kulturelle Missverstädnisse
- kalleman
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Eine Deutsche sass im Zug. Neben ihr hantierten Soldaten an ihren Gewehren. Die Deutsche stand auf, sagte denen, dass das nicht geht im Zug am Gewehr zu hantieren und wurde gnadenlos dafür abgewatscht. Nun glaubt sie, die Reaktion war so heftig, weil sie eine Deutsche sei. In Tat und Wahrheit hat sie unzählige Tabus getroffen. Eigentlich tut sie mir richtig leid.
Vorneweg, in der Schweiz ist jeder mal Soldat gewesen oder immer noch. Jeder weiss, dass man mit Gewehren im Zug fährt und jeder weiss, dass die Soldaten keine Munition haben, das ganze komplett harmlos ist. Oft laufen auch Leute mit dem Gewehr durch die Stadt, die zum obligatorischen Schiesstraining müssen. Es gehört nun mal zu uns, es ist Alltag.
In Deutschland wäre ihre Reaktion wahrscheinlich sogar vorbildlich, für einen Schweizer kam sie vorlaut, arrogant, anmassend rüber. Warum?
a) Zuerst einmal der Ton. Dieses von oben herab, Befehlston. "ich habe zu tun", "ich darf nicht". Das geht hier gar nicht. Ein Schweizer findet, dass er gar nichts tun muss, er ist der Souverän, er kann mit Volksinitiative und Referendum Gesetze machen. Niemand braucht ihm zu sagen, was ich tun muss. Alles was er tut, tut er aus freien Stücken, die Gesetze hat das Volk akzeptiert. Diese Haltung führt dazu, dass man hier keine Befehle akzeptiert. Deutsche Manager scheiterten daran reihenweise. Was in Deutschland völlig normal ist, ist hier ein Frevel. Die EU musste das auch schmerzlich erfahren. Auf jeden falschen Ton kam eine Ladung aus der Schweiz zurück. (Über "Befehle" von aussen kann man sich hier endlos ereifern, da setzt dann auch jede logik aus.) Deutsche Manager müssen nun sogar zuerst mal in einen Kurs. Denn hier läuft das so: wenn einem etwas nicht passt, dann ist man auf die Zustimmung des anderen aus: "Sorry, wissen sie wegen dem ... könnten sie echt nicht" oder "würde es sie stören wenn, weil..." Man versucht den anderen zu überzeugen. Und selbst wenn ich klar im Recht bin. Wenn ich gefragt werde tue ich es, ist es ein Befehl tue ich es nicht. Zudem versperrt sie sich mit einem Befehlston jede Diskussions- oder Erklärungsmöglichkeit. Ein solcher Ton gibt IMMER ärger.
(Da fällt mir gerade noch Steinbrück ein, der kräftig eins abbekam, weil er sich gegen das Bankgehemnis aussprach ("die Schweiz muss") und dabei drohte ("sonst"). Im Grunde hat er absolut recht. Ich finde dieses Steuerschlupfloch eine absolute Schweinerei. Es wäre auch schon längst komplett aufgeweicht, aber weil von aussen immer gedroht wird, scharen sich alle, auch die Gegner, hinter das Bankgeheimnis)
b) Noch viel gravierender ist, dass sie sich als Fremde in eine Tradition einmischt und sich über diese beschwert. Dies ist ein ganz heftiger Fauxpass, der niemals akzeptiert wird. Das gibt IMMER ärger.
c) Was hier auch überhaupt nicht geht, ist, wenn man von etwas keine Ahnung hat, mal reinzurufen. Der Schweizer wartet zuerst einmal ab, schaut, wie es die anderen machen, dann erst macht er mit, möglichst angepasst. Das erwarten wir auch von Zuziehern. Erst, wenn man sich informiert hat, wagt man sich vor. Auch hier hat die Deutsche gegen eine ungeschriebene Regel verstossen. Denn wenn man keine Ahnung hat, aber sich einmischt, das kommt hier sehr schlecht an.
d) Im Zweifelsfall schweigt man. Der Schweizer zieht das Schweigen dem Fettnäpfchen vor. Tritt er nämlich in ein Fettnäpfchen, so ist ihm das unendlich peinlich, schämt sich und entschuldigt sich tausendmal. Die Deutsche hat sich logischerweise nicht mal entschuldigt. Das hätte man aber von ihr erwartet, so komisch das klingt.
e) Grundsätzlich jammert und meckert man hier nicht. Man redet mit den Soldaten und erwähnt dann beiläufig die Frage, was sie tun und ob das nicht gefährlich ist. In der Kneipe sagt man allenfalls "ich musste schon ein bisschen gar lang warten, aber das essen war gut" oder so.
f) Der Schweizer streitet überhaupt nicht gerne. In Deutschland spricht man ja oft von Streitkultur. Man sucht hier immer nach einem gemeinsamen Konsens, das geht aber nur, wenn die Streithähne sich über das Streitthema auskennen.
Ich finde dieses Beispiel ein Paradebeispiel (auch wenn ein sehr krasses) für kulturelle Missverständnisse. Ich versuche mal später kulturelle Missverständnisse aus anderen Ländern rauszusuchen. Ich ihn Leipzig ist natürlich das Problem, dass ich zwar begriff, dass da ein Missverständnis vorliegen musste, aber nicht wusste wieso. Ich denke "Westler" im Osten sind da auch reihenweise in Fettnäpfchen getreten. Vielleicht hat jemand anders noch einige Beispiele.
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- timo
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d) Im Zweifelsfall schweigt man. Der Schweizer zieht das Schweigen dem Fettnäpfchen vor. Tritt er nämlich in ein Fettnäpfchen, so ist ihm das unendlich peinlich, schämt sich und entschuldigt sich tausendmal. Die Deutsche hat sich logischerweise nicht mal entschuldigt. Das hätte man aber von ihr erwartet, so komisch das klingt.
du bringst uns ja gut die schweiz rüber! :wink:
lieber schweigen statt fettnäpfchen, so so...
immerhin bist du hier gut zu gange!
nein, die deutschen entschuldigen sich nicht wirklich. denn wir haben immer recht.
gefühlt zumindest...
also dass die schweizer mit den gewehren durch die straßen laufen - das ist arg gewöhnungsbedürftig! wie würde man bei euch bloß einen amokläufer rechtzeitig erkennen???
timo
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- Anke
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die gibt es hier bereits zwischen prenzelberger buben und hellersdorfer kids!
geschweige die missverständnisse zwischen schwaben und berliner. eklatant!
lg anke
immer fein sauber bleiben <img src="{SMILIES_PATH}/icon_wink.gif" alt="" title="Wink" />
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- kalleman
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Ich finde das Urteil schon recht hart, "dass der Deutsche immer recht" haben soll. Dies entspricht gar nicht meinen Erfahrungen. Ich erlebe das selbstbewusste Auftreten eher als eine bestimmte Form der Diskussion. Die Deutschen sind in der Regel sehr gut informiert bzw. gebildet und neugierig, es macht grossen Spass mit ihnen zu diskutieren. Hier in Zürich erlebe ich sie als belebend, motiviert hier heimisch zu werden. Sie sind auch überraschend zurückhaltend. Das da halt manchmal aus Unwissenheit was schief geht, finde ich jetzt nicht so tragisch.
Ja Timo, ich bin irgendwie nicht so der typische Schweizer. Ich habe eine wesentlich aggressivere Diskussionskultur als viele meiner Landsleute. Ich bin auch viel direkter als der Durchschnitt. Mit Deutschen ist das kein Problem, aber mit Schweizern kann das heikel sein. Manchmal gehen meine Gesprächspartner stumm davon (sagen zwar alles ist in Ordnung). Das wieder zu kitten ist dann jeweils nicht einfach.
Ach ja, das mit dem Gewehr. Ob jemand Amok laufen könnte ist einfach zu erkennen. Das Magazin steckt nie im Lauf. Falls doch, ist es leer. Ein Blick darauf genügt und man sieht, ob da Munition drin ist. Aber im Grundsatz ist deine Sorge berechtigt. Es gab in der letzten Woche wieder zwei Amok-Schützen. Sie haben nur um sich geballert ohne jemanden zu verletzen. Das ist aber ein heikles Thema hier. Hier steht immer noch die Tradition über der Vernunft.
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- timo
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das zeugt doch eigentlich auch von einer art selbstbewusstsein, oder nicht?
ich meine, wenn du sagst, die schweizer haben bange, etwas falsch zu machen oder was falsches zu sagen - das ist doch schlimm!!!
timo
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- Franki
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ich finde das natürlich auch unglaublich, dass in der alpenrepublik mit einem gewehr auf der straße herumspaziert werden kann.
allein dieser alleinige punkt würde bei mir so viel argwohn und missverständnisse hervorrufen...
franki
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- kalleman
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Eine deutsche Medienschaffende sagte das so wunderschön: Der Deutsche spricht mehr und denkt weniger, der Schweizer denkt mehr und schweigt mehr.
Ich bevorzuge die Mischung aus beidem. 8)
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