100. Ronde van Vlaanderen: Der slowakische Taktikfuchs Sagan schlug zu

AM Updated 08 Januar 2017
100. Ronde van Vlaanderen: Der slowakische Taktikfuchs Sagan schlug zu

Peter Sagan„My time is coming ... I´m sure!“, sagte der Slowake Peter Sagan so ganz beiläufig bei der Teampräsentation zum belgischen Klassiker Gent – Wevelgem und damit meinte er ganz bestimmt nicht den Sieg knapp 6 Stunden später, sondern bezeichnete indirekt sein ganz großes Saisonziel – die 100. Austragung der Flandernrundfahrt. Was für ein Taktikfuchs Sagan mittlerweile geworden ist, stellte er eindrucksvoll am 27. September 2015 unter Beweis, als er sich im US amerikanischen Richmond den Weltmeistertitel im Straßeneinzelrennen holte, obwohl das slowakische Team nur mit drei Fahrern (Juraj Sagan, Michal Kolar und Peter Sagan) am Start war, die Top-Teams wie Deutschland beispielsweise hingegen durften ihr volles Fahrerpotential mit 9 Startern ausschöpfen.

SaganIn diesem Jahr ist es ihm gelungen, sein Taktikkonzept nicht nur auf ein Rennen, sondern auf die gesamte belgische Rennserie der namenhaften Frühjahrsklassiker auszuweiten. Nach den beiden zweiten Plätzen im Rennen Het Nieuwsblad (hinter Greg van Avermaet – Belgien – Team BMC Racing) und dem E3 Prijs Harelbeke (hinter Michal Kwiatkowski – Polen – Team SKY) wurde er von vielen schon als der ewige Zweite betitelt. Doch viele Insider erkannten bereits in diesen Rennen seine unglaubliche Stärke und stellten sich die Frage, hatte seine Fahrweise bereits hier schon Methode?

Ja! Sie diene nur einem ganz bestimmten Zweck, seine Gegner so genau wie möglich zu studieren und so wenig wie möglich von den eigenen Fähigkeiten Preis geben. Ja vielleicht sogar die Gunst und Hilfe bzw. nicht Hilfe und Gegenwehr für den entscheidenden Moment einzukaufen. Um sich dies jedoch leisten zu können, muss man natürlich im Winter seine Hausaufgaben erledigen und sich auf ein Leistungsniveau begeben, wo man im Moment der Entscheidung ganz vorn mitfahren kann. 

FabianDieses Ziel hatten auch noch andere und Sagans erbittertster Gegner im Kampf um den Sieg war mit Sicherheit der Schweizer Fabian Cancellara vom Team Trek Sergafredo. Er befindet sich in diesem Jahr auf seiner Abschiedstournee und wollte seine Karriere unbedingt mit einem 4. Sieg bei der 100. Flandernrundfahrt krönen und wäre damit der einzige, der das Rennen viermal gewonnen hätte. Dass Cancellara an Training, Fleiß und Vorbereitung alles investieren würde was möglich ist, war dem Slowaken vollkommen klar, auch dass er gegen „Spartacus“ kaum eine Chance haben würde, wenn er bis zur letzten Überquerung des Paterbergs bei 242 Kilometern warten würde, wusste er auch. Er musste also die Entscheidung vorher suchen und durch seine technisch perfekten Abfahrtskünste auf den schmalen, winkeligen belgischen Straßen volles Risiko gehen. 

sepAlso suchte der Slowake bereits bei Kilometer 220 die Vorentscheidung, als er mit dem Polen Michal Kwiatkowski und dem Belgier Sep Vanmarcke nach dem Taaienberg Cancellaras winzige Unaufmerksamkeit und sein Zögern nutzte und in die Offensive ging. Dabei hatte er mit Kwiatkowski einen starken Verbündeten, der maßgeblich an Sagans  Erfolgsritt beteiligt war. Vanmarcke vom niederländischen Team Lotto NL Jumbo hatte bereits zuvor schon einen Defekt und einen Sturz wegzustecken, so dass ihm am Paterberg schließlich die Kräfte verließen und er das Hinterrad von Sagan förmlich davonfliegen sah. Cancellara flog zwar ebenfalls in einem enormen Tempo den letzte Anstieg hinauf, ließ seine Begleiter regelrecht stehen, konnte zu Vanmarcke aufschließen, aber auch mit dessen Hilfe nicht mehr die Lücke zum Slowaken schließen.

Eine der schönsten Begleiterscheinungen dieses Sieges ist, dass er seinen Team Namensgeber und – Chef jetzt endgültig zum Schweigen gebracht hat, der sich im letzten Jahr immer wieder einmischte und an der Fahrweise des Slowaken in der Öffentlichkeit herumnörgelte.

Eine ebenfalls herausragende Leistung lieferte der Spanier Imanol Erviti vom Team Movistar ab, der sich bereits in der ersten Ausreißergruppe befand, die sich 80 Kilometer nach dem Start in Brügge bildete. Erviti konnte auch mit den Favoriten mithalten die gegen Ende zu den Ausreißern aufschlossen und landete im Finale auf Rang 7. Damit gab er eine sehr gute Empfehlung für die kommenden Jahre ab und nominiert sich für den engeren Favoritenkreis. 

