Es ist früh am Morgen und sehr kalt. Von der Decke des Zeltes und der Zeltwand fließt es Sturzbächen gleich in die Wanderschuhe. Kurz rausgeschaut: Draußen sieht es genauso wie viele Tage vorher aus. Der Himmel hat seine Schleusen geöffnet. Aber es hilft nix, der Weg zur nächsten warmen Stube ist ein Fußmarsch von zwei Stunden entfernt. Also aufgerafft aus der Pfütze und rein in die Stiefel, in der das Wasser steht, und los marschiert. Dies klingt wie eine Szene aus der YouTube-Serie "7 vs. Wild" von und mit Fritz Meinecke, bei der sieben Survival erfahrene Typen in der schwedischen Wildnis sieben Nächte mit sieben Gegenständen überleben wollen.
7 vs. Wild: Sehenswerte YouTube Serie weckt Erinnerungen
Ist es aber nicht. Es ist eine Szene aus 'vier Wochen zu Fuß durch den Südwesten Irlands' mit Mini-Budget und bei typisch irischem Wetter. Das Ganze spielte acht Jahre, bevor YouTube das Licht der Welt erblickte und lange bevor das „nicht-lineare“ Fernsehen eine ganz neue Generation von Inhalten erschuf: 1997, sprich vor 25 Jahren, als ein gewisser Reed Hastings und ein Marc Randolph jenseits des Atlantiks weit weg von der grünen Insel eine Geschäftsidee hatten, die Jahre später das Konsumieren von Bewegtbildern über den heimischen Fernseher komplett verändern sollte. Sie bauten eine Videothek auf, die Filme auf DVD per Post verschickte: Netflix.
DVDs per Post, Reiseinfos aus Büchern oder Zeitschriften, das Buchen von Reisen per Telefon oder am Schalter: Die Zeit kurz vor dem Durchbruch des Internets (insbesondere des World Wide Web) im privaten Bereich kann man heute, wo jede Info nur einen Klick entfernt ist, sich kaum noch vorstellen. Wenn man eine Wandertour plante, gehörte dazu nicht ein Smartphone (gab es ja noch nicht) mit Google Maps oder Wanderapps, sondern eine klassische Karte. Auch das Equipment konnte man sich nicht online zusammenstellen und auch keine Preise vergleichen oder die Qualität / Rezensionen checken. Man nahm, was man bekam. Dazu kam, dass das „Wandern“ oder wie man es heute nennt Trekking, keinen besonders guten Ruf hatte und als „Altherren-Freizeitvergnügen“ galt. Funktionskleidung, wie man sie heute kennt, gab es nicht oder nur in Spezialgeschäften, die man (ohne Internet) nicht kannte. Also: Während die Jungs in ihren Hightech-Outdoor Klamotten bei "7 vs. Wild" also sieben für den Außeneinsatz spezialisierte Tools wählen konnten, hatte man 1997 überhaupt gar keine Wahl.
Der Rucksack war ein Art Metallgerüst, das Zelt in der Iglu-Variante mit dem heutigen Wissen garantiert ohne Wassersäule, dazu kein Tarp sondern ne olle Plastikplane und als Anziehsachen Wollpullis und Jeans, die den Regen besonders gut aufsaugten. Mit dabei statt einer GoPro Actioncam eine Pocketkamera mit zwei Filmen und immerhin ein paar gute Wanderstiefel. Damit ging es mit dem Eurolines-Bus von Köln nach Dublin und von dort weiter nach Cork. Das nächste Mal, dass wir einen Bus von innen sahen, waren 500-Wanderkilometer später in Tralee. Dazwischen lagen 4 Wochen reinste Natur, viele Erlebnisse, harter Asphalt und selbsterkundete Wege (durch die grobe Karte) über die Halbinseln Beara, Iveragh (Ring of Kerry) und Dingle. Ein Erlebnis ist hier in einem unserer Artikel beschrieben: "Bullenalarm in Irland: Gefährliches Zelten auf der grünen Insel".
