Der zweite Ruhetag der Vuelta a España ist für uns von der turus.net-Redaktion auch Halbzeit bei der diesjährigen Spanienrundfahrt. Grund genug ein kleines Zwischenfazit zu ziehen und vor allem die Rundfahrt mit Blick auf die deutschen Fahrer etwas näher zu beleuchten. Doch zuvor soll erst noch einmal die 16. Etappe von Graus nach Sallent de Gállego hinauf zur Skistation Aramón Formigal über 146,8 Kilometer aufgearbeitet werden.
La Vuelta Ciclista a España 2013: Durchatmen am día del descanso
Die Etappe führte durch den nördlichen Teil von Aragón und verlief durch den landschaftlich sehr reizvollen Nationalpark Ordesa. Er gilt als der dramatischste und für viele als der schönste Teil der spanischen Pyrenäen in dem viele vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere leben. Seine beeindruckendste landschaftliche Gestaltung findet man auf den letzten 20 Kilometern hinauf nach Aramón Formigal durch die engen steilen Gassen von Sallent de Gállego, vorbei an den riesigen Stauseen Embalse de Búbal und Embalse de Lanuza. Auf den letzten Serpentinen zum Ziel hat man einen wunderschönen, weiten Blick hinunter ins Tal, umrahmt von den gewaltigen Bergketten der westlichen Pyrenäen und man sieht die Fahrer mit der riesigen Kolonne schon von weitem kommen.
Aus diesem Grund haben sich auch entlang der letzten Kilometer wieder zahlreiche Fans eingefunden, in bunte Kostüme gekleidet und zahlreiche Banner mit den Schriftzügen ihrer Radsporthelden gebastelt, um diese lautstark zu unterstützen. Viele Norweger, Dänen, Tschechen, Belgier, Franzosen, ja sogar US Amerikaner und Australier sowie natürlich Basken, Katalanen und „Restspanier“ haben den Weg herauf gefunden, um für eine fantastische Stimmung zu sorgen. Von der Schönheit der Landschaft werden die Akteure allerdings kaum etwas mitbekommen haben und auch die farbenfrohe und lautstarke Choreografie der zahlreichen Fans wird von den meisten Fahrern auch nur als ein Brei von Farbenvielfalt und Lärm wahrgenommen worden sein. Der ein oder andere wird auf den letzten Kilometern wohl gar „Schwarz“ gesehen haben. Denn zum ersten mal mussten Helfer bereitgestellt werden, die die Fahrer nach dem Zieleinlauf weiterschieben und festhalten mussten, damit diese nicht vom Rad fallen.
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Es war eine Etappe, in welcher der 21-jährige Franzose Warren Barguil vom Argos Shimano Team zum zweiten mal mit einer beeindruckenden Übersicht und Abgezocktheit glänzte, die mit Sicherheit die meisten erfahrenen und gestandenen Profis sprachlos machte. Dieser hatte sich bereits zu Beginn des Schlussanstieges aus der neunköpfigen Spitzengruppe gelöst und sah schon als der sichere Sieger aus. Doch zwei Kilometer vor dem Ziel setzte der Kolumbianer Rigoberto Uran vom Team Sky nach und hatte bei der 1-km-Marke den Franzosen eingefangen. Eigentlich hätte man erwartet, dass Uran vorbeifliegt und den jungen Franzosen einfach stehen lässt. Doch nix da! Barguil biss sich am Kolumbianer fest und ließ es auf einen Sprint ankommen den er mit Reifenbreite für sich entscheiden konnte.
Ja, die Franzosen haben wieder einen, der mit Herzblut und Frechheit Rad fährt, einen „Fan Fan“, der bei der Vuelta einen Husarenstreich nach dem anderen abliefert. Und man muss es den Talentscouts vom Argos Shimano Team lassen, sie haben bei der Wahl ihrer jungen Fahrer ein goldenes Händchen. Sie haben eine junge motivierte Truppe, in der es einfach stimmt. Jeder Fahrer freut sich für den anderen und opfert sich, wenn es sein muss für den anderen auf. Das konnte man auch gestern nach dem Zieleinlauf wieder eindrucksvoll miterleben, wie jeder Fahrer aus dem Team als erstes den Weg zum Tagessieger fand, ihn umarmte und sich sichtlich mit ihm freute.
Der Deutsche Dominik Nerz vom BMC Racing Team setzte auf den letzten beiden Kilometern ebenfalls nach und konnte zum Führungsduo aufschließen, als Uran und Barguil zum finalen Sprint ansetzten, war der Wangener, der eine sehr gute Vuelta fährt, allerdings nicht mehr in der Lage zu folgen. Als sich der Pole Bartosz Huzarski vom Team NetApp Endura dann noch vorbei schob, folgte der moralische Knick und ein im Ziel sichtlich enttäuschter Dominik Nerz musste sich mit Platz 4 zufrieden geben. Aber letztlich hat Dominik Nerz, der in seinem ersten Jahr im Trikot des BMC Racing Teams unterwegs ist, gerade in den Bergen eindrucksvoll bewiesen, dass er mit den Besten mithalten kann und ein Platz auf dem Podium keine Wunschmelodie ist.
Die Nichtnominierung für das Aufgebot des Tour Teams bei der 100. Jubiläumsausgabe der Frankreichrundfahrt im Juli hat Dominik Nerz nach der überwundenen Enttäuschung zusätzlich motiviert und er liefert in Spanien eine sehr gute Vorstellung ab. Bis zum Vortag lag er sogar auf Platz 13 in der Gesamtwertung und ein Platz unter den Top Ten schien in greifbarer Nähe. Doch auf der langen 224,9 km Etappe von Andorra nach Peyragudes machten sich die extremen Witterungsbedingungen, die bereits am Vortag 14 Fahrer zur Aufgabe zwangen und der Temperatursturz von 30 Grad auch bei ihm bemerkbar. Platz 30 auf dem längsten Vuelta-Abschnitt und 9 Minuten Rückstand auf die Spitze warfen ihn im Gesamtklassement auf den 17. Rang zurück. Auf dem folgenden Tagesabschnitt bewies er allerdings wieder starke Moral, indem er in der entscheidenden Fluchtgruppe nicht nur vertreten war, sondern auch als Motor aktiv daran mitarbeitete, dass die Flucht sich auch am Ende auszahlen sollte. Sein sportlicher Leiter bemängelte zwar seine aktive Fahrweise und verwies dabei auf den Tagessieger Barguil, der sich meist passiv in der Gruppe verhalten hatte, um fürs Finale Kräfte zu schonen, aber wer weiß, hätte Nerz nicht seine Arbeit in der Gruppe geleistet, wären sie von den Verfolgern bereits vor dem Zielstrich gestellt worden.
Auch bei dem Gesamtführenden Italiener Vincenzo Nibali vom kasachischen Astana Rennstall haben die ersten beiden Pyrenäenetappen Spuren hinterlassen und sein ärgster Konkurrent der US-Amerikaner Christopher Horner vom Team Radioshack Leopard konnte 22 Sekunden gut machen. Sei Rückstand beträgt jetzt nur noch 28 Sekunden. Es bleibt spannend auch in den letzten fünf Renntagen, wer den Sieg am kommenden Sonntag in Madrid einfahren wird. Der Gesamtdritte, Alejandro Valverde, der nun das Trikot des besten Sprinters auf seinen Schultern trägt, nimmt auch diese Wertung sehr ernst und konnte sich bei den Sprintwertungen ein paar Bonussekunden sichern. Er war es auch der die entscheidende Attacke am Schlussanstieg auf der 16. Etappe inszenierte und mit Horner den Rückstand auf Nibali verringerte. Sein Rückstand auf Nibali beträgt jetzt nur noch 1 Minute 14 Sekunden. Da es kein weiteres Zeitfahren gibt, wird die Entscheidung wohl auf der vorletzten Etappe hinauf zum gefürchteten Alto de L´Angliru fallen. Der Schlussanstieg der 20. Vuelta Etappe hat auf 12,2 Kilometer eine Steigung von 10,2 Prozent, im Durchschnitt mit einer Maximalsteigung von 23,5 Prozent, und mit weiten Streckenabschnitten von 12 bis 16 Prozent Steigung.
Während der ärgste Konkurrent für das Zeitfahren bei der diesjährigen WM in Florenz, von Tony Martin, der Schweizer Fabian Cancellara, immer noch im Rennen ist, hat der Deutsche bereits auf der 15. Etappe die Vuelta verlassen. „Ich habe die Vuelta nach eingehender Beratung mit der Teamleitung einen Tag vorher als geplant verlassen, um mich voll auf die dritte Verteidigung des Regenbogentrikots in Folge zu konzentrieren.“, erklärte Tony Martin. Die Vorbereitung zum finalen Saisonhöhepunkt in der Toskana verlief bei den beiden auf unterschiedliche Weise. Cancellara fuhr bei den Frühjahresklassikern und ließ die Tour aus, während Martin die komplette Tour und die Vuelta bis zur 15. Etappe bestritt. Beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten hatte Cancellara die Nase um 37 Sekunden vorn. Der Kurs von Florenz ist jedoch wesentlich flacher als das Einzelzeitfahren der Vuelta und dürfte Tony Martin mehr entgegen kommen. Als Mitfavoriten auf den Zeitfahrweltmeistertitel dürften auch die beiden Briten Bradley Wiggins und Christopher Froome nicht unbeachtet gelassen werden. Froome testet derzeit den Kurs in Florenz und Wiggins will sich den letzten Schliff zu Hauss bei der Tour of Britain holen.
Wir von turus.net bleibten auf jeden Fall dran und werden sowohl den großen Showdown der letzten fünf Tage in Spanien, als auch die Wettbewerbe der UCI Radweltmeisterschaft in Florenz begleiten.
Fotos: Arne Mill
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