GreipelAus deutscher Sicht wurde das Rennen ab dem Kilometer 155 interessant, als André Greipel vom Team Lotto Soudal attackierte, dem sich auch der junge Kölner Nils Politt vom Team Katusha anschloss. Greipel, der im Februar bei der Algarve Rundfahrt stürzte und sich einen dreifachen Rippenbruch zuzog, meldete sich auch mit exzellenten Kletterfähigkeiten am Koppenberg und Oude Kwaremont zurück, musste aber Vanmarcke und Sagan ziehen lassen und sich für seinen Kapitän Jurgen Roelandts einspannen lassen. Am Ende landete er als bester Deutscher auf Rang 28. Politt, der sich in Belgien immer besser in Szene setzt und mehr und mehr zum deutschen Newcomer avanciert, nutzte die Cance, als sein Trainingspartner Greipel die Initiative ergriff, um sich an dessen Hinterrad zu hängen und somit einen Brückenkopf für seinen Kapitän Alexander Kristoff aus Norwegen bildete. Kristoff war allerdings eine Woche zuvor noch krank und hat sich mit dem Start bei den drei Tagen von de Panne unmittelbar vor der Flandernrundfahrt vielleicht keinen Gefallen getan. Somit ist der 4. Gesamtrang und der Sprintsieg der Verfolgergruppe noch das bestmögliche Ergebnis für den „Wikinger“, der in Belgien bereits eine große Fangemeinde hat und im Vorjahr ganz oben auf dem Podest landete.

FlandernZur Stimmung und Atmosphäre des Rennens ist den Ausführungen aus den vergangenen Jahren nichts hinzu zu fügen. „Flandernrundfahrt“ ist für ganz Belgien Nationalfeiertag, Ostern, Weihnachten und Geburtstag zusammen, die Fotos und Fernsehbilder der vergangenen drei Tage sprechen für sich. Nach den Anschlägen in Brüssel und den beiden Todesfällen von Antoine Demoitie und Daan Myngheer war die Stimmung recht angespaant, doch man ließ sich die Feierlaune nicht nehmen und die belgische Polizei sowie die Sicherheitskräfte hatten alles bestens im Griff ohne für zusätzlichen Stress zu sorgen.

FlandernAn den Schlüsselstellen wie  Paterberg, Oude Kwaremont, Koppenberg und Taaienberg war die Rennstrecke komplett abgegittert, was für wesentlich mehr Sicherheit und „Fahrkomfort“ (wenn man es so nennen kann auf den namenhaften Pflastersteinbergen) für die Rennfahrer sorgte. Zudem gab es hier verschärfte Sicherheitskontrollen an den Zugängen, die die Atmosphäre in keinster Weise beeinträchtigten. 

Ein paar schwere Stürze blieben dennoch nicht aus, so erwischte es am härtesten das Team BMC Racing, wo der Deutsche Marcus Burghardt und wenig später der belgische Mitfavorit Greg van Avermaet (Schlüsselbeinbruch) involviert waren und das Rennen nicht fortsetzen konnten. 

armitsteadIm Rennen der Frauen musste sich die Schwedin Emma Johansson vom Team Wiggle High 5 der amtierenden Weltmeisterin Elizabeth Armitstead aus Großbritannien vom Team Boels Dolmans auf der Ziellinie geschlagen geben. Johansson war bereits dreimal Dritte in Oudenaarde und verpasste den Sprung aufs oberste Treppchen nur um wenige Zentimeter. Platz drei ging an Armitsteads Teamkollegin Chantal Blaak aus den Niederlanden. Beste Deutsche war Claudia Lichtenberg vom Team Lotto Soudal Ladies auf Rang 9.

BrennauerDie Bayerin, die sich bislang mit den Rennen in Flandern nicht so sehr anfreunden konnte, startet im Rennen der Frauen als Kapitänen ihres Teams und fühlte sich bei ihrer 4. Flandernrundfahrt in der neuen Rolle recht wohl. Sie konnte sich bis zum Schluss in der 11-köpfigen Spitzengruppe sehr gut behaupten. Lisa Brennauer vom Team Canyon Sram wurde 17. Sie musste bei diesem wichtigen Rennen auf eine ihrer besten Helferinnen, der Dissenerin Trixi Worrack verzichten, die sich beim Sturz im Rennen Trofeo Alfredo Binda so schwer verletzte, dass ihr in einer Notoperation eine Niere entfernt wurde. Wir wünschen ihr auf ihrem Genesungsweg alles Gute und hoffen sie bald wieder gesund im Peloton zu begrüßen.

Fotos: Arne Mill

> zur turus-Fotostrecke: Flandernrundfahrt 2016

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Inhalt der Neuigkeit:
Rennbericht
Radrennen-Art:
  • Straßenrennen
Name des Radrennens
  • Ronde Van Vlaanderen

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