Für mich war dies die erste echte „Outdoor“-Erfahrung, wobei wir anders als die Jungs in "7 vs. Wild" uns nicht unser Essen jagen mussten, sondern dafür einfach im Supermarkt die tägliche Ration kalte Baked Beans oder Grießbrei / Milchreis (war am günstigsten) aus der Dose dabei hatten, die aber auch erstmal geöffnet werden mussten. Auf totes Getier oder unbekannte Pilze und Beeren wie einst die deutsche Survival-Legende Rüdiger Nehberg im Jahre 1981 auf seinem legendären 1.000 Kilometer langen „Deutschlandmarsch“ von Hamburg nach Oberstdorf stand uns auch nicht der Sinn. Diese Grenzerfahrung war auch nicht nötig, da zwar das Reisebudget sehr schmal war (500 Deutsche Mark für die gesamte Reise), aber immer noch für den Grundbedarf reichte. Es war eine gute prägende Erfahrung für weitere spätere Touren (West Highland Way, Jakobsweg, über 1.000km zu Fuß entlang der deutsch-deutschen Grenze, 1.000km mit dem Fahrrad über den Balkan).
Eine andere sehr grenzwertige Erfahrung machte turus-Mitbegründer Marco im Juli 1993 im nordamerikanischen Banff Nationalpark zusammen mit seinem Freund Jan M.: Nur spartanisch ausgerüstet mit wenig Nahrung sollte es locker von Banff nach Lake Louise (100km) über einige tausend Höhenmeter gehen. Am Ende wurde es hammerhart und aufgrund der totalen Erschöpfung wahrlich lebensbedrohlich. Anders als in "7 vs. Wild" gab es damals aber nicht die Option, am Handy mal eben Hilfe zu holen. Solch eine Erfindung wie Handy gab es noch nicht, jedenfalls nicht für den privaten Gebrauch. Bereits nach drei knüppelharten Tagen waren die Füße wundgelaufen und die beiden dehydriert und ausgehungert. Am Ende wendete sich noch alles zum Guten, aber es war knapp. Wie es dazu kam, ist in Kürze in diesem Magazin in einem ausführlichen Bericht zu lesen.
Die Zeit damals ist schwer mit den heutigen Möglichkeiten zu vergleichen. Trotzdem ist es auch heute kein leichtes sich alleine ohne Nahrung und ohne viel Equipment in die Natur zu wagen. Was bringt eine Machete, wenn es nichts zum Essen gibt? Schon alleine deswegen lohnt die Serie "7 vs. Wild" vom Webvideoproduzent, Abenteurer und Urban Explorer Fritz Meinecke und zwar nicht nur für Leute, die öfters „draußen zu Hause“ sind, sondern für alle - und das Generationen übergreifend. Man kann die Serie mit der ganzen Familie schauen, auch wenn die Kids lieber am Strand liegen als in der Wildnis zu übernachten, werden sie begeistert sein.
Viel Lob, aber auch ein wenig Kritik zu "7 vs. Wild": Die Serie ist etwas zu lang, zieht sich vor allem am Ende. Hier hätte man das Ganze um einige Folgen kürzen können. Mir persönlich waren zu viele „Lifehacks“ (Tipps&Tricks) z.B. Bushcrafting (Schnitzereien) insbesondere von Fritz mit reingenommen worden. Ja vielleicht gab es von den anderen nicht viel mehr Material, und klar geht es im Endeffekt auch darum Geld zu verdienen mit Werbung von Google und Werbung für die eigenen Social Media Kanäle der Protagonisten. Aber etwas mehr Kürze hätte der ganzen Serie gutgetan, denn 16 Folgen mit einigen Hängern sind schon ein Brett.
Trotzdem: Danke für dieses Format, das viele Erinnerungen an vergangene Zeiten geweckt hat und einen motiviert Netflix endlich mal abzuschalten und mal wieder seinen Allerwertesten vom Sofa zu bewegen. Genau die passende Serie in dieser wirren Zeit.
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