Die Flandernrundfahrt ist eines der Radsportmonumente, welches man sowohl als Profi wie auch als eingefleischter Radsportfan wenigstens einmal erlebt haben sollte. Und wenn man einmal dabei war, wird es einen nie wieder los lassen. Bereits Wochen vorher beginnen in Belgien die Vorbereitungen für die „Ronde“. Mit dem Omloop Het Nieuwsblad beginnen bereits Ende Februar, Anfang März die Flanders Classics, eine ganze Klassiker-Rennserie, die darauf ausgerichtet ist, das Land und die Rennfahrer auf das Großereignis vorzubereiten. In der letzten Woche vor dem Rennen ist bereits der Kurs ausgeschildert und entlang der Strecke laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Die Zeitungen sind voll mit Radsportberichten und das einzig allein bewegende Thema ist „Wer gewinnt die Ronde“. Im Zielort Oudenaarde befindet sich ein eigens für die Flandernrundfahrt eingerichtetes Museum, welches die Geschichte von 1913 an dokumentiert.
99. Ronde van Vlaanderen: Radsport-Highlight mit phantastischer Atmosphäre
Am Tag der Ronde van Vlaanderen herrscht im gesamten flämischen Teil Belgiens Ausnahmezustand. Beginnend auf dem Grote Markt von Brügge, wo die Bühne für die Teampräsentation aufgebaut ist, scharen sich die Radsportfans Belgiens, aus den Niederlanden, Frankreich, Tschechien, Österreich, der Schweiz, Großbritannien und auch aus Deutschland, um dem Beginn des einmaligen Spektakels beizuwohnen und die Rennfahrer auf die Strecke zu schicken. Anschließend beginnt die Hetzjagd Richtung Südosten zu den Hellingen und Kasseien. An den namenhaften Kopfsteinpflasterbergen wie Oude Kwaremont, Eikenberg, Taaienberg, Koppenberg und Paterberg warten bereits weitere Zigtausend radsportbegeisterte Zuschauer. Aus riesigen Festzelten ertönt laute Partymusik und die Stimmung ist auf dem Höhepunkt.
Man ist gerüstet und bestens vorbereitet. Eine Gruppe enthusiastischer Kristofffans ist in Einteilern der norwegischen nationalfarben gehüllt und schwenkt riesige norwegische Fahnen an langen Angelruten befestigt die bis über die Köpfe des Fahrerfeldes reichen und immer wieder der schwarze Löwe auf gelben Grund. Neben den vielen Wohnmobilen ist dies seit Jahrzehnten das Markenzeichen der belgischen Fans entlang der Radsportstrecken von Tour, Giro, Vuelta und natürlich der belgischen und niederländischen Klassiker. Frenetische Anfeuerungsrufe vom ersten bis zum letzten Fahrer die sich über den harten Parcours quälen sorgen trotz der Strapazen immer noch, auch bei gestandenen Rennfahrern für Gänsehautgefühl.
Das Rennen wurde lange durch eine siebenköpfige Ausreißergruppe bestimmt, mit dem Dänen Lars Ytting Bak vom Team Lotto Soudal, dem Italiener Marco Frapporti vom Team Androni Giocattoli, dem Neuseeländer Jesse Sergent vom Trek Factory Racing Team, dem Niederländer Dylan Gronewegen vom Team Roompot Oranje Peloton, dem Franzosen Damien Gaudin vom Team AG2R La Mondiale, dem Iren Matt Brammeier vom Team MTN Qhubeka und dem Deutschen Ralf Matzka vom Team Bora Argon 18. Nach 210 Kilometern wurden Lars Bak und Damien Gaudin als letzte Ausreißer im Anstieg des Paterberges gestellt und die heiße Phase des Rennens begann. In den letzten Jahren fiel die Entscheidung immer am letzten der 19 Anstiege, doch darauf wollte es, der sich dieses Jahr in bestechender Form befindliche Norweger Alexander Kristoff vom Team Katusha nicht ankommen lassen und attackierte bereits 25 Kilometer vor dem Ziel auf der Kuppe des drittletzten Anstieges, dem Kruisberg.
Zu seinem Vorteil gesellte sich mit dem Niederländer Niki Terpstra vom Team Etixx Quick Step, einer der stärksten Fahrer für finale Attacken aus der verbliebenen Spitzengruppe zu ihm und gemeinsam retteten sie einen knappen Vorsprung von 10 Sekunden auf die Zielgerade über den Kwaremont und den Paterberg. Kristoff ließ dem Niederländer Terpstra im Sprint keine Chance und sicherte sich, nach Mailand - San Remo im vergangenen Jahr, seinem zweiten Sieg in einem der größten Eintagesklassiker. Die Verfolgergruppe, in der sich auch der deutsche Mitfavorit John Degenkolb vom Team Giant Alpecin befand, konnte die Nachführarbeit nicht organisieren und so lösten sich im Schlussanstieg noch der Belgier Greg van Avermaet vom BMC Racing Team, der Slowake Peter Sagan vom Team Tinkoff Saxo, der Belgier Tiesj Benoot vom Team Lotto Soudal und der Niederländer Lars Boom vom Team Astana aus der Verfolgergruppe.
Degenkolb gewann nach einem starken Rennen den Sprint aus der nächst größeren Gruppe und belegte Rang 7. Ebenfalls ein sehr gutes Rennen, besonders über die letzten Anstiege lieferten auch André Greipel vom Team Lotto Soudal und Marcus Burghardt vom BMC Racing Team ab. Greipel leistete gute Arbeit für seine Kapitän Jurgen Roelandts und Burghardt legte sich gewaltig für van Avermaet ins Zeug, was den beiden am Ende immerhin noch Rang 15 und 16 bescherte. Auch das Team Bora Argon 18 zeigte eine gute Vorstellung mit dem Thüringer Ralf Matzka in der Spitzengruppe und den Platzierungen 40, 41 von Paul Voss und Andreas Schillinger zeigte man sich rundum zufrieden. Auch Neuzugang Christoph Pfingsten beendete als 121 seine erste Ronde van Vlaanderen.
Am Rande ereigneten sich zwei tragische Unfälle, in die beide Male ein neutrales Materialfahrzeug des Radkomponentenherstellers Shimano verwickelte war. Zum einen erwischte es den Neuseeländer Jesse Sergent aus der Spitzengruppe, als ihn der Materialwagen bei einem Überholvorgang in einer Kurve regelrecht ummähte und das zweite mal fuhr das Shimano Fahrzeug auf den Teamwagen von FDJ hinten auf, welcher durch den Stoß den Franzosen Sébastien Chavanel von der Straße fegte der kurz zuvor einen Defekt angezeigt hatte. Zwei sehr unschöne Geschehnisse, von denen vor allem der erstere wohl noch eine umfangreiche Untersuchung nach sich ziehen wird, denn Jesse Sergent landete anschließend mit Schlüsselbeinbruch im Krankenhaus.
Fotos: Arne Mill
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