufgeschultertem Gepäck machen die Landstraße zwischen Ilsenburg und Veckenstedt unsicher. Achtung, es handelt sich um zwei Geistergeher! Bitte weiträumig umfahren!
Am Busbahnhof von Veckenstedt, er nannte sich tatsächlich Busbahnhof, setzten wir uns in ein kleines Wartehäuschen und tranken einen Schluck aus der Wasserflasche. Nach dem reizvollen Abschnitt durch den Harz versprach es an diesem Tag wieder eine monotone Etappe in praller Sonne zu werden.
Mein Blick fiel auf die Schmierereien an den Innenwänden des Wartehäuschen. Die Sprüche und Wortfetzen sprachen Bände: Vick mich / Ich hasse Frau B. aus M. / Kiffen macht Spaß / hab dich lieb / Mumpe stinkt / Veckenstedt stinkt / Jo Baby!
Die Jugend in Veckenstedt war recht wortgewaltig und mitten zwischen den Wortkreationen prangte ein schiefes Hakenkreuz mit doppelten Häkchen. Verkehrt herum und einmal zu viel abgewinkelt.
Es war abstrus, mit einer lauwarmen Wasserbrühe in der Hand in einem jämmerlichen Wartehäuschen irgendwo in Sachsen-Anhalt zu sitzen und Vick mich – Mumpe stinkt zu lesen. Der Schweiß läuft einem von der Stirn, es warten noch gut 20 Kilometer aufgeheizter Asphalt bis zum nächsten Tagesziel und man sitzt an einer stinknormalen, menschenleeren Haltestelle, die sich Busbahnhof schimpft – Jo Baby.
Die kommende Ortschaft hatte auch etwas zu bieten, sie stand Veckenstedt in keinster Weise nach, und wir bereuten es keinesfalls, auch einmal abseits des Grenzstreifens zu wandern. Aus einem kühlen Radler wurde es leider nichts, weil der Gasthof Brauner Hirsch bereits dicht gemacht hatte, jedoch sorgte eine Planungsschild am Ortsausgang für Erheiterung:
Neubau der Schmutzwasserkanali- sation Wasserleben. Man beachte die Trennung, auf der großen weißen Tafel erfolgte genau an dieser Stelle der Umbruch. Nett war natürlich auch die Kombination von Schmutzwasser und Wasserleben.
Insgesamt betrachtet, machten die Ortschaften nördlich des Harzes einen recht traurigen Eindruck. So passte es ins Bild, dass der Braune Hirsch bereits seit Jahren stillgelegt wurde. Nebenan hing noch ein verwittertes, sonnengebleichtes Schild an einem Backsteingebäude und warb für einen Getränkestützpunkt, den es auch längst nicht mehr gab. Das Werbeschild sah typisch für die direkte Nachwendezeit aus, als Getränkestützpunkte und Videotheken wie Pilze aus dem Boden sprossen.
Im Internet hatten wir herausgefunden, dass sich in der kleinen Ortschaft Hessen eine preiswerte Übernachtungsmöglichkeit im dortigen Gasthaus befinden soll. In Anbetracht der letzten unruhigen Nächte beschlossen wir, dieses Gasthaus am Abend aufzusuchen und über Deersheim nach Hessen zu wandern.
In Deersheim kehrten wir am Nachmittag in den dortigen Dorfkrug ein. Die Inneneinrichtung der Gaststätte hob sich angenehm von den zuletzt gesehenen Dorfkneipen ab. Die Räume wurden liebevoll gestaltet, und auch die Gäste waren bunter gemischt, als in vielen anderen vergleichbaren Orten. Im Dorfkrug von Deersheim gingen sämtliche Bevölkerungsschichten ein und aus. Er war kein Treffpunkt von vier, fünf Stammtischtrinkern, sondern ein Ort für sämtliche Anlässe. Ganz gleich, ob für ein Feierabendbier oder eine gemütliche Familienfeier.
Schnell setzte sich ein alter Mann zu uns an den Tisch und fragte nach dem Ziel unser Radtour. Radtour? Wir berichteten von unserem Fußmarsch und konnten uns sogleich glücklich schätzen, von dem Mann zu einem weiteren Bier eingeladen zu werden.
»Das geht auf meine Rechnung. Solche engagierten jungen Leute trifft man schließlich selten!«
Wir sagten höflich Dank und erzählten von weiteren Details unserer Wanderung und der Dokumentation über die verbliebenen Grenzanlagen.
»Das ist wirklich großartig! Wisst ihr schon, wo ihr heute unterkommt?« fragte er und bestellte eine weitere Runde.
»Wir haben ein Zelt dabei. Das bauen wir in aller Regel irgendwo auf einer Wiese auf«, erklärte ich.
»Ist das denn in Deutschland möglich? Gibt es keine Probleme mit den Bauern?« wurden wir gefragt.
»Nein, bis jetzt noch nicht. Im Gegenteil, manchmal wurde uns sogar ein Plätzchen angeboten!«
»Und wo werdet Ihr heute das Zelt aufschlagen? Hier im Ort?«
»Nein, wir möchten noch bis Hessen weiterwandern. Dort soll es ein Gasthaus mit Zimmern geben. Heute wollen wir uns mal eine abendliche Dusche und ein Bett gönnen!«
»Das kann ich gut verstehen. Das muss auch mal sein. Aber ein Gasthaus mit Zimmern in Hessen? – Achim, gibt es im Gasthaus des Nachbarorts Fremdenzimmer?«
»Nicht, dass ich wüsste«, erklang es aus den hinteren Winkeln des Dorfkrugs.
»Seht ihr, woher habt ihr denn die Information?« fragte er uns.
»Aus dem Internet. Aber wenn es dort keine Betten gibt, zelten wir irgendwo hinter der Ortschaft am Mattierzoll.«
»Ihr könnt gern bei mir übernachten. Morgen früh dazu einen frischen Kaffee. Ich habe ein Zimmer frei«, erklärte der nette Mann.
»Vielen Dank, aber bis zur Ortschaft Hessen wollen wir noch, damit wir im Zeitplan sind.«
»Ach, die paar Kilometer. Wie gesagt, bei mir seid ihr herzlich willkommen!«
Das Besitzerehepaar des Dorfkrugs wurde mittlerweile auch aufmerksam auf uns und stellte ganz überraschend zwei große Abendbrotteller auf den Tisch.
»Für Euch, Jungs. Das geht auf´s Haus. Ihr seid herzlich eingeladen. Willkommen in Deersheim, damit ihr diesen Ort in netter Erinnerung behaltet. Schreibt mal eine Karte, wenn ihr in Travemünde ankommt!«
> zur turus-Fotostrecke: Impressionen von der ehemaligen innerdeutschen Grenze
> Hintergründe zur Dokumentation: www.deutsch-deutsche-grenze.de
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- Olga
01 Mär 2011 15:56 #16189
von Olga
Olga antwortete auf Ein echter Gaudi: Zu Fuß unterwegs in deutschen Landen
Schimmelwurst im Glas? Na pfui. Da hätte ich glatt das Gesundheitsamt gerufen!
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