Favelas in Brasilien (Rio, Sao Paulo, Manaus...)
- Marco
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da die Lateinamerika-Gemeinde in diesem Forum stets größer wird, eröffne ich in diesem Zug noch ein neues Thema - und zwar über die Problematik der Favelas in Brasilien und generell in Lateinamerika.
Als wir 1996 zu zweit in Brasilien waren, stießen wir zweimal in die Randbezirke der Favelas in Rio, und einmal durchquerten wir eine Favela in Manaus / Amazonien.
Zu den Erfahrungen in Rio hiermit ein kurzer Ausschnitt aus meinem Brasilienbuch:
Armut in Gávea
Es ist mit einem hohen Risiko verbunden, als Fremder in die Favelas von Rio de Janeiro zu fahren. In den verarmten Slumgebieten mit den notdürftig erbauten und brüchigen Wellblechbaracken und Bretterhütten ist die Kriminalitätsrate äußerst hoch. Kaum ein Polizist verirrt sich an diese unsicheren Orte und kann für die Sicherheit des Besuchers sorgen. In den Favelas von Brasilien herrschen eigene Gesetze.
Jeder fremden Person, die nur einmal neugierig vorbeischauen will, ist es abzuraten, diesen Stadtgebieten einen Besuch abzustatten. Wer auf diesen Rat nicht hören will und trotzdem in die elenden Favelas fährt, unterläuft der allgegenwärtigen Gefahr, Opfer einer der vielen jugendlichen Straßenbanden zu werden. Die Situation könnte prekärer werden als ein alltäglicher Raubüberfall. Schnell liegt man mit einer Kugel im Kopf im stinkenden Schlamm eines Straßengrabens, das Abwasser über einen hinwegfließend.
An einem Nachmittag stiegen Kathrin und ich aus Versehen in einen falschen Bus. Bevor wir die verkehrte Fahrtrichtung erkannt hatten, fuhr der mit Leuten vollgestopfte Bus mit hohem Tempo durch einen langen Tunnel, der durch ein felsiges Bergmassiv führte und den Tag zur Nacht werden ließ. Dämmrige Beleuchtung, schwach scheinendes, orangefarbenes Licht erhellte die Tunnelröhre äußerst spärlich. Wie galaktische Flugkörper schienen die Lampen an dem Bus vorbeizusausen. Das Ende der Röhre war eine Zeitlang nicht zu sehen, doch plötzlich wurde das grelle Tageslicht als winziger Punkt hinter einer Kurve sichtbar. Mit enormer Geschwindigkeit raste der Bus der Helligkeit entgegen und ließ anschließend den Berg hinter sich.
Auf der anderen Seite des Berges, erwartete uns ein gänzlich anderes Bild. Das traurige Bild einer vorstädtischen Landschaft, bewohnt von den Ärmsten der Weltmetropole.
Der Schock saß tief, wir hatten keine Ahnung, wo wir uns befanden. Zu sehen waren die schiefen Hütten und die bröckligen, einsturzgefährdeten Ziegelhäuschen, die sich an den Hängen hinaufzogen. Zwischen den halb verfallenen, zweistöckigen Häusern krochen dreckige Sandstraßen wie riesige, schmutzige Schlangen die Hügel nach oben.
Krumm und schief standen hölzerne Strommasten an den Wegen, wild verliefen die Leitungen zu ein paar vereinzelten Gebäuden. Neben den Sandwegen liefen übel riechende Rinnsale zu einem Bach hinab. Schrott und Müll lag auf freien Plätzen und vertrockneten Wiesen.
An der erstbesten Haltestelle stiegen wir aus, überquerten die Straße und warteten dort auf einen Bus, der wieder zurückfuhr. Schweigend standen wir am Straßenrand und schauten auf die zahlreichen Behausungen des Tals.
Bekleidet mit einer kurzen, roten Hose und sauberem weißen T-Shirt kam ich mir vor wie ein Idiot. Wie eine reiche, ungezogene Göre, die sich verlaufen hatte. Wie eine unerwünschte Person, die sich schlichtweg am falschen Platz befand. Wie eine Person, die dort nichts zu suchen hatte und sich schleunigst verduften sollte, mit der festen Versprechung, nie wieder in dieser anderen Welt zu erscheinen und die Leute mit ihrer nach Reichtum und Wohlstand aussehenden Erscheinung zu nerven, zu stören und zu provozieren.
Da stand ich. Eine fremde Person aus der europäischen Wohlstandswelt. Ich konnte nichts dafür, aber niemanden würde das im Fall der Fälle interessieren.
Nur eine Bergkette trennte zwei völlig verschiedene Gebiete Rio de Janeiros. Auf der einen Seite lag Leblon mit anschließendem Ipanemaviertel, und auf der anderen Seite lag in einem Tal der Armutsbezirk Gávea. Wir wagten es nicht, auch nur ein Foto zu machen, obwohl es uns reizte, dieses Elend mit der Kamera festzuhalten, um den Leuten in der Heimat die verschiedenen Seiten der Stadt zu erklären und anhand von Bildern zu veranschaulichen.
Bereits einen Tag später bekamen wir wiederholt das andere Gesicht der Stadt am Zuckerhut zu sehen. Kathrin und ich kamen auf die Idee, zu Fuß den Zuckerhut zu erkunden. Es führte kein direkter Weg von Copacabana zum Pão de Açucar, da ein kleines Militärgelände dazwischen lag. So versuchten wir, einen Umweg über die waldigen Hügel ausfindigzumachen. Vom Strand aus liefen wir eine Straße hinauf, die Hotels und großen Gebäude von Copacabana hinter uns lassend.
Wieder kamen wir in eine verwahrloste Gegend. Hinter einer Abbiegung gerieten wir in eine Sackgasse. Dort standen Behausungen, die den untersten Bevölkerungsschichten von Leme und Copacabana zuzurechnen waren. Auf einem asphaltierten, mit Löchern übersäten Platz spielten Kinder und Jugendliche mit einem Ball. Barfuß rannten sie schreiend der weichen Gummimulle hinterher. Sie nahmen keine Notiz von uns, jedoch wurden wir misstrauisch von alten Leuten betrachtet, die auf einer Holzbank an einer Mauer saßen.
Wir kehrten um und gingen eine andere Straße entlang, die weiter den Berg hinaufführte. An einer Kreuzung blieben wir für eine kurze Zeit stehen, als uns plötzlich zwei Polizisten riefen, die ganz in der Nähe an ihrem Geländefahrzeug standen und uns musterten. Nur zögernd folgten wir dem Aufruf der beiden Uniformierten. Sie sahen finster aus. Der Colt hing locker an ihrer Seite, und dunkle Sonnenbrillen verdeckten die Augen. Breitbeinig standen sie am Fahrzeug und machten keinen vertrauenerweckenden Eindruck.
Einer der Polizisten fragte uns, was wir hier oben suchen würden. Der andere wollte einen Blick in meinen Stoffbeutel werfen. Ich ließ ihn gewähren. Barsch befahlen sie uns, wieder dorthin zurückzugehen, wo wir herkämen. Wir hätten hier oben weiß Gott nichts verloren. Kathrin entgegnete, dass wir nur einen Pfad hinüber zum Zuckerhut suchen würden. Daraufhin schüttelten sie mit dem Kopf und erklärten uns, dass diese Gegend äußerst gefährlich und keineswegs geeignet für Touristenspaziergänge sei. Mit dem Zeigefinger wiesen uns die Polizisten den Weg, der wieder nach unten führte.
Mit regungslosen Gesichtern standen sie an ihrem Geländewagen und betrachteten uns in breitbeiniger Pose und provokant leger hängendem Colthalfter. Die umliegende Umgebung spiegelte sich in den Gläsern der Sonnenbrillen. Auf der Tür des Polizeiwagens stand mit weißen Buchstaben geschrieben: Governo do Estado do Rio de Janeiro - Polícia Civil.
Wie schon auf der Dienststelle in Leblon hatten wir es hier mit Beamten der Polícia Civil zu tun. Neben dieser gibt es in Brasilien die Polícia Municipal, die Polícia Federal und die Polícia Militar. All diese sind für Recht und Ordnung in den Städten und einzelnen Regionen zuständig. Nicht immer klappte dies in der Vergangenheit reibungslos. Zu häufig gab es Ärger um die Zuständigkeiten und die von Staat und Kommune an die Polizeibehörden zu verteilenden Gelder. Die Aufgabenbereiche überschnitten sich des öfteren. In den Medien hörte man häufig von Korruption, dunklen Machenschaften, Verstrickungen und offen gelegten Affairen. Den besten Ruf haben Brasiliens Ordnungshüter bis heute nicht. Besser ist es, ihnen möglichst aus dem Weg zu gehen.
Man tut gut daran, nicht wie in unserem Fall Streitgespräche und Diskussionen aufkommen zu lassen. Gerade wenn man sich irgendwo in einem Kaff in Roraima und Rondônia oder den Favelas von Rio de Janeiro, São Paulo und Recife aufhält. Die Lage in diesen Gegenden kann sehr angespannt sein, und die Nerven der Polícia liegen wegen der allgemein hohen Kriminalitätsrate blank.
Nun meine Frage: Wer von Euch hat bereits Erfahrungen mit den Favelas oder deren Einwohnern gemacht?
Es grüßt Marco
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- Clementino
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Sehr schlimme Fotos von den Slums! Hat irgendjemand einen Vergleich zwischen den Slums von Brasilien und Argentinien?
Ich habe La Boca gesehen (als das weitere Umfeld vom Stadion von CA Boca Juniors). Das war schon sehr schlimm! Aber nichts gegen die Umgebung wo das sehr schoene Stadion von San Lorenzo (ebenfalls in Buenos Aires) steht! Das schlimmste was ich je gesehen habe! Da ist La Boca eine schoene Gegend dagegen! Ich fuehlte mich sogar bei Tag nicht wirklich wohl in dieser Gegend!
Uebrigens heute in Buenos Aires waren schwere Ausschreitungen im Stadtteil Haedo! Zuege brannten, Fensterscheiben wurden eingeworfen!
Kenne die Hintergruende nicht! Mein spanisch ist auf einige wenige Brocken beschraenkt! :cry:
Hasta luego -- Clementino
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- kalleman
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In Iquitos, Peru wurde ich von zwei Mädchen gebeten sie nach Hause zu begleiten. Ich hatte ganz schön Angst, da wir uns immer weiter vom Zentrum entfernten. Die Siedlung war gar nicht so schlimm, sauber, alles Steinhäuser, aber drinnen: Ein Raum für 6-8 Personen. Alle lebten in Hängematten. Zum Abschluss sagten sie mir: Sie sind arm aber glücklich, weil sie an Gott glauben. Lange dachte ich über diesen Satz nach.
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- Marco
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Die Bretterhütten standen auf Stelzen mitten im Modder und Schlamm der Abwässer. Müll schwamm tonnenweise auf den morastigen, stinkenden Teichen, und man konnte sich leicht auf den Stegen verlaufen.
Kathrin und ich wollten das eine Mal zum Zoo, und der kürzeste Weg führte quer durch eine Schlamm-Bretterhaus-Siedlung. Mit mulmigen Gefühl balancierten wir die Stege entlang, in der Hoffnung, dass nicht ein Brett brechen möge...
An einer Stelle wurde es uns nicht geheuer und wir wollten wieder umkehren, doch mehrere Leute munterten uns freundlich auf, doch ruhig weiter zu gehen. Kein Problem...
Den Zoo hatten wir trotzdem nicht gefunden, denn wir kamen an der falschen Stelle der Favela hinaus...
Es grüßt Marco
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- Thommy O.
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was du mit "Armutsbezirk Gávea" ist wohl die Rocina. Einige Freudinnen meiner Freudin wohnen dort... die haben ihre eigene subkultur. Vielleicht schreibe ich mal demnächst etwas ausführlicher.
Schlimmer fand ich die Situation in Peru, Lima: In einem Gürtel um die Hauptstadt, Elend! Kein Wasser, kein Strom! Und wir fuhren zum Wandern in einem modernen Reisebus!
In Rio @ <a class="postlink" href="www.thommyo.com/RioBlog/">www.thommyo.com/RioBlog/
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- Marco
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Thommy O. schrieb: Hi Marco,
was du mit "Armutsbezirk Gávea" ist wohl die Rocina. Einige Freudinnen meiner Freudin wohnen dort... die haben ihre eigene subkultur. Vielleicht schreibe ich mal demnächst etwas ausführlicher.
Schlimmer fand ich die Situation in Peru, Lima: In einem Gürtel um die Hauptstadt, Elend! Kein Wasser, kein Strom! Und wir fuhren zum Wandern in einem modernen Reisebus!
Ola Thommy,
aha, über Rocinha werden wir uns dann noch einmal unterhalten. Ich werde vorher noch einmal auf den Stadtplan schauen.
Hm, und Gávea, wo liegt das? In der Nähe?
Rocinha klingt gefährlich, ist Rocinha nicht öfters in den Schlagzeilen?
Até logo, Marco
Schau mal hier:
[url:3s9p6asr]www.ruavista.com/barbaraE.htm[/url]
Ich glaube, du hast recht, dort waren wir einmal... :wink:
PS: O meu deus, nun rief ich mal "rocinha" bei google.de news auf und fand sogleich 7 Treffer... Größte Favela Lateinamerikas, etc...
Unter anderem das hier:
[url:3s9p6asr]www.brasil-treff.com/home/news/index_de.php?&news_id=340[/url]
Oder aktuelle News-Treffer:
[url:3s9p6asr]news.google.de/news?hl=de&q=rocinha%20ri...=lang_de&sa=N&tab=wn[/url]
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- Thommy O.
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- Beiträge: 348
das ist Rocinha. Gavea ist auf der anderen Seite vom Tunel neben Leblon. Anstatt des Tunnels gibt es auch eine Strasse von Gavea ueber den Berg, direkt nach Rocina.
Nun ja, da unten an der Busstation zu stehen ist nicht klug, aber auch nicht so ungesund!
Rocina hat was. Es gibt dort z.B. Bands, die nur dort beruehmt sind. Es gibt einen eigenen Fernsehkanal usw. Und, leider, gibt es dort einige Typen mit die modernsten Waffen, die alles niederschiessen, was nicht macht, was sie wollen. Polizei geht dort kaum auch, aber sie werden auch geschmiert....
Thomas
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