Paris - Roubaix 2014: Rückblick auf die Hölle des Nordens

AM Updated 17 April 2014
Paris - Roubaix 2014: Rückblick auf die Hölle des Nordens

HilfeAls Radrennen kann man „Paris – Roubaix“ eigentlich nicht bezeichnen. Kein anderes Eintagesrennen wird im Vorfeld so hochgepusht, idealisiert und angepriesen wie der Klassiker durch die Hölle des Nordens. Wenn man all das Adrenalin, welches bei diesem Rennen ausgeschüttet wird, in Energie umwandeln könnte, würde man ohne weiteres die gesamte belgische Autobahnbeleuchtung einen Monat lang betreiben können. Die wahre Hölle ist es allerdings für die Hauptprotagonisten, die Rennfahrer selbst, egal ob bei trockenem oder Regenwetter. Bei Regen verwandelt sich der feine gelbe Sand des Departements Nord du Calais zu einem richtigen Schmierfilm auf den Pavés Passagen und lässt das Rennen zu einer richtigen Rutschpartie werden.

StaubBei Trockenheit, so wie am vergangenen Sonntag, sind die Bedingungen für die Rennfahrer fast noch unzumutbarer. Wenn beim Auftreten mit dem Fuß schon die Staubwolken aufsteigen, ist es die wahre Hölle. Die aufgewirbelten Staubfontainen durch die Begleitfahrzeuge lassen die Sichtverhältnisse teilweise unter 2 m schwinden. Bei einer Geschwindigkeit von 40 – 50 km/h, mit der die Fahrer über das Pflaster fegen bedeutet das quasi Blindflug. Was die Begleitfahrzeuge nicht aufwirbeln treibt der meist extrem tief fliegende Übertragungshubschrauber in die Luft. Auf einigen Pavés Passagen war die Sicht gleich Null. Die anspruchsvollen Pflasterabschnitte, in der Kategorie 4 und 5 Sterne mit weit auseinander, unterschiedlich hoch sowie schräg stehenden Pavés Steinen, mit Schlaglöchern an den Straßenrändern, sind für Mensch und Material ein Härtetest ohne gleichen.

DefektSicherlich kann man sagen, mit guter Streckenkenntnis und wenn man sich immer vorn aufhält, kann am wenigsten passieren. Doch wenn man Defekt hat, wenn man mehrmals Defekt hat, und sich immer wieder nach vorn arbeiten muss, kostet dass unglaublich viel Kraft. Niemand ist in diesem Rennen vor schweren Stürzen gefeit und es erwischt auch immer wieder diejenigen, die perfekt auf dem Rad sitzen und das Rennen in- und auswendig kennen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Fahrer Unmengen von Staub einatmen dabei teilweise Anschlag fahren, die Radbrillen komplett beschlagen sind, der Staub sich in alle Poren des Körpers setzt, sich mit dem Schweiß vermischt und zu einem widerlichen, unangenehmen Schmierfilm wird, der die Haut aufreibt und sich in die offenen Stellen frisst. Wer bei diesem Rennen das Ziel erreicht, hat mehr als nur Anerkennung und Respekt verdient. Gleiches gilt auch für diejenigen, die es nicht bis ins Radstadion nach Roubaix schaffen, weil das Material versagt oder sie mit schweren Verletzungen im Krankenhaus landen. Allein dafür, dass sie das Rennen in Angriff genommen haben, wohl wissend, was sie erwartet - diese Leistung einzuschätzen ist man wohl erst im Stande, wenn man das Rennen einmal live erlebt hat.

PelotonWas sich hinter, neben und um das Rennen abspielt, gleicht mehr einer Schlacht und ist mit normalem Menschenverstand kaum noch nachvollziehbar. Angefangen von den Betreuerfahrzeugen der Teams, die Stoßstange an Stoßstange um die beste Position hinter dem Feld kämpfen, damit sie bei Defekt ihrer Fahrer möglichst schnell zur Stelle sind bis hin zu den VIP´s, Pressefahrzeugen und Versorgern, die von Pavésstück zu Pavesstück hetzen, um die Fahrer möglichst oft zu sehen, gleicht das ganze eher einer Rallye von verrückten über die engen unübersichtlichen Pflasterstraßen Nordfrankreichs. Aus diesem Grunde ist die ASO mittlerweile auch dabei, zu Recht, rigoros auszusortieren und fordert einen speziellen Lehrgang für die akkreditierten Journalisten, damit das ganze nicht in einem völlig kopflosen Chaos endet. Insgesamt hatten die Organisatoren und die Gendarmerie das Rennen aber voll im Griff und es kam kaum zu nennenswerten Zwischenfällen. Allerdings hatten abgeschlagene Fahrer, die durch Sturz oder Defekt bis in die Wagenkolonne zurückgefallen sind, rein gar nichts mehr zu lachen.

SpitzeUm 10:27 Uhr wurde, nach dem imposanten Einschreiben vor dem Schloss Compiègne das Feld ins Rennen geschickt. Bereits nach 23 Kilometern konnten sich 8 Fahrer vom Feld absetzen, David Boucher (FDJ), Kenny de Haes (LTB), Andreas Schillinger (TNE), Michael Kolar (TCS), Clement Koretzky (BSE), Benoit Jarrier (BSE), Tim De Troyer (WGG) und John Murphy (UHC). Die Ausreißer hatten bereits nach 50 Kilometern, bei einer Hatz von 48,6 km/h schnell einen Vorsprung von 9 Minuten heraus gefahren. Am ersten Pavés Sektor (Troisvilles), nach 97,5 Kilometer betrug der Vorsprung 8:05 Minuten.

Nach dem berühmten Wald von Arenberg und einer Serie von Defekten, auch in der Spitzengruppe, schrumpfte die Gruppe der Ausreißer auf 4 Fahrer - Schillinger, Murphy, De Troyer und Jarrier. Im Hauptfeld erwischte es neben einem Dutzend anderer Fahrer auch den Top Favoriten aus der Schweiz Fabian Cancellara.
75 km vor dem Ziel bekam auch der Tour de France Sieger von 2012, Bradley Wiggins (Team SKY) erste Probleme. Er erholte sich aber wieder und ihm gelang der Anschluss ans Hauptfeld.


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KlugeNach 196 Kilometern waren die letzen Fahrer der Fluchtgruppe gestellt. Tom Boonen (OPQ) initiierte mit dem Briten Gerraint Thomas (SKY), Mathieu Ladagnous (FDJ ) , Damien Gaudin (ALM) , Bert De Backer (GIA ) und Yannick Martinez ( EUC) ein neues Führungs Sexstett. Boonen und Thomas drückten so stark aufs Gaspedal, dass sie Gaudin und Ladagnous bei Kilometer 200 verloren. Von hinten stießen der norwegische Meister Thor Hushovd (BMC) und der Niederländer Bram Tankink (BEL) dazu. Ihr Vorsprung wuchs auf 50 Sekunden an. 40 Km vor dem Ziel ergriff der Schweizer Fabian Cancellara die Initiative, um mit Sep Vanmarcke (BEL) und Greg Van Avermaet (BMC) die Lücke zu schließen. Das Katz und Maus Spiel begann. Der Slowake Peter sagen versuchte sein Glück auf eigene Faust, dahinter konnten sich Cancellara (TFR), Vanmarcke (BEL), Stybar (OPQ) und Degenkolb (GIA) aus dem Hauptfeld lösen. Sagan wurde wieder geschluckt und in der Verfolgergruppe machte Wiggins für Thomas sowie die beiden Omega Pharma Quick Step Fahrer Tom Boonen und Niki Terpstra ordentlich Druck. 10 Km vor dem Ziel schlossen Wiggins, Thomas (beide SKY), Boonen, Terpstra (beide OPQ), Sebastian Langeveld (GRS) und Bert De Backer (GIA) zum Spitzenquintett auf und das Team Omega Pharma Quick Step hatte mit 3 Fahrern die numerische Überlegenheit. Diese nutze Niki Terpstra 6,8 Kilometer vor dem Ziel nach dem letzten Pevés Stück gnadenlos aus und entschwand der Gruppe Meter für Meter.

SiegerAls er mit 20 Sekunden Vorsprung in das Radstadion von Roubaix einbog, wusste er, dies ist einer der größten emotionalen Momente und der bedeutendste Sieg in seiner Karriere. Das Publikum hielt es nicht mehr auf den Sitzen, als die bekannteste Radsportmoderatorenstimme von Daniel Mengeas sich fast überschlug und den Sieger von Paris – Roubaix 2014 in Empfang nahm. In der zehnköpfigen Verfolgergruppe sprintete der Geraer John Degenkolb vom Team Giant Shimano mit letzter Kraft, wie er später sagte, auf den 2. Platz in der Gesamtwertung und Dritter wurde der Schweizer Fabian Cancellara, der mit einem 4. Sieg in Roubaix hätte Geschichte schreiben können. Am Ende waren die drei auf dem Podium mit ihrer Platzierung, allen voran natürlich Terpstra aber auch Degenkolb sehr zufrieden.

SiegerAuch Cancellara, der anfangs noch mit sich haderte, konnte sich bei der Siegerehrung mit dem 3. Rang sehr gut arrangieren. Eine herausragende Leistung ist natürlich Degenkolbs 2. Rang. Leider ist man in Deutschland nicht in der Lage, die Wertigkeit dieser Leistung zu schätzen und zu würdigen. Degenkolb selbst hofft natürlich, dass die Erfolge der Deutschen Sprinter, in den vergangenen Jahren und in der Gegenwart, wieder zu einem Aufschwung im deutschen Radsport führen werden und ein Klassiker wie Paris – Roubaix einen Sendeplatz im deutschen Fernsehen findet.

Fotos: Arne Mill

> Impressionen von Paris – Roubaix auf turus.net

Inhalt über die Radrennfahrer:
  • John Degenkolb
  • Niki Terpstra
Radrennen-Art:
  • Elite-Rennen
  • Straßenrennen
Name des Radrennens
  • Paris – Roubaix

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