Talk unterm Turm: Tony Martin und Marcel Kittel geben Einblicke

AM 10 November 2013
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Talk unterm TurmDie deutschen Profi-Radsportler waren in dieser Saison so erfolgreich wie nie zuvor. Allen voran der gebürtige Cottbuser Tony Martin, der in diesem Jahr im italienischen Florenz seinen dritten Zeitfahr-Weltmeistertitel in Folge einfuhr und der Arnstädter Marcel Kittel, der bei der 100. Ausgabe der Tour de France vier Etappensiege holte. Eine einmalige Serie, die gleich auf der ersten Etappe nach Bastia (Korsika) im gelben Trikot begann und mit dem Sieg der letzten Etappe auf der Pariser Prachtstraße Champs Élysées endete. Grund genug, für die Organisatoren um Eurosport Moderator Dirk Thiele die beiden derzeit erfolgreichsten deutschen Radsportler zur Runde „Talk unterm Turm“ in die Rathauspassagen unterm Berliner Fernsehturm einzuladen.

In lockerer Atmosphäre gaben Tony Martin und Marcel Kittel Einblicke in den Rennsport-Alltag. Dass sie zum Beispiel beide über ihre Väter zum Radsport gefunden haben und wie sich während ihrer Zeit beim Thüringer Energieteam die innige Freundschaft zu ihrem damaligen Teamchef Jörg Werner entwickelte, der beide, sowie auch John Degenkolb, weiterhin als Manager und Berater betreut.

KittelDie Karriere von Marcel Kittel schien anfangs in die gleiche Richtung wie von Tony Martin zu gehen. 2005 im österreichischen Salzburg holte er den WM Titel im Einzelzeitfahren bei den Junioren und verteidigte diesen im darauffolgenden Jahr im belgischen Spa-Francorchamps. 2011 wurde er vom niederländischen Skil-Shimano Team als Anfahrer geholt. Im selben Jahr siegte er gleich auf der dritten Etappe bei der Tour de Langkawi Ende Januar. Weitere Siege bei den Vier Tagen von Dünkirchen und dem ProRace Berlin folgten. Mit 17 Siegen war er 2011 hinter Philipp Gilbert der Fahrer mit den zweitmeisten Siegen der Saison.

KittelSpätestens jetzt war klar, ihm stand eine große Karriere als Sprinter bevor. Anders als bei vielen anderen gelingt es Marcel Kittel den Kopf im Finale weitestgehend auszuschalten. „Wir haben ein eingespieltes Team und ich kann mich auf die Jungs im Finale hundertprozentig verlassen. Zudem sind wir auf den Anfahrerpositionen sehr flexibel und können auch kurzfristig umstellen, wenn es die Situation durch Sturz, Defekt oder ähnliches erfordert“. so Kittel.
Im Falle, dass die Frage im Raum stünde, ob beide einmal im gleichen Team unter Vertrag genommen werden, hätten beide nichts dagegen einzuwenden. „Einen Anfahrer wie Tony kann man sich im Team nur wünschen. Allerdings kann ich für ihn im Zeitfahren nicht allzu viel tun, außer ihm vielleicht vor dem Rennen die Beine ausschütteln“, so Kittel weiter.

Tony MartinDer dreifache Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin fühlt sich in seiner Rolle als derzeit bester Zeitfahrspezialist der Welt sehr wohl. „Mein Fokus liegt klar auf Olympia 2016 in Rio. Eine Metamorphose zu einem dreiwöchigen Rundfahrtspezialisten, wofür ich bei gleicher Leistungsfähigkeit 5 Kilogramm abnehmen müsste ist derzeit kein Thema für mich“, fügte Martin an. Ganz so leicht wie Marcel Kittel falle es ihm nicht den Kopf auszuschalten. Wobei er im Finale meist "nur" der Anfahrer für den ärgsten Kontrahenten von Marcel Kittel, den Briten Mark Cavendish ist. „Aber nach Cavendish ist mir Marcel natürlich der liebste Gewinner im Peloton.“

Tony MartinDass das Rennen bei Tony Martin mehr Kopfsache wie bei Marcel Kittel ist, rührt sicherlich auch daher, dass er in den vergangenen Jahren immer wieder vom schweren Sturzpech verfolgt wurde. So gerade wieder gleich zu Beginn der 100. Tour de France auf der ersten Etappe. Bewundernswert war natürlich seine Leidensfähigkeit, sich bis zu seiner Spezialdisziplin durchzubeißen und auf dem Weg zum Le Mont Saint Michel den Etappensieg zu holen. Martin spricht sich selbst eine gute Regenerationsfähigkeit zu. Das Geheimnis seines Erfolges im Kampf gegen die Uhr ist die Tatsache, dass er seinen Körper genau kenne und seine Leistungsfähigkeit präzise einschätzen kann. „Nach dem Zielstrich falle ich aber jedes mahl scheintot vom Rad. Ich fahre in jedem Zeitfahrwettbewerb All Out“, so Martin.

KittelZur Dopingproblematik vertreten beide eine klare Position und sind seit Jahren die Aushängeschilder einer neuen jungen Radsportlergeneration, die sich strikt gegen die Einnahme verbotener Substanzen ausspricht. Auch fordern beide endlich ein Antidoping Gesetz in Deutschland, welches den Missbrauch von Medikamenten unter Strafe stellt. „In den Köpfen der Fahrer muss es sich festsetzten, dass Doping illegal ist und mit Gefängnis bestraft wird.“ Wie ernst es den beiden damit ist, bewies Marcel Kittel erst kürzlich, indem er sich einem Lügendetektortest unterzog.

TalkBeide stellten sich auch den unbequemen Fragen aus dem Publikum und Marcel Kittel bemühte sich die Frage einer Dame aus dem Publikum zu Michael Rasmussen zu beantworten, obwohl die Geschehnisse um dessen Person weit vor seiner Zeit als Profi stattgefunden haben.
„Es bringt nichts mit dem Finger auf Andere zu zeigen, der Radsport muss lernen mit seiner Vergangenheit zu leben und damit umzugehen. Schließlich habe er sich sein Glaubwürdigkeitsproblem aufgrund seiner dunklen Vergangenheit selbst zuzuschreiben“, bemerkten beide Sportler selbstkritisch.

Talk unterm Turm„Dennoch habe der Sport einen Neuanfang verdient und der Generalverdacht sei unfair den vielen Fahrern gegenüber, die wie sie, ihre Erfolge auf ehrliche Art und Weise erarbeiten.“ Auch gegen den Vorwurf, dass die Etappen der großen Rundfahrten immer schwerer werden wehrten sich beide. „Man muss die Etappen ja nicht im 40er Schnitt fahren, ein 38er Schnitt reicht ja auch“, meinte Tony Martin.

„Nicht um unser selbst Willen, sondern zu Liebe der vielen Radsportfans in Deutschland“ forderten beide „eine Wiederaufnahme des Radsports ins Programm der öffentlich rechtlichen Medien.“
Dass die Leidenschaft zum Radsport auch in Deutschland ungebrochen ist, zeigte sich durch die zahlreichen Radsportfans, die dem Aufruf der Veranstalter gefolgt sind und sich in den Rathauspassagen unterm Berliner Fernsehturm eingefunden haben.

Fotos: Arne Mill